Haben Sie sich schon einmal gefragt, wenn Sie durch die Zürcher Bahnhofstrasse schlenderten, wie viele Banken es in der Schweiz gibt? Der Führer «Wernlin Private Banking» listet 181 in- und ausländische Institute auf. Die Aufstellung der Eidgenössischen Bankenkommission ist sogar noch um etliches länger, zählt die Aufsichtsbehörde doch alle Filialen gleich mit. Wohl in wenigen Ländern der Erde findet sich eine derart hohe Bankendichte wie in der Schweiz. Wie in aller Welt soll es somit möglich sein, aus diesem Sammelsurium jenes Institut herauszufischen, das die qualifiziertesten Analysten beschäftigt?

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Dieser Frage hat sich die BILANZ gemeinsam mit den Spezialisten der ISFA angenommen (siehe Artikel zum Thema «System des Ratings: Die Analyse der Analysen»). Ziel war es, eine der Kernleistungen von Geldinstituten zu bewerten: die Research-Abteilung. Im Zuge dieser Erhebung wurden alle Analystenempfehlungen zu Schweizer Aktien untersucht, die im letzten Jahr abgegeben wurden. Als Datenquelle diente der Finanzdienstleister Thomson Financial / IBES. Das Unternehmen sammelt, veröffentlicht und verwertet alle von Banken publizierten Ratings.

BILANZ ging noch einen Schritt weiter und setzte es sich zum Ziel, neben den 63 Instituten in der Schweiz, die ihre Empfehlungen an IBES weiterleiten, auch jene zur Teilnahme aufzufordern, die ihre Daten sonst unter Verschluss halten. Die Reaktionen der Banken darauf hätten nicht heftiger sein können.

System des Ratings
Die Analyse der Analysen


Über ein Jahr lang wurde das ISFA-Rating-System getestet. Jetzt kommt es erstmals zum Einsatz: das Verfahren und die Methodik.


Zum ersten Mal erstellte BILANZ mit den Spezialisten der ISFA ein umfassendes Rating. Das ISFA-Institut ist eine Tochtergesellschaft der Schweizerischen Finanzanalysten-Vereinigung (SFAA) sowie des Ausbildungszentrums für eidgenössische Diplomabschlüsse für Analysten (Azek), das bislang über 2500 Diplome vergeben hat. Gegründet wurde das ISFA Anfang 2003 mit dem Ziel, Finanzanalysten und Banken regelmässig, transparent und objektiv zu bewerten. Die zu Grunde liegende Methodik wurde von einem internationalen Komitee, bestehend aus zwölf Finanzexperten unter der Leitung von Prof. Rajna Gibson von der Universität Zürich, erarbeitet. Auch von den Mitgliedern des internationalen Dachverbandes der Europäischen Finanzanalysten-Vereinigungen (Effas) wird die ISFA-Methodik bereits angewandt.


Vorgehen


Analysiert wurden 43 Banken und Broker, sowohl Sell- wie auch Buy-Side-Institute, die mindestens fünf Schweizer Titel analysieren. Nicht unterschieden wurde, ob ein Institut Primär- oder Sekundärresearch betreibt. Zur Auswertung gelangten sämtliche Empfehlungen, die von den Banken veröffentlicht und an den Finanzdienstleister Thomson Financial / IBES weitergeleitet wurden. Zur Bestätigung dieser Empfehlungen lud BILANZ alle Institute noch einmal schriftlich ein, die Ratings des letzten Jahres bei Thomson Financial zu überprüfen oder ISFA zuzusenden. Alle Empfehlungen der Periode vom 1. Januar bis zum 31. Dezember 2003 wurden ausgewertet. Unterschieden wurde, ob Institute relative oder absolute Empfehlungen abgeben:


Relative Empfehlungen werden gegenüber einem Index abgegeben, absolute Empfehlungen gegenüber einer risikolosen Anlage (Bargeld). Auch wurde unterteilt in Institute, die Aktien aus dem SMI analysieren, und solche, die sich Small- und Mid-Caps-Aktien widmen. Die zu Grunde liegenden Aktien sollten von mindestens drei Analysten abgedeckt werden.


Methodik


Auf Grund der unterschiedlichen Ratingsysteme (strong buy, buy, hold, sell) wurden die Resultate mittels Risikokennzahlen vergleichbar gemacht. Bei der Messung wurden alle Aktien gleich gewichtet. Veränderungen der Ratings wurden folgendermassen behandelt: Eine «Strong buy»-Empfehlung hatte zur Folge, dass die ursprüngliche Position der jeweiligen Aktie verdoppelt wurde, bei einer «Buy»-Empfehlung um 50 Prozent. Bei «reduce» wurde die ursprüngliche Position der Aktie um 50 Prozent reduziert, bei «sell» um 100 Prozent. Je nachdem, ob eine Empfehlung absolut oder relativ ausgesprochen wird, erfolgt der Zukauf einer Aktie über einen Kredit (absoluter Ansatz) oder über den Verkauf des jeweiligen Vergleichsindex (relativer Ansatz).


