Für die Computerwelt war der 1. August ein Schock: Er sei eben wegen einer Krebserkrankung an der Bauchspeicheldrüse operiert worden, teilte Apple-Chef Steve Jobs den Angestellten per E-Mail vom Krankenbett aus mit, und benötige nun einige Wochen Rekonvaleszenzzeit. Eigentlich eine gute Nachricht, denn der Tumor, in 99 Prozent aller Fälle tödlich, wurde so früh entdeckt, dass ihn die Ärzte spur- und laut Prognose folgenlos herausoperieren konnten. Trotzdem tauchte der Kurs der Apple-Aktie um zweieinhalb Prozent.

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Die Börsenreaktion zeigt, wie sehr das Schicksal des Computerherstellers nach wie vor mit demjenigen seiner Überfigur Steve Jobs (49) verknüpft ist. Doch die kleine Delle im Aktienkurs kann Apple verkraften: In den letzten zwölf Monaten stieg der Börsenwert um 56 Prozent – so viel wie bei keinem anderen Computerhersteller. Das machte Steve Jobs zum bestverdienenden Manager des Silicon Valley, obwohl sein Grundgehalt nur einen Dollar beträgt: Für 75 Millionen Dollar konnte er Aktienoptionen einlösen. Dank Apples Erfolg im Musikmarkt.

Mit dem tragbaren Musikplayer iPod hat das Unternehmen aus Cupertino, Kalifornien, aus dem Nichts völlig neue Märkte geschaffen: 3,8 Millionen Mal wurde das Gerät bislang verkauft, sorgt damit inzwischen für 14 Prozent des Gesamtumsatzes und wirft satte Gewinne ab. Für den neuen Mini-iPod gibt es wochenlange Wartelisten. Die Apple-übliche Mischung aus Branding, Design, Fashion und Technologie machten die Geräte zu Stilikonen. Modedesigner Karl Lagerfeld kaufte gleich 60 Stück und entwarf für Fendi eine 1500 Dollar teure Tasche, die zwölf iPods fasst. Manchem Musikfan wurde der Player mit den charakteristisch weissen Kopfhörern sogar mit vorgehaltener Waffe von den Ohren geklaut. «Die iPod-Generation hat die Nintendo-Generation abgelöst», jubelt Pascal Cagni, Apples Europachef.

Der iTunes Music Store, in dem die iPod-Nutzer im Internet aus einer Kollektion von einer Million Songs legal ihre Lieblingsstücke herunterladen können, ist ein ähnlicher Erfolg: Weit über 100 Millionen Downloads verzeichnet er seit der Lancierung vor eineinhalb Jahren, 5 Millionen davon in Deutschland, Frankreich und Grossbritannien binnen zehn Wochen nach dem Start Mitte Juni. (Die Lancierung des Schweizer Music Store wird für Anfang nächsten Jahres erwartet, auch wenn Apple wegen der schwierigen und national jeweils einzeln zu führenden Verhandlungen um Musikrechte keinen offiziellen Termin nennen will.)

Jetzt, nachdem Steve Jobs den Weg geebnet hat, drückt auch die Konkurrenz auf den Markt. Weit über 100 legale Downloadsites finden sich inzwischen im Internet. Noch macht dieser Vertriebsweg weltweit erst zwei Prozent des Musikmarktes aus. Aber das Wachstumspotenzial ist gross. Apples Music Store ist mit einem Marktanteil von 70 Prozent bei weitem der grösste. Platz zwei hält die Firma Loudeye, die den von den Rockstars Peter Gabriel und Brian Eno gegründeten Online-Dienst OD2 betreibt. OD2 verkauft das Angebot nur indirekt: Coca-Cola, MTV oder Media Markt bieten auf ihren Websites die über eine Million Songs umfassende OD2-Kollektion an. In der Schweiz greift Citydisc auf OD2 zurück und betreibt damit die hier zu Lande bislang einzige kommerzielle Downloadsite.

Auch auf Sony schaut die Musikwelt. Der Unterhaltungselektronikriese wäre dank seinem eigenen Plattenlabel Sony Music eigentlich prädestiniert dazu gewesen, auf dem Downloadmarkt die Vorreiterrolle zu spielen. Doch da sich die Konzernstrategen mehr ums Copyright ihrer Musiktitel als um die Erwartungen der Kunden sorgten und zudem nicht genug Titel von anderen Plattenlabels anbieten konnten, scheiterte der hauseigene Musikdienst Pressplay kläglich. Jetzt nimmt das Unternehmen mit dem Sony Connect Music Store und neuen, speziell darauf abgestimmten Musikplayern einen zweiten Anlauf.

