Herr Hubert, wie geht es den Privatkliniken in der Schweiz?
Den beiden grossen Gruppen – Hirslanden und dem Swiss Medical Network – geht es relativ gut, aber die unabhängigen Kliniken haben Schwierigkeiten.

Woran liegt das? 
Die umfangreichen Regulierungen und Qualitätsanforderungen verursachen einen hohen Personalbedarf und damit entsprechende Kosten, die für unabhängige Kliniken fast nicht zu schultern sind. Zudem ist es für diese Häuser schwierig, mit den Versicherungen gute Verträge zu verhandeln.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Auch den öffentlichen Spitälern geht es nicht besonders gut.
Einige Spitäler sind ineffizient, ich denke insbesondere an das Niveau der Kooperation zwischen den Institutionen. Hier hat man noch ausreichend Spielraum für Verbesserungen. Die Branche hat jahrelang von sehr guten Tarifen profitiert. Jetzt, wo das Geld knapper wird, müssen die öffentlichen Kliniken und Spitäler mehr an den Prozessen arbeiten, an der Polyvalenz der Mitarbeitenden und generell an der Effizienz.

Wo sehen Sie beispielsweise Ineffizienzen?
Schauen Sie sich das Kantonsspital Luzern an. Es hat die Software Epic in den USA gekauft und für 60 Millionen Franken helvetisiert. Unglaublich. Eine Zusammenarbeit mit anderen Institutionen wäre effizienter gewesen. Wie die Kantonalbanken, die sich einst zusammenschlossen für Investitionen in die IT-Branche.

Antoine Hubert

Antoine Hubert, Jahrgang 1966, ist Delegierter des Verwaltungsrates von Aevis Victoria. Der Freiburger Konzern betreibt einerseits Luxushotels wie das «Bellevue» in Bern und das «Victoria Jungfrau» in Interlaken. Insbesondere ist er aber im Gesundheitswesen tätig. Seine Privatklinik-Kette Swiss Medical Network führt 17 Spitäler und Gesundheitszentren, beispielsweise die Klinik Bethanien in Zürich, die Clinique Générale Beaulieu in Genf oder die Schmerzklinik Basel

Wie ginge das konkret?
Ein kleines Spital muss sich auf die einfachen Fälle konzentrieren, und die Unispitäler sollten sich auf die komplexen Fälle ausrichten. Das Problem ist, dass die Unispitäler auch die einfachen Fälle machen, und dies zu hohen Kosten. Und es gibt natürlich viel zu viele Unispitäler. Man braucht in der Schweiz nur zwei. Es ist wie mit der ETH. Wenn wir 26 ETH hätten, wäre die Qualität auch nicht dieselbe. ETH haben wir nur zwei, es gibt einen gesunden Wettbewerb zwischen Lausanne und Zürich, beide sind Weltklasse.

Was sind die aktuellen Trends? Burnout, Schmerzkliniken, Schönheit?
Schönheit machen wir fast nicht. In Basel haben wir eine Schmerzklinik, die funktioniert gut für die ganze Schweiz. Onkologie ist ein grosses Thema, minimalinvasive Kardiologie und auch die Orthopädie. Die Leute wollen ja unbedingt bis zum Alter von achtzig Jahren Ski fahren.

«Es gibt natürlich viel zu viele Unispitäler. Man braucht in der Schweiz nur zwei.»

Sie übernehmen die Klinik Belair in Schaffhausen von Hirslanden. Was können Sie besser?
Wir sind kleiner als Hirslanden und dadurch vielleicht ein wenig agiler, um solch eine Boutique-Klinik zu betreiben. Hirslanden ist ein Konzern mit sehr grossen Spitälern. Allein ihr Spital in Zürich ist ungefähr so gross wie unsere ganze Gruppe. Für solch einen Konzern ist es schwierig, so eine kleine Klinik effizient zu führen. Wir sind dagegen dezentral organisiert, und unsere Struktur erlaubt es uns, dass sich jedes Spital anders aufstellen kann. Wir haben kein Standardorganigramm, das die Verwaltung künstlich aufbläht.

Sie haben im letzten Jahr 15 Millionen Franken Kosten gespart, hauptsächlich in der Verwaltung.
Wir hatten nie eine riesige Verwaltung. Aber es ist richtig, von den 15 Millionen Franken wurden 10 Millionen auf Gruppenebene eingespart. Wir haben die Hierarchien vereinfacht und noch stärker dezentralisiert. Das Marketing beispielsweise war zentral, jetzt ist es lokal, das ist viel effizienter.

Gibt es etwas, was Hirslanden besser macht als Sie?
IT vielleicht, auch ihre Ausbildung ist sehr gut. Man kann viel von Hirslanden lernen.