Im Gegensatz dazu hat die Reduktion der ursprünglichen Aktienposition zur Folge, dass der erzielte Erlös aus dem Verkauf entweder in Cash gehalten oder in den Vergleichsindex investiert wird. Zur Ermittlung des Erfolgs eines Analysten wird bei absoluten Empfehlungen die Outperformance gegenüber dem Bargeld ermittelt. Beim relativen Ansatz wird aus den gerateten Aktien des jeweiligen Analysten ein Index gebildet und überprüft, ob er diesen – also seinen eigenen – Index schlagen konnte. Da naturgemäss die Aktienzusammenstellung der einzelnen Analysten vom Risiko her betrachtet sehr unterschiedlich ist, wurden die Portefeuilles zusätzlich ans Risiko angepasst.

Goldman Sachs etwa schob Compliance-Gründe vor, nicht teilnehmen zu können. Andere wie die Bank Mirabaud, Coutts, Bank von Ernst, oder Ferry Lulin lehnten es kategorisch ab, ihre Empfehlungen jemand anderem als ihren Kunden zur Verfügung zu stellen. Erfrischend fügte die Banque Edmond de Rothschild in ihrem Schreiben hinzu, man freue sich sehr auf die Ergebnisse der Auswertung (natürlich auf die der anderen).

Die ablehnende Haltung einiger Institute kommt nicht von ungefähr: Viele wissen sehr wohl, wie sie in einem Ranking abschneiden würden, zumal bereits seit einem Jahr das Analyse-Tool der ISFA bei einigen Banken hausintern im Einsatz steht.

Letztlich übermittelten acht wagemutige Institute ihre Sell-Side-Daten (Empfehlungen für externe Kunden, vorwiegend Institutionelle). Darunter die Bank Leu, Sarasin, Vontobel, UBS Investment Bank, Zürcher Kantonalbank, Morgan Stanley, MM Warburg und Bank Sal. Oppenheim. Zur allgemeinen Überraschung lieferten auch drei Institute ihre gut gehüteten Buy-Side-Daten (Empfehlungen für interne Abteilungen), unter ihnen die Banken Baumann, Bordier sowie Rahn & Bodmer. Auf Grund der niedrigen Teilnehmerzahl konnte für diese Kategorie jedoch kein eigenes Ranking erstellt werden, obwohl gerade Rahn & Bodmer durch eine sehr gute Performance auffiel.

Basierend auf dem Datenmaterial von Thomson Financial / IBES und der übermittelten Ratings der Banken, wurden schliesslich 43 Institute gemessen. Die Auswertung der mehr als 3000 Empfehlungen von 446 Analysten erstreckte sich über zwei Monate – mit verblüffenden Ergebnissen: Smith Barney, Williams de Broe, HSBC, Deutsche Bank und Bankhaus Metzler gehen als die Top-Häuser in Sachen Large-Cap-Analyse hervor.

Ausländische Research-Häuser haben somit die Nase vorn, wenn es darum geht, heimische Grosskonzerne à la Novartis, Nestlé und UBS zu analysieren. Dadurch wird die weit verbreitete Mär widerlegt, inländische Banken hielten auf Grund ihrer Nähe und der guten Kontakte zu den Multis vor Ort alle Trümpfe in der Hand. Ganz durch Abwesenheit in den top ten glänzen UBS und Credit Suisse, die beide von den Privatbanken Pictet, Sarasin und Leu geschlagen wurden.

«Wir wissen, dass einige Auslandbanken grosses Know-how besitzen», startet Martin Maurer vom Verband der Auslandbanken Schweiz einen Erklärungsversuch. «Ein Grund dürfte die Distanz der Research-Abteilungen zu den Unternehmen sein, da die meisten in London angesiedelt sind.» Eine Begründung, die zu simpel erscheint, jedoch mit den Fakten übereinstimmt. Die britische HSBC etwa besitzt drei Dependancen in der Schweiz, doch keine eigene Research-Abteilung. Diese ist in London stationiert. Das gleiche Bild bei Smith Barney, einer Tochtergesellschaft der weltgrössten Bank, Citigroup. Trotz oder vielleicht sogar wegen des Enron-Skandals, in den Citigroup verwickelt war, glänzt der amerikanische Broker heute mit besten handwerklichen Analysefähigkeiten.