Die grösste Gefahr für Apple kommt jedoch vom ewigen Widersacher Microsoft. Gerade hat der Softwareriese aus Redmond auf seinem amerikanischen Onlineportal MSN einen eigenen Musikdienst aufgeschaltet, auf dem im Endausbau ebenfalls über eine Million Songs zum Stückpreis von 99 Cent angeboten werden sollen. Europäische und also auch Schweizer Starttermine sind noch nicht bekannt, aber der weltgrösste Softwarekonzern wird sich auch in diesem Markt nicht mit einer Nebenrolle zufrieden geben: «Wir wollen Apple in Europa schlagen», sagt Arndt Salzburg, Regional Manager Entertainment Europe bei Microsoft.

Der grosse Vorteil des Softwaregiganten: Er kann den Zugang zu seinem virtuellen Musikladen direkt in Windows implementieren, ähnlich, wie es das Unternehmen beispielsweise mit seinem E-Mail-Dienst Hotmail gemacht hat. Vor allem aber liefert MSN die Songs im Windows-Standard, sodass sie auf jedem Windows-Gerät abgespielt werden können. Bereits sind über 70 tragbare Musicplayer der verschiedensten Hersteller damit kompatibel, zudem alle Handys und Organizer, die auf Windows-Basis arbeiten.

Apple hingegen verwendet ein proprietäres – also eigenes – Format: Ein Song aus dem Apple Music Store kann nur auf dem Apple iPod wiedergegeben werden, und andersherum akzeptiert der iPod keine Musik aus einem anderen Onlineshop (bei Sony verhält es sich ähnlich). «Viele Konsumenten realisieren nicht, dass sie bei Apple ein proprietäres Musikformat kaufen. Apple hat gute Software, aber es wäre toll, wenn diese Software auch mit anderen Geräten funktionieren würde», kritisiert Michael Dell, Gründer und Chef des gleichnamigen Computerherstellers, gegenüber der BILANZ die Apple-Politik.

Die unterschiedlichen Strategien sind indes logisch: Bei Microsoft solle das Musikangebot die Surfer in erster Linie auf das eigene Internetportal MSN locken und sie mit E-Commerce-Transaktionen vertraut machen, heisst es in Redmond. Bei Apple hingegen soll der Music Store die Besucher primär zum Kauf eines iPod bewegen. «Da wollen wir das Geld verdienen», sagt Europa-Chef Pascal Cagni. Schliesslich ist das Downloadgeschäft nur für die Plattenfirmen wirklich lukrativ. Sie bekommen rund 65 der 99 Cent, die ein Song im Onlineshop in der Regel kostet. Nach Abzug von Kreditkarten- und Distributionskosten bleiben Apple und Co. rund 10 Cent. «Mit einem Online-Musikladen verdient man nicht viel Geld», sagt Steve Jobs. «Wir sind die grössten, wir sind knapp profitabel, aber alle anderen müssen Geld verlieren.» Das bestätigt Christian Fankhauser, Geschäftsführer von Citydisc: «Wir haben 1000 Downloads pro Tag und sind damit bei weitem nicht profitabel. Der Schweizer Markt ist sehr eng.»

Um das grosse Geld zu machen, muss Apple also den Music Store und das dazugehörige Musikformat AAC als Marktstandard gegen den Ansturm von Microsoft, Sony und die ganze übrige Konkurrenz verteidigen. Erfahrungen, wie man es besser nicht machen sollte, konnte Apple bereits einmal sammeln: In den Achtzigerjahren führte die Firma aus Cupertino mit einem Marktanteil von 16 Prozent den damals stark zersplitterten Computermarkt an. Doch da man die Kontrolle über die Technologie behalten wollte, weigerte sich Apple, das Betriebssystem an andere Anbieter zu lizenzieren und so die Plattform zu vergrössern. Gleichzeitig schreckte Apple die Kunden mit hohen Preisen ab. Und so setzte sich die billigere Kombination aus Intel-Prozessor und Microsoft-Betriebssystem als Standard durch.

