Der Genfer Luxusgüterkonzern Richemont hat unruhige Zeiten hinter sich: Er hat das Führungspersonal fast komplett ausgewechselt. Unter anderem hat Präsident Johann Rupert den langjährigen Spitzenmanager Georges Kern in die Wüste geschickt – ein Paukenschlag. Ausserdem hat Richemont die Lederwarenmarke Lancel verkauft, den E-Commerce-Riesen Yoox Net-a-Porter ganz übernommen plus den britischen Uhrenhändler Watchfinder – ein Spezialist für Secondhand-Uhren – gekauft. Und das alles innerhalb von wenigen Monaten.

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Nur etwas blieb bei allen Veränderungen gleich: Es ist die Familie Rupert, welche die Geschicke von Richemont bestimmt. In erster Linie natürlich Präsident Johann Rupert. In zweiter Linie sein Neffe Jan Rupert, der ebenfalls im Aufsichtsgremium sitzt. Und in dritter Linie sein Sohn Anton Rupert. Auch er ist seit letztem Jahr Verwaltungsrat des Konzerns.

Angelpunkt der Digitalstrategie

Doch nun setzt Vater Johann noch stärker auf Sohn Anton. Mitte Juli ist der 31-Jährige Verwaltungsrat von Watchfinder geworden, wie aus Dokumenten im britischen Handelsregister hervorgeht.

Zwar ist das britische Unternehmen klein, es dürfte dieses Jahr rund 160 Millionen Franken umsetzen – Peanuts in einem Milliardenkonzern wie Richemont. Man könnte also unterstellen, dass Johann Rupert seinen Sohn auf eine unbedeutende Spielwiese schickt. Doch das wäre nicht nur böswillig, sondern schlicht falsch: Denn Watchfinder wird in Richemonts Digitalstrategie eine Schlüsselrolle spielen. Und folglich auch Anton Rupert, mit vollem Namen Anthony Edward Rupert.

Secondhand-Markt ist wichtig

Warum aber ist der finanziell kleine Watchfinder-Deal – Richemont dürfte rund 20 Millionen Franken bezahlt haben – strategisch so bedeutsam? Erstens, weil mit Richemont erstmals ein relevanter Player im Uhren-Business – zum Konzern gehören bedeutende Marken wie IWC, Vacheron Constantin oder Jaeger-LeCoultre – die Bedeutung des Secondhand-Marktes erkannt hat und darin eine tragende Rolle spielen will. Bislang haben einzig François-Henry Bennahmias von Audemars Piguet, Jean-Claude Biver von Hublot, Zenith und TAG Heuer sowie Rolf Studer von Oris erste zaghafte Versuche in dem Geschäft unternommen. Aber alle offline und auf ganz kleiner Flamme.

Gelingt es Richemont – und davon ist auszugehen –, Watchfinder in den nächsten Jahren international zu etablieren, könnte der Konzern Plattformen wie Chrono24, Watchbox, Tourneau (Teil von Bucherer) oder Chronext Paroli bieten und damit wenigstens einen Teil der Wertschöpfung zurück in die Schweiz holen. Das kann sich lohnen: Mit neuen Uhren setzt der Schweizer Hersteller rund 20 Milliarden Franken um, der Secondhand-Markt ist laut Schätzungen zehnmal grösser.

Online bietet neue Möglichkeiten

Zweitens: Dank Watchfinder eröffnen sich Richemont neue Möglichkeiten im Online-Geschäft. Die Genfer besitzen mit Yoox Net-a-Porter nicht nur den grössten Online-Shop für Luxusgüter, sondern mit Mr Porter auch den wichtigsten Online-Herrenausstatter, der das Geschäft mit Uhren gerade sehr erfolgreich ausbaut. Watchfinder lässt sich problemlos in dieses Geschäftsfeld integrieren – und die Segmente könnten sich gegenseitig beflügeln. Ein Beispiel: Mr Porter könnte für Kunden in grossen Städten Uhren-Events anbieten, an denen sich Aficionados über Vintage-Uhren austauschen. Watchfinder würde die entsprechenden Stücke anliefern und verkaufen.

Drittens: Wie mit Yoox Net-a-Porter in der Mode etabliert sich Richemont mit Watchfinder im Uhren-Business als Händler von Drittmarken. Auf dem Secondhand-Markt sind Rolex, Omega oder Breitling sehr gefragt. Findet Watchfinder nun einen neuen Besitzer für eine Rolex oder eine Omega aus zweiter Hand, zahlt das auch auf die Richemont-Bottomline ein. Der Konzern profitiert von der Strahlkraft von Marken, die ihm nicht gehören.

Kontrolle des Graumarktes

Viertens schliesslich eröffnet Richemont der Besitz von Watchfinder auch ganz neue Möglichkeiten, den Markt für neue Uhren zu steuern. Rupert und seine Crew könnten den Verkauf von neuen Modellen zum Beispiel mit der Möglichkeit ankurbeln, alte Uhren einzutauschen. Richemont müsste dann weniger unverkauftes Inventar von Händlern zurückkaufen. Das hat die Konzernergebnisse in den letzten Jahren mit einem dreistelligen Millionenbetrag belastet. Zudem bekommt Richemont mehr Kontrolle über die Preise im Secondhand-Markt und im Geschäft mit neuen Uhren. Das schützt den Wert der eigenen Marken.

Fünftens: Mit Watchfinder findet Richemont Zugang zu Kunden, die sich aus finanziellen Gründen keine neue Uhr leisten würden. Das eröffnet Chancen zum Upselling. Denn: Einmal angefixt, kommen viele Konsumenten nicht mehr so schnell von mechanischen Uhren los.
Kurz: Mit seinem neuen Mandat übernimmt Anton Rupert eine höchst relevante Funktion im Konzern. Und kann sich als Mann der Zukunft positionieren.

Marcel Speiser Handelszeitung
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