Klinik Belair Schaffhausen SMN

«Wir sind vielleicht ein wenig agiler»: Klinik Belair in Schaffhausen.

Quelle: PD

Wie wollen Sie Belair positionieren?
Für eine Festlegung ist es jetzt noch zu früh. Wir müssen erst mit den Ärzten und Mitarbeitenden sprechen und auch mit den Zuweisern, den Hausärzten in der Region, um zu verstehen, wie die Bedürfnisse vor Ort aussehen.

Wird Belair mit Spitälern aus Ihrer Gruppe kooperieren?
Auf jeden Fall werden wir mit der Klinik Lindberg kooperieren. Hier gibt es bereits Ärzte, die bei uns in Lindberg arbeiten und gleichzeitig im Belair. Diese Zusammenarbeit werden wir noch intensivieren mit weiteren Ärzten. Ausserdem: Lindberg ist nicht auf der Spitalliste, deshalb können wir dort keine Grundversicherten operieren. Das ist im Belair anders. Unsere Ärzte in Lindberg bekommen die Chance, auch Grundversicherte in der Belair-Klinik zu operieren. Das wird ausserkantonale Fälle nach Schaffhausen bringen.

Planen Sie weitere Übernahmen von unabhängigen Kliniken in diesem Jahr?
Nicht ausgeschlossen. Wir wollen weiterhin wachsen, es gibt noch Kliniken in Basel und Bern beispielsweise und am Bodensee. Aber es sind nicht viele.

«Aus meiner Sicht macht eine internationale Spitalgruppe keinen Sinn, denn es gibt kaum Synergien zwischen den Ländern.»

Hat die Akquisition weiterer unabhängiger Kliniken Priorität?
Wichtig für uns ist eher, medizinische Zentren zu bauen oder zu kaufen. In Genf beispielsweise bauen wir im neuen Bahnhof gerade ein rund 1200 Quadratmeter grosses medizinisches Zentrum.

Warum ist das für Sie so wichtig?
Wir wollen den Direktzugang zu unseren Kunden. Bisher sind wir eher B2B, weil wir darauf angewiesen sind, dass die Hausärzte uns Patienten zuweisen. Wir wollen direkt zu den Kunden.

Sie haben einen französischen Partner in Ihrer Gruppe, hinter Hirslanden stehen Südafrikaner. Warum investieren so viele Internationale ins fragmentierte Schweizer Gesundheitswesen?
Mein Geschäftspartner lebt seit vierzig Jahren in der Schweiz, aber das nur am Rande. Ich glaube, dass die Vision der Südafrikaner war, eine internationale Gruppe zu gründen. Die Schweiz war da eine Gelegenheit, aber sie haben auch in Grossbritannien investiert und im Mittleren Osten. Aus meiner Sicht macht eine internationale Gruppe aber keinen Sinn, denn es gibt so gut wie keine Synergien zwischen den Ländern aufgrund der nationalen Regulierungen. Die Tarifstruktur und die Preise für Medikamente sind beispielsweise in jedem Land festgelegt. Diese können Sie als Gruppe nicht zentral und damit günstig kaufen.

Also war die Idee grundsätzlich falsch?
Ja. Was man machen kann, ist, die Gesundheitsimmobilien in einer Gruppe zu bündeln, denn ein Spital sieht in jedem Land fast gleich aus. Das hat beispielsweise MPT, Medical Property Trust, gemacht, die bei unseren Immobilien eine Beteiligung erworben haben. Aber beim Betrieb eines Spitals gibt es für eine Gruppe fast keine Synergien.

Antoine Hubert Aevis Victoria Swiss Medical Network

«Wenn die Politik nicht involviert ist, kann es ganz schnell gehen»: Antoine Hubert, Swiss Medical Network

Quelle: Fabian Unternährer/13Photo

Wo ist die bessere Marge: im Betrieb oder bei den Immobilien?
Im Betrieb. Es ist wichtig, sich darauf zu konzentrieren. Im stationären Bereich gibt es eine grosse Marge, im ambulanten Bereich gibt es dagegen gar keine. Tarmed ist ein Viertel des stationären Tarifs. Das ist das grösste Problem der Strategie «ambulant vor stationär».

Wie ist das zu lösen?
Wenn wir mehr ambulante Fälle wollen, müssen wir eine Einzelfall-Finanzierung haben. Die gleiche Tarifstruktur für ambulant und stationär. Für Chirurgie mindestens. Alles, was man pauschalisieren kann, muss man machen. Krebs oder innere Medizin kann man nicht pauschalisieren. Aber eine Handchirurgie oder eine Prothese schon. Oder man könnte auch sagen, wenn bei einem Fall normalerweise stationär fünf Nächte veranschlagt sind und das Spital es ohne Übernachtung schafft, gibt es 5000 Franken weniger. Mit einem Zero-Night-DRG-Tarif – also Fallpauschalen – könnten Sie 30 bis 40 Prozent der stationären Fälle auf ambulant umlenken.

