Wo lässt du dein Geld verwalten?» ? «Gar nicht.» Die Antwort von Beatrix Kindler löste bei ihrer Freundin Erstaunen aus. Sie wüsste da jemanden. Kurz darauf klopfte bei Kindler in München ein Walter Tobler an, seines Zeichens Partner bei der Infidar Vermögensberatung aus Zürich. In lockerer Atmosphäre wurde über Investitionen und Risiken parliert. «Ich habe ihm klar gesagt, dass ich alles andere denn risikofreudig sei», erinnert sich Beatrix Kindler. Worauf Tobler im fix hervorgezogenen Vermögensverwaltungsauftrag «Kapitalgewinn» ankreuzte. Ohne zu zögern, unterschrieb Kindler das Papier. «Ich habe nicht gemerkt, dass das die höchste Risikoklasse ist.»

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Kindler schickte über die Jahre fleissig Geld nach Zürich: gegen eine halbe Million Euro. Die Mittel wurden bis zu zwei Dritteln in Aktien angelegt. Ihr fiel die riskante Strategie nicht auf. 1999 machte sie sich selbstständig und informierte Tobler, doch passte dieser das Anlageverhalten nicht an die neue Lebenssituation seiner Mandantin an. Ebenso wenig zwei Jahre später, als sie ihm eine von ihrem Steuerberater aufgestellte Liquiditätsplanung zukommen liess.

Je stärker die Aktienkurse rutschten, desto nervöser wurde Beatrix Kindler. Bei Anfragen in Zürich wurde sie stereotyp auf die positive Performance hingewiesen. Im November 2002 bemerkte Kindler, dass ihr die Verwaltungsgebühr doppelt belastet wurde. Misstrauisch geworden, holte sie eine Depotanalyse ein. Da stellte sich heraus, dass die von Infidar gemeldeten drei Prozent Jahresperformance eine relative Grösse darstellten. Absolut war Kindler um 97 000 Euro ärmer geworden. Die Münchnerin kündigte ihrenVerwaltungsauftrag sofort. «In meiner Situation kann ich mir solche Verluste nicht leisten.» Also forderte sie den Fehlbetrag ein. Erst nach monatelangem Briefverkehr erklärte sich der Vermögensverwalter zu einem Treffen bereit. Kindler zeigt sich kampfeslustig: «Wenn das Gespräch nichts bringt, werde ich Infidar einklagen.»

So wie Beatrix Kindler ist es vielen Anlegern ergangen. Und so wie Kindler steigen immer mehr Investoren gegen ihre Geldverwalter auf die Barrikaden. Bei den Banken will man davon nichts gemerkt haben. Thomas Sutter, bei der Schweizerischen Bankiervereinigung für Kommunikation zuständig, hat «keine signifikante Zunahme von Reklamationen oder gar Prozessen» registriert. Bei der UBS «halten sich die Fälle im üblichen Rahmen». Die Bank Vontobel mag erst gar keine Auskunft geben. Mehr Offenheit dafür bei der Privatbank Julius Bär: «Die Prozesse, die gegen uns laufen, sind an einer Hand abzuzählen», meint Kommunikationschef Jan A. Bielinski. Nur um gleich nachzuschieben: «Allerdings registrieren wir von Vermögensverwaltungskunden auch Reklamationen, und die haben zugenommen.»

Von neutralerer Warte aus wird die Situation anders beurteilt. Hans-Jacob Heitz, Präsident der Schutzvereinigung Schweizer Anleger (SVSA), spricht von einer «klaren Zunahme bei den eingereichten Dossiers». Auch Bankenombudsmann Hanspeter Häni registriert einen erneut deutlichen Zuwachs bei den seinem siebenköpfigen Team unterbreiteten Fällen, deren Zahl bereits 2001 um 15 Prozent zugenommen hat. Für 2002 liegen zwar noch keine Daten vor, doch stellt Häni einen «überdurchschnittlichen Anstieg der Anfragen in den Bereichen Anlageberatung, Vermögensverwaltung, Börse und Wertschriften» fest.
Die frisch erwachte Streitlust der Anleger wird geschürt vom Börsentrend der letzten Jahre. Denn parallel zu den schweren Kursverlusten «wächst die Prozessfreudigkeit der Vermögensverwaltungskunden», beobachtet Johann-Christoph Rudin, Geschäftsführer der Schutzgemeinschaft Investoren Schweiz. Wer sein Geld von einem Profi verwalten lässt, ist deshalb schnell bereit, diesem die Schuld am Vermögensschwund zuzuschieben. Nach einem Gespräch mit dem Verwalter merkt der Kunde dann oft, dass er einem Irrtum erlegen ist. Denn wer einer kapitalzuwachsorientierten Strategie zustimmt, muss sich der damit verbundenen Risiken bewusst sein.