Im Gegensatz dazu überraschte HSBC kürzlich die Finanzwelt mit der Ankündigung, keine Kauf- und Verkaufsempfehlungen mehr abzugeben. Künftig sollen nur noch Trends und Themen für globale Branchen identifiziert und deren Rückwirkungen auf einzelne Firmen analysiert werden. Mit diesem Leistungsabbau will man paradoxerweise das Finanzmarkt-Research wertvoller machen.

John Millar, CEO der zweitplatzierten Williams de Broe, London, begründet das gute Abschneiden seines Unternehmens folgendermassen: «Im Gegensatz zu anderen Resarch-Häusern haben wir in den letzten drei Jahren 50 Prozent mehr Mitarbeiter eingestellt. Dadurch konnten wir unser Know-how ausbauen, während andere es abgebaut haben.» Eine Entwicklung, die Millar so ganz nebenbei erwähnt, aber tatsächlich immer grösseren Einfluss bekommt, sind die guten Kontakte der Londoner Finanzunternehmen zur Hedge-Funds-Industrie, von der grosse Impulse für die internationalen Börsen ausgehen.

Immer mehr Institute und Abteilungen zieht es seit längerem schon an die Themse. Die UBS etwa gibt den Tarif für ihre Analysten weltweit von London aus durch: Kein Rating verlässt das Haus ohne die Zustimmung der Briten. Ebenso die Sektorallokation, die zentral vorgegeben wird.

Auch die Deutsche Bank, Erstplatzierte der Kategorie Large Caps, leistet sich in Zürich nur noch ein Team, bestehend aus drei Analysten. Pascal Moura, Head of Research, lobt die Arbeitsteilung zwischen London und Zürich: «Wir haben gleichzeitig einen globalen und lokalen Ansatz, der erfolgreich ist, wie man sieht.»

Nicht bei allen Analysten hingegen stossen die Verlagerung der Tätigkeiten und die Beschneidung der eigenen Handlungsfähigkeit auf grosse Gegenliebe. Wie etwa bei Gregor Greber. Als Head of Reasearch der Deutschen Bank packte er im September 2002 kurzerhand seine Sachen und wechselte mit einem Team von zwölf Mitarbeitern zu Lombard Odier Darier Hentsch.

So mittelmässig Schweizer Banken in der Kategorie Large-Caps-Analyse abschneiden, so gut präsentiert sich das Bild in der Kategorie Small und Mid Caps. Mit Lombard Odier und CAI Cheuvreux finden sich gleich zwei frankophone Institute unter den top drei der Kategorie B. In der Kategorie A belegen die Bank Sarasin und die UBS das Spitzenfeld.

Ein Grund für die guten Ergebnisse speziell der Privatbanken ist in der zunehmenden Spezialisierung des Research auf kleinere Unternehmen zu suchen – die einzige Chance für viele Brokerabteilungen, sich zu etablieren und zu überleben. Denn die mächtige Konkurrenz der grossen Research-Häuser konzentriert sich vorwiegend auf grosskapitalisierte Unternehmen. Small und Mid Caps werden links liegen gelassen.

Sarasin beispielsweise deckt mit einem Team von 15 Analysten ausschliesslich Schweizer Titel ab. «Davon konzentrieren sich vier Analysten nur auf Small Caps», betont Daniel Scheibler, Head of Research der Bank Sarasin. Gleiches Bild bei Lombard Odier Darier Hentsch: «Wir können nicht alle Unternehmen abdecken, deshalb spezialisieren wir uns auf eine Nische», so Gregor Greber, Head of Research. «Letztlich ist es ja auch eine Kostenfrage.»

Tatsächlich ist es erstaunlich, dass trotz den beträchtlichen Kosten der Research-Abteilungen noch immer derart viele Schweizer Titel abgedeckt werden. Vor allem die insgesamt 131 Titel, welche die Bank Vontobel analysierte, gefolgt von den 106 Titeln der Bank Pictet und den 98 der Zürcher Kantonalbank. Die Grossbanken hingegen rangieren abgeschlagen, die UBS mit 68 Titeln an sechster Stelle, gefolgt von der Credit Suisse mit lediglich 41 Titeln.

Für die gesamte Branche muss gesagt werden, dass die Leistungen der Mehrheit der Schweizer Research-Häuser im letzten Jahr nicht gerade berauschend waren. Denn jene Institute, die im Ranking nicht erscheinen, konnten alle den Index nicht schlagen. Es gibt also noch Potenzial für 2004.