Mobilität bedeutet Wohlstand diese Erkenntnis gilt sowohl für den Individualverkehr wie auch für den Güterverkehr. Vom zeitgerechten Transport der täglich benötigten Güter hängt die Wirtschaft in hohem Masse ab. Dieser Transport erfolgt weit gehend auf der Strasse, auf der Schiene, durch die Luft und auf den Gewässern (Flüsse und Meere). Daran hat sich seit Bestehen der Menschheit wenig geändert, mit Ausnahme der stetigen Modernisierung der Verkehrsmittel.
Aber, so kann man sich fragen, muss denn das auch in Zukunft so sein? Wären denn nicht völlig neue Transportvarianten möglich? Sollte man nicht versuchen, das Unmögliche zu denken? Wer könnte dies besser als ein Forschungsinstitut oder eine Fachhochschule. Das Institut für Logistik IfL der Fachhochschule Solothurn Nordwestschweiz wagt diesen Schritt mit einer Reihe von Partnern aus Hochschule, Industrie und Verwaltung. Mit dem Forschungsprojekt «Stoffnetz» wollen die Solothurner völlig neue Transportwege ausloten. Das Unmögliche denken und sich von keinen vorgefassten Meinungen beeinflussen zu lassen, war die Losung.
Das Forschungsprojekt beinhaltet die Untersuchung verschiedener Szenarien eines neuartigen Kombiverkehrs für den Material- und Gütertransport. Neben Bahn und Strasse gelangt auch ein neu zu schaffendes, unterirdisches Transportsystem zur Betrachtung. Dieses lässt sich vereinfacht mit einem Transfer der Prinzipien des World Wide Web auf den Fluss physischen Materials beschreiben. Die Güter und Materialien sollen sich bei Bedarf bereits in kleinen Mengen auf den Weg durch ein unterirdisches Stollensystem machen und selbständig ihren Bestimmungsort finden.
Vorerst drei spezifische Anwendungsfälle
Drei spezielle Einsatzbereiche hat man sich dabei vorgenommen: Die Ver- und Entsorgungslogistik in städtischen Siedlungsgebieten, den Güter- und Materialfluss in virtuellen Unternehmen der Produktionsindustrie und schliesslich den Güterverkehr und Materialfluss in globalen Supply Chains.
In diesen drei Bereichen werden nun die Möglichkeiten neuer Dimensionen des Kombinierten Güterverkehrs untersucht. In den entsprechenden drei Teilprojekten gilt es, Konzepte zu entwickeln mit der Planung der Netze, dem Design der Betriebsmittel und der Ressourcen, sowie der Definition von Betrieb und Unterhalt. Vor allem aber sollen die politische Realisierbarkeit sowie die Wirtschaftlichkeit und damit Finanzierbarkeit dieser neuen Ideen exakt untersucht werden. Ein Zwischenbericht kann um die Jahreswende 2006/07 erwartet werden.
Alle drei Szenarien beinhalten die Untersuchung von Kosten und Nutzen modellhafter Lösungen in konkreten Aufgabenstellungen und Anwendungen. Allen drei Anwendungsfällen gemein ist vereinfacht gesagt die Forderung, dass alle Waren ihren Weg zu den Verbrauchenden hin (z.B. Lebensmittel, Werkstoffe, Betriebsstoffe) und von ihnen weg (z.B. Wertstoffe, Abfälle) im Vergleich zur heutigen Praxis deutlich schneller, sicherer und kostengünstiger, idealerweise gar selbständig finden sollen.
Die Forschungspartner aus Hochschule, Handel, Industrie und Verwaltung wollen mit dem Forschungsprojekt «Stoffnetz» mit vereinten Kräften sich die Freiheit und den Raum nehmen, das scheinbar Unmögliche zu denken. Das heisst laut über die Realisierung von unterirdischen, hochautomatisierten Materialfluss- und Gütertransportsystemen nachzudenken. Zudem will man realistische Migrationsszenarien erkennen und beschreiben, um den Gütertransport im Sinne des Kombiverkehrs schrittweise von der Strasse und der Bahn auf die neuen, unterirdischen Transportsysteme zu verlagern. Dabei soll das Verhältnis zwischen Grenzkosten und Grenznutzen die Prioritäten der vorgeschlagenen Realisierungs- und Migrationsszenarien bestimmen.