Überhaupt konstatieren viele Rechtsberater bei ihren Klienten einen bedenklich tiefen Wissensstand. Oft stelle der Ratsuchende erst beim Juristen fest, dass er gar keine Vermögensverwaltung, sondern lediglich eine Anlageberatung hat. Im letzteren Fall ist das Geldhaus meist fein raus aus dem Schneider, denn dabei gibt es dem Kunden lediglich Empfehlungen ab. Da muss der Anlageberater schon bös pfuschen, bis sein Arbeitgeber für daraus entstandene Schäden belangt werden kann.

Bei einem Vermögensverwaltungsauftrag ist die Rechtslage anders. Mittels Vertrag erteilt der Kunde seinem Vermögensverwalter klare Weisungen. Weicht dieser von den Richtlinien ab und erleidet der Anleger einen Verlust, hat er dennoch «in der überwiegenden Zahl der Fälle gegen die Bank keine Chance», spricht Johann-Christoph Rudin aus Erfahrung. Einmal nimmt die Bank in der Bewirtschaftung eines Depots einen Ermessensspielraum für sich in Anspruch. Im Weiteren muss der Investor, um der Bank eine Verletzung der Sorgfaltspflicht nachweisen zu können, über eine lückenlose Dokumentation verfügen, «Papertrail» genannt. Sogar in Fällen, in denen einiges schief gelaufen ist, kommt der Anleger nur wieder zu seinem Geld, wenn er schriftlich belegen kann, wo, wann und wie entgegen seinen Anweisungen gehandelt wurde. «Nur die klaren Fälle haben Aussicht auf Erfolg», hat Reto Arpagaus vom Advokaturbüro Bratschi Emch & Partner beobachtet.

Nur hapert es gerade beim «Papertrail». Manch ein Anleger meint, mit der Vertragsunterzeichnung sei er aus der Verantwortung entlassen. Dabei ist eine stetige Überprüfung unerlässlich (siehe «Misstrauisch sein» auf Seite 139). Sogar wenn der Vermögensverwalter entgegen den Richtlinien anlegt, muss man ihn schriftlich an die Abmachung erinnern. Sonst gibt es ein böses Erwachen: Eine Zürcher Privatbank investierte für einen Kunden entgegen seinen Vorgaben mit steigendem Risiko. So wurden E-Aktien ins Depot geladen und Call-Optionen obendrauf gepackt. Als die Internetblase barst, forderte der Kunde die Verluste ein. Die Bank wollte nicht zahlen, der Richter musste entscheiden ? er gab dem Finanzhaus Recht. Seine Begründung: Der Kunde habe zwei Jahre lang die risikoreiche Strategie nicht korrigiert und damit stillschweigend akzeptiert.

Die Schweizer Banken haben sich, gewitzt durch jahrzehntelange Erfahrung als weltweit führende Vermögensverwalter, sehr gut abgesichert. «Wer sich als Bank bei einem Vermögensverwaltungsmandat an die abgemachten Rahmenbedingungen hält, dem kann man rechtlich kaum etwas anhaben», meint denn auch Jan A. Bielinski von der Bank Julius Bär. Lassen Sie sich dennoch nicht entmutigen. Suchen Sie einen Anwalt auf, und verlangen Sie eine Einschätzung Ihrer Chancen (siehe «Wehren Sie sich!» auf Seite 137). Wenn diese nicht hoffnungslos sind, sprechen Sie bei der Bank oder dem Vermögensverwalter vor.

Die Haut der Geldhäuser wird dünner, da stimmen sie aus Imagegründen schnell einmal einem Vergleich zu. Vor allem in jenen Fällen, in denen sie klare Fehler begangen haben. Wie bei der Witwe, die ihr ererbtes Bargeld möglichst risikolos angelegt haben wollte. Worauf ihr ein führendes Schweizer Finanzinstitut kurzerhand hochriskante russische und südafrikanische Staatsobligationen ins Depot packte! Die Folgen waren verheerend (siehe «Veritables Klumpenrisiko» auf Seite 139). Der Anwalt hatte leichtes Spiel, die Bank ersetzte den Verlust vollumfänglich.