So einfach ist das?
Ja, davon bin ich überzeugt. Mit einen Zero-Night-Tarif, der 20 bis 30 Prozent unter dem normalen Preis liegt, werden alle Akteure interessiert sein, ihn zu nutzen. Es wird dann Innovationen geben und neue Techniken, um ambulanter noch besser zu sein.

Was können die Deutschschweizer von der Westschweiz lernen?
Bei uns zum Beispiel werden Hotellerie und Marketing von der Westschweiz aus geführt und Finanzen und Controlling von der Deutschschweiz – so einfach ist das.

«Bei uns werden Hotellerie und Marketing von der Westschweiz aus geführt und Finanzen und Controlling von der Deutschschweiz – so einfach ist das.»

Wenn Sie als Bundesrat für das Gesundheitswesen verantwortlich wären, was würden Sie ändern?
Als erstes würde ich die Governance für Kantonsspitäler ändern. Es darf keinen politischen Einfluss mehr auf sie geben. Man müsste es so machen wie vor 25 Jahren mit den Kantonalbanken. Die Spitäler müssen unabhängig werden mit einem kompetenten Verwaltungsrat und einer klaren Aktiengesellschaftsstruktur. Auch sollten sie die Freiheit haben, in andere Kantone zu gehen, mit anderen Spitälern zu kooperien oder zu fusionieren. Heute ist der Kanton Betreiber und Gesetzgeber. Das geht einfach nicht. Die Änderung wäre der erste Schritt für ein gesundes Gesundheitssystem in der Schweiz.

Im Kanton Bern sind die Spitäler relativ unabhängig.
Und genau deshalb konnten wir dort vor fünf Jahren innerhalb von zwei Wochen eine Kooperation mit dem Hôpital du jura bernois eingehen, um gemeinsam eine Radiologie zu betreiben. Wenn die Politik nicht involviert ist, kann es ganz schnell gehen.

Was würden Sie noch ändern?
Es sollte Vertragsfreiheit geben zwischen den Leistungserbringern und den Versicherungen. Heute muss das System auch die schlechten Akteure finanzieren. Jede Versicherung sollte entscheiden könnten, mit welchem Spital und mit welchen Ärzten sie zusammenarbeiten will. Die Versicherungen haben im heutigen System keine Verantwortung für das Outcome. Sie müssen sowieso für die Ärzte und Spitäler bezahlen. Sie haben nur einen sehr geringen Einfluss auf die Qualität.

Was für ein Modell stellen Sie sich vor?
Ich bin überzeugt vom Modell von Kaiser Permanente in den USA. Wie ist denn die Situation bei uns: Ein Bürger, wenn er noch nicht Patient ist, wählt eine Versicherung, in der Regel über den Preis. Erst wenn er ein Gesundheitsproblem hat, interessiert ihn auch der Leistungserbringer. Aber ihn interessiert dann nicht mehr die Versicherung. Dadurch besteht ein Interessenkonflikt zwischen Leistungserbringer und Versicherung. Bei Kaiser Permanente ist das anders. Der Bürger wählt einen Gesundheits-Plan. Aufgrund dieses Planes hat er Zugang zu definierten Leistungserbringern, deren Qualität ständig gemessen und ausgewiesen wird. Wenn die Mitglieder helfen, Kosten zu reduzieren, sinken auch die Prämien. Es gibt im System ein Interesse, dass die Leute gesund bleiben, und eine gezielte Vorsorge, um die Kosten niedrig zu halten.

«Bei Kaiser Permanente ist der Hausarzt eine Art Care-Navigator. Er verliert nie den Kontakt zu seinem Patienten, er weiss immer, was der Patient für eine Behandlung erhält.»

Ist das Ihr Ziel für das Swiss Medical Network?
Ja, das ist es nach wie vor. Aber wir brauchen dazu eine Versicherung, die bereit ist, solch ein Produkt anzubieten.

Was hindert Sie noch daran, ein Kaiser-Permanente-Modell in der Schweiz einzuführen?
Man braucht Ärzte, die bereit sind mitzumachen. Für die Ärzte ist das ein gravierender Wandel – von einem Fee-for-Service-Modell, das wir heute haben, zu einer Pauschale pro Mitglied. Bei Kaiser Permanente hat ein Hausarzt eine Population von 2500 Mitgliedern, die er behandeln muss. Er bekommt die Daten zu diesen Mitgliedern und kann dann Präventionsmassnahmen organisieren. Oder wenn er in den Daten bei einem Patienten sieht, dass etwas nicht stimmt, kann er ihn anrufen. Der Hausarzt ist eine Art Care-Navigator. Er verliert nie den Kontakt zu seinem Patienten, er weiss immer, was der Patient für eine Behandlung erhält. Im Schweizer System kann ein Patient zu verschiedenen Ärzten gehen, ohne dass sie voneinander wissen, und es könnte sein, dass eine Therapie nicht kompatibel mit der anderen ist.