In den drei Anwendungsfällen soll aber nicht nur laut nachgedacht werden, sondern mit ersten konkreten Basisinstallationen handfeste Transportlösungen geschaffen und in Betrieb genommen werden. Denn an wenigen, aber konkreten Objekten zeigt sich am deutlichsten, wie praxistauglich die neuen Verfahren und Technologien sind. Sind diese erst erprobt und bewährt, können solche Insellösungen mit zunehmender Ausbreitung und Nutzungsdichte zusammenwachsen und sich Schritt um Schritt zu integrierten und flächendeckenden Netzen entwickeln.
Grosses Interesse verschiedener Unternehmen
Als Keimlinge, oder eben solche Insellösungen, werden von den Partnern aus Hochschule und Industrie die folgenden angegangen:
- Mit der RegioHER der Wirtschaftsförderung im Luzerner Hinterland, Entlebuch und Rottal mit gewichtigen Gewerbe- und Industriestandorten wie Wolhusen und Willisau wird «Stoffnetz» für den intensiven Austausch von Material- und Werkstücken unter situativ und spontan zusammenarbeitenden Unternehmen eingerichtet. Das Thema der Logistik und des Materialflusses in virtuellen Unternehmen wird damit ehrgeizig an die Hand genommen, kämpft doch die Industrie allgemein mit schwierigen Bedingungen bezüglich Produktionspreisen und Produktionskosten. Logistikkosten spielen dabei eine grosse Rolle.
- Im dritten Teilprojekt werden die weltweiten Dimensionen von «Stoffnetz» erforscht, indem das Institut für Logistik zusammen mit einem weltweit tätigen Konzern der Investitionsgüterindustrie und den weiteren Partnern den Fragen des Materialflusses in globalen Supply Chains nachgeht und nach neuartigen, kostengünstigen und zeitsparenden Lösungen sucht.
Bereits diese drei Anwendungsfälle zeigen die Dimensionen von «Stoffnetz» und dessen potenzielle Bedeutung für ein grundlegend neues, zukünftiges Verständnis von Materialfluss und Logistik. Dieses Wirtschaftsförderungspotenzial in heutigen Randregionen, aber auch Wirtschaftszentren ist die eine starke, volkswirtschaftlich überaus bedeutungsvolle Seite von «Stoffnetz». Die andere ist der Investitionsschub, den «Stoffnetz» mit Konzeption, Realisierung und Betrieb auslösen wird ähnlich dem Bau des Eisenbahnnetzes und des Nationalstrassennetzes. Dabei verschliessen die Projektpartner ihre Augen nicht vor der Realität. Als realistische Szenarien verstehen sie deshalb solche, welche wirtschaftlich vertretbar und politisch machbar sind. Ohne bestimmtes öffentliches Interesse und ohne Finanzierungsbereitschaft wird sich «Stoffnetz» nicht etablieren können.
Neben dem Fortschritt der Teilprojekte in den geschilderten Anwendungsfällen wird ein Zwischenbericht um die Jahreswende 2006/07 also die Frage beleuchten, mit welchen und mit wie viel Mitteln zu welchen Zeitpunkten die öffentliche Hand die Konzeption und den Aufbau von «Stoffnetz» unterstützen muss, um den Weg für eine aussichtsreiche und leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur zu ebnen. Diesbezüglich werden die Projektpartner eine gemeinsam geführte Diskussion nicht scheuen dürfen. «Stoffnetz» hat bis anhin schon weite Kreise gezogen. Mit dem Thema setzen sich in Zusammenarbeit mit dem Institut für Logistik zahlreiche weitere Unternehmen auseinander.