Wo Geldhäuser dagegen eine Möglichkeit wittern, unbeschadet aus einem Streitfall hervorzugehen, zeigen sie sich unnachgiebig und lassen sich auch durch Prozessandrohungen kaum einschüchtern. Denn sie wissen, dass sie finanziell die längere Puste haben. «Prozesse sind enorm zeitintensiv und sehr teuer», erläutert Johann-Christoph Rudin von der Schutzgemeinschaft Investoren Schweiz. Banken bezahlen die Kosten, falls sie den Rechtsfall verlieren, quasi aus der Portokasse; Kleinanleger dagegen laufen Gefahr, sich heillos zu übernehmen.

Bei einem Streitwert von 300 000 Franken kostet im Kanton Zürich die Grundgebühr für die erste Verhandlung 16 000 Franken. Ist der Fall komplex und erfordert Gutachten, beispielsweise bei Derivategeschäften, können sich die Kosten in der ersten Instanz aufs Doppelte bis Dreifache belaufen. Die Konsequenz daraus erläutert Rechtsanwalt Reto Arpagaus: «Bei einem Streitwert von unter 100 000 Franken lohnt sich ein Gerichtsverfahren kaum. Da sind die Risiken für den Kläger gross.» Ausser er verfügt über eine Rechtsschutzversicherung ? da lohnt sich das Prozessieren auch bei kleinerem Streitwert.

Auf eine bewährte Taktik macht Michel Wehrli vom Advokaturbüro Thalberg & Birgelen aufmerksam: «Geschädigte sollten sich wenn möglich in Gruppen organisieren. So lassen sich die Kosten pro Person massiv senken. Zudem gewinnt der Kläger dank mehr Leuten und höherem Streitwert an Gewicht.» Nur ist ein Vermögensverwaltungsauftrag auf eine Einzelperson zugeschnitten. Anders dagegen der Fall, wenn eine Finanzgesellschaft Kunden übers Ohr gehauen hat. Oder wenn eine Bank in einem Emissionsprospekt Wunderdinge versprach, die in der Realität nicht einzuhalten waren, beziehungsweise Begleitumstände beschönigte, manchmal auch schlicht verschwieg.

Speziell die Prospekthaftung gewann in den letzten Monaten stark an Bedeutung. Denn viele Banken und Finanzhäuser haben sich in den goldenen Haussejahren im Bemühen, neue Anlageinstrumente an den Investor zu bringen, weit aus dem Fenster gelehnt ? manchmal zu weit. Wie im Fall Jack White:

Die illustre Persönlichkeit, einst Profifussballer, dann Schlagerkomponist («Schöne Maid»), heute Musikproduzent, liess sich von der Julius Bär Kapitalanlage Fondsanteile im Wert von 3,5 Millionen Euro aufschwatzen. Nur wurde im Emissionsprospekt der Hinweis vergessen, dass der so genannte Creativ-Fonds risikoreich, nämlich primär am Neuen Markt, anlegt (siehe «Die Risiken verschwiegen» auf Seite 138). Nach Verlusten klagte Jack White, bürgerlich Horst Nussbaum, die Bär-Tochter ein ? und erhielt vor fünf Monaten in erster Instanz Recht. Die Sensation war perfekt, Schweizer Bankiers schauten ziemlich konsterniert nach Frankfurt. Die Bank Bär will nun in die zweite Runde. Jack White gibt sich siegessicher. Und wenn er in der zweiten Instanz unterliegen würde? «Dann gehe ich 200-prozentig in die dritte Runde.»

Was noch nachzutragen wäre: Wer gegen seinen Vermögensverwalter vorgehen will, von ihm aber noch Unterlagen benötigt, sollte das Mandat erst kündigen, wenn er das Gewünschte in Händen hält. Denn ein abgesprungener Kunde ist nicht mehr König. Diese Erfahrung machte auch Beatrix Kindler. Als die Anlegerin bei ihrer einstigen Vermögensverwalterin Infidar mit ihren Klagen auf taube Ohren stiess, wandte sie sich an Raymond J. Bär, den frisch gebackenen Verwaltungsratspräsidenten der Julius Bär, und klagte ihm ihr Leid ? schliesslich hält die Privatbank 57 Prozent der Infidar-Aktien. Die Antwort der Bank kam prompt: «Wir haben die Unterlagen eingehend geprüft, können Ihnen jedoch zur gegebenen Zeit keine passende und Ihrer Berufspraxis entsprechende Einsatzmöglichkeit anbieten. Bei der weiteren Stellensuche wünschen wir Ihnen alles Gute und viel Erfolg.»