Die Digitalisierung kann das aber bei uns schnell ändern.
Bei Kaiser ist die Digitalisierung essentiell. Sie haben ein zentrales Kaiser Connect System, und alle Akteure inklusive der Mitglieder haben Zugang zu den Daten. Da gibt es keine doppelten oder dreifachen Laboruntersuchungen wie bei uns. KP ist ein integriertes System, bei dem der Arzt mitdenkt und auch ein Interesse hat, die Kosten zu senken.

Wer wäre Ihr Wunschpartner für solch ein System – eine Versicherung?
Die Krankenversicherungen dürfen ja heute per Gesetz nicht mehr als fünf Prozent in einen Leistungserbringer investieren. Die Krankenkassen werden es wahrscheinlich schwer haben, sich einem solchen disruptiven System anzuschliessen. Aber es könnte eine andere Versicherung sein wie Axa, Basler, Mobiliar. Man kann sich auch vorstellen, mit einem Partner zu fusionieren, etwa einem Arzt-Zentrum-Betreiber.

Wird in der Schweiz zu viel operiert?
Im stationären Bereich auf jeden Fall. Das ergibt sich aus unserer Struktur und dem Tarifsystem. Bei Kaiser Permanente gibt es 12,2 Millionen Mitglieder, 22'000 Ärzte und 40 Spitäler. In der Schweiz haben wir 8,4 Millionen Einwohner, 37'000 Ärzte und 281 Spitäler. Die Hospitalisierungsquote bei uns ist rund 15 Prozent. Von hundert Leuten gehen jedes Jahr 15 ins Spital. Bei Kaiser ist es 1,5 Prozent. 

Clinique Genolier Suite

Patientensuite im Stammhaus von Swiss Medical Network, der Clinique de Genolier.

Quelle: PD

In der Schweiz versucht man, die Kosten mit Tarifsenkungen in den Griff zu bekommen.
Die bringen doch nichts. Ein guter Arzt verdient 500'000 Franken im Jahr. Wenn Sie die Honorierung reduzieren, arbeitet er mehr, macht einfach mehr Untersuchungen, um seine 500'000 zu halten. Unser System ist das Problem. Ein Patient sagt nicht zum Arzt: «Machen Sie diese Untersuchung jetzt mal besser nicht.»

Solch ein System wie Kaiser Permanente in den USA könnte ja auch der Staat organisieren.
Daran glaube ich nicht, dann bekommen wir ein System wie in Grossbritannien mit dem NHS, dem nationalen Gesundheitssystem. Ich bin davon überzeugt, dass Private das viel besser organisieren können. Zudem brauchen wir nicht nur ein System, sondern mehrere, staatliche und private.

Welches sind bei Ihnen die wichtigsten Digitalisierungsprojekte?
Priorität war: Das Papier muss weg von den Prozessen. Das haben wir vor drei Jahren begonnen. Wenn eine Fachkraft Gesundheit heute eine Leistung erbringt, gibt sie das gleich auf einem Tablet ein. Ein weiteres Projekt war ein einheitliches Datennetz. Sie müssen wissen: In einem Spital gibt es rund 40 verschiedene Informationssysteme beziehungsweise Applikationen. In unserer Gruppe gibt es insgesamt rund 160 verschiedene Programme, und es ist sehr schwer, das zu ändern. Es gibt regionale Unterschiede, unterschiedliche Sprachen. Das haben wir in einer Datenbank integriert.

Haben Sie das mit externer Hilfe gemacht oder intern entwickelt?
Dafür haben wir ein Startup gegründet.

Wer verantwortet in Ihrer Gruppe die Digitalisierung?
Für Digitalisierung bin ich direkt verantwortlich und habe ein kleines, agiles Team, dass mich unterstützt.

Sie haben mal gesagt, das Schweizer Gesundheitssystem ist gut finanziert, aber keiner versteht es. Wie haben Sie das gemeint?
Es gibt so viele kantonale Akteure, die nur auf ihre Kantone fokussiert sind und nicht wissen, was sonst passiert. Es gibt doch die GDK. Die Konferenz der Gesundheitsdirektoren, aber die vertiefen keine Themen.

Lunch Topics: Scharfe Business-News
Ihnen gefällt diese Artikel-Auswahl? Abonnieren Sie den Newsletter der «Handelszeitung»-Chefredaktion, werktags zur Mittagszeit.