Diesmal scheint Apple aus den Fehlern gelernt zu haben. Zwar sind auch die iPods preislich sehr hoch positioniert, aber dank der ungebrochen hohen Nachfrage kann sich Apple Margen von saftigen 23 Prozent erlauben. «Wenn die Nachfrage eines Tages abnimmt, haben wir durchaus noch Möglichkeiten, dies preislich wieder auszugleichen», sagt Cagni. Im Gegensatz zur Vergangenheit aber ist das Unternehmen heute bereit, seine Technologie breit zu streuen. Als sich der Erfolg des iPod abzeichnete, sprang Apple über den eigenen Schatten und entwickelte eine Windows-Version.

«Natürlich haben wir lange nachgedacht. Wir hatten ja erlebt, dass viele Leute bereit waren, einen Mac zu kaufen, nur damit sie sich einen iPod zulegen können», sagt Steve Jobs. Heute verkauft sich mehr als die Hälfte aller iPods an Windows-User – und in Zukunft werden es noch deutlich mehr sein: Im Januar unterzeichnete Jobs mit HP-Chefin Carly Fiorina ein Abkommen, wonach iTunes Music Store auf allen HP-Rechnern vorinstalliert wird. Das sind neun Millionen Computer jährlich, dreimal mehr, als Apple selber verkauft. Zudem darf der zweitgrösste Computerhersteller der Welt den iPod in Zukunft selbst vermarkten; der HPod, wie er in der Szene genannt wird, unterscheidet sich dabei nur durch das zusätzliche Logo auf der Rückseite vom Original.

Ein cleverer Schachzug: Durch die Zusammenarbeit hat Apple einen potenziellen Konkurrenten, der sonst traditionell mit Microsoft paktiert, zum Partner gemacht. Auch mit Motorola, dem zweitgrössten Handyhersteller der Welt, kooperiert Apple, damit die Songs aus dem iTunes-Plattenladen in Zukunft auch auf dem Mobiltelefon abspielbar sind (Weltmarktführer Nokia hat sich mit Loudeye zusammengetan). All diese Kooperationen helfen nicht nur, das Apple-Format als Standard im Musikmarkt zu etablieren, sondern bringen auch Lizenzeinnahmen – wie übrigens auch die inzwischen über 250 Zubehörteile wie Fernbedienungen oder Lautsprecher, die Drittfirmen für den iPod anbieten.

Reichen diese Kooperationen, um Apples Marktstellung zu festigen, bevor die Microsoft-Welle anrollt? Zwar hat Apple einen gewaltigen Startvorteil. «Aber es gibt genug Leute, die noch keinen Player gekauft haben, sodass wir uns um die installierte Basis der iPods nicht sorgen», sagt Yusuf Mehdi, Chef von MSN.

In der Tat: Bislang haben sich erst 0,5 Prozent der PC-Benutzer einen Musikplayer zugelegt (in der Schweiz sind es 3 Prozent aller Haushalte). Entscheidend wird sein, ob die Konkurrenz ähnlich gut gestylte und leicht zu bedienende Geräte auf den Markt bringen kann wie Apple. Momentan ist das noch nicht der Fall. «Solange kein dem iPod vergleichbarer Player auf dem Markt ist, wird Microsoft Apple die Führungsposition nicht abnehmen können», sagt Phil Leigh vom US-Marktforschungsunternehmen Inside Digital Media. Doch bislang, das zeigt die Computergeschichte, haben sich die wenigsten proprietären Formate am Schluss durchsetzen können. «Ich weiss nicht, wie lange es dauert, aber die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass sich die Geschichte des PC auch im Musikgeschäft wiederholt», sagt Michael Dell.

Die loyalen Apple-Fans hoffen indes, dass das Unternehmen seinen Startvorteil im Musikmarkt auch in höhere Computerverkäufe umsetzen kann. 1,8 Prozent weltweiter Marktanteil vermelden die letzten erhältlichen Zahlen des Marktforschungsinstitutes IDC; Apple belegt damit nur noch Platz zehn unter den grössten Computerherstellern. «In den Nischen, in denen wir antreten, sind wir führend», sagt Cagni. Aber je weniger Marktanteil Apple hat, desto weniger Softwarefirmen werden ihre Anwendungen auch für den Mac entwickeln, desto weniger Grund gibt es, einen Mac zu kaufen – eine potenzielle Todesspirale. Werden sich Windows-User durch den iPod zum Macintosh bekehren lassen? «Wir sind sehr optimistisch», sagt Cagni. «Wir haben noch nie so viele Macs verkauft, allein im letzten Quartal sind die verkauften Stückzahlen um 14 Prozent gestiegen.»

Schon wahr, aber der Weltmarkt für Computer ist im selben Zeitraum sogar um 15 Prozent gewachsen. Immerhin konnte Apple damit zum ersten Mal seit drei Jahren in einem Quartal den Marktanteil annähernd stabil halten. Und Apple ist neben Dell der einzige PC-Hersteller, der gutes Geld verdient. «Der Erfolg im Musikgeschäft hilft der Marke Apple. So kann das Unternehmen auch in Zukunft für seine Rechner Premiumpreise verlangen», sagt Ranjit Atwal, Analyst bei IDC. Ob Apple dadurch aber auch wieder Marktanteile gewinnen kann, muss sich erst noch zeigen.

Bisweilen tritt nämlich auch der gegenteilige Effekt ein. Da Apple seit einem Jahr einen grossen Teil der Managementkapazität und fast das gesamte Marketingbudget (geschätzte 200 bis 250 Millionen Dollar) in den Musikbereich investiert, sorgt sich manch professioneller Benutzer um die zukünftige Ausrichtung des Unternehmens. Wie also sieht Apple in drei Jahren aus? «Ich weiss es nicht», sagt der weltweite Verkaufschef, Tim Cook, «aber sowohl das Computer- als auch das Musikgeschäft sind extrem wichtig für uns. Wir stellen nicht eines über das andere.» Nicht jeder will es glauben: Auch wegen dieser Unsicherheit haben die vier grössten Verlagshäuser der Schweiz kürzlich ihren strategischen Ausstieg aus der Mac-Welt angekündigt. «Das sind Einzelfälle, und sie verabschieden sich auch nicht zu 100 Prozent von Apple», versucht Pascal Cagni zu beschwichtigen. «Mit unseren neuen Produkten geben wir den professionellen Kunden das klare Signal, dass wir ihnen verpflichtet bleiben.»

Noch schwerer hat es das Unternehmen ausserhalb seiner traditionellen Nischen im Bildungsbereich, im Medien- oder im Musikgeschäft. Obwohl die Produkte im Server- und Storagebereich technisch attraktiv sind, ist kaum ein IT-Manager zum Umstieg auf Apple zu bewegen. Der Trend in den Data-Centern geht in Richtung billiger Massenware von Dell und Co. Für cooles Design und verspielte Benutzeroberflächen will in diesem Bereich niemand einen Aufpreis zahlen.

Wenn überhaupt, wird der Erfolg des iPod am ehesten aufs Consumer-Geschäft abstrahlen. Nicht umsonst wird der neue iMac mit dem Slogan «Von den Designern des iPod» beworben. Auch preislich macht Apple Druck. Jahrelang hat man die Computerbenutzer gemolken, um damit die Innovationen auch im Musikmarkt zu finanzieren. Im Schnitt, errechneten die Analysten, war ein Mac zuletzt 400 Dollar teurer als ein vergleichbarer Windows-Rechner (eingefleischte Mac-Fans protestieren hier natürlich, dass die beiden Systeme gar nicht miteinander vergleichbar seien). Den neuen iMac G5 bringt Apple 500 Dollar günstiger als das Vorgängermodell in den Handel und schliesst damit zur Windows-Welt auf.

Dafür bringt das Musikgeschäft umso mehr Geld: 2,4 Milliarden Dollar Umsatz und 121 Millionen Dollar Reingewinn, schätzt Merrill-Lynch-Analyst Steven Milunovich, werden iPod und iTunes übernächstes Jahr erzielen, doppelt so viel wie heute. Damit hat sich das Unternehmen endgültig eine neue Nische geschaffen, in die es sich in den nächsten ein bis zwei Jahren einnisten kann – bis der ewige Apple-Kreislauf von Innovation, Nachahmung und Verdrängung von neuem losgeht.

Um seinen Erfolg im Musikmarkt zu komplettieren, hat Steve Jobs freilich noch eine Pendenz zu erledigen: Seit Jahren streitet er sich mit Apple Corp., der Plattenfirma der Beatles. Die hatte Jobs die Verwendung des Früchtenamens nur so lange zugestanden, wie er sich vom Musikgeschäft fernhielt. Dagegen, argumentiert die Plattenfirma, verstiessen iPod und iTunes. Doch jetzt, heisst es in Branchenkreisen, stehe man unmittelbar vor einer aussergerichtliche Einigung. 30 Millionen Dollar soll sie Jobs wert sein. Eine Rekordsumme für einen Namensstreit. Doch dafür kann er dann endlich auch die Songs der erfolgreichsten Band aller Zeiten online verkaufen.