Thomas Jordan musste bereits öffentlich die Arbeitskultur der Schweizerischen Nationalbank (SNB) verteidigen. Laut Medienberichten werden Frauen unter seiner Führung diskriminiert. Nun nimmt der Gesetzgeber die Angelegenheit unter die Lupe, und Jordan soll am Montag mit dem Aufsichtsgremium – dem Bankrat –zusammentreffen, um zu erörtern, ob die Vorwürfe begründet sind.

«Die SNB kann sich einen solchen Schlag gegen ihren Ruf nicht leisten», sagt FDP-Nationalrätin Susanne Vincenz-Stauffacher in einem Interview. «Das ist ein Weckruf für den Bankrat der SNB

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Eine Sprecherin der Nationalbank lehnte einen Kommentar zum bevorstehenden Treffen ab.

Der Sturm, der sich hinter der strengen Fassade des Zürcher Hauptsitzes aus den 1920er Jahren zusammenbraut, ist eine peinliche Angelegenheit für eine der wichtigsten Institutionen des Landes. Der Zeitpunkt ist denkbar ungünstig: Die Währungshüter versuchen, sich darauf zu konzentrieren, die Schweiz durch den schlimmsten Konjunktureinbruch seit Jahrzehnten zu führen.

Vorwürfe von Mobbing und Lohndiskriminierung

Die Aufregung nahm ihren Anfang mit einem Artikel der «Republik», in dem Mobbing und Lohndiskriminierung von weiblichen Angestellten beschrieben wurden. Seither berichteten weitere Medien darüber.

Eine Reihe von Parlamentarierinnen haben nun eine Motion eingereicht, in der sie die Nationalbank fragen, wie sie die Zahl der Frauen in ihren Führungsgremien erhöhen will, was sie gegen Missstände unternimmt und ob sie einen Ombudsmann hat, der sich mit Beschwerden befasst.

Seit dem Skandal um Jordans Beförderung zum Präsidenten im Jahr 2012, nachdem sein Vorgänger Philipp Hildebrand wegen umstrittener Devisengeschäfte zum Rücktritt gezwungen worden war, stand die Nationalbank nicht mehr vor einer solchen personellen Kontroverse.

Mehr Bewusstsein für weibliche Diskriminierung

Die Vorwürfe der «Republik» haben einen Nerv der SNB getroffen, und das in einer Zeit, in der das Bewusstsein für die Barrieren, vor denen Frauen in der Wirtschaft stehen, geschärft wurde.

Eine Umfrage der American Economic Association aus dem Jahr 2019 ergab, dass fast die Hälfte der weiblichen Ökonominnen geschlechtsspezifischer Diskriminierung, einschliesslich Übergriffe und Belästigungen, ausgesetzt waren.

Die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde als erste Chefin dieser Institution, zeigt den Mangel an Frauen in solchen Positionen anderswo. Auch das sechsköpfige EZB-Direktorium hat mit der Ernennung von Isabel Schnabel Neuland betreten und die Zahl der Frauen erstmals auf zwei erhöht.

Mehr Frauen in anderen Zentralbanken

Im Gegensatz dazu waren die Chefs der SNB immer nur männlich, und obwohl der Anteil weiblicher Führungskräfte in der SNB zugenommen hat, liegt er immer noch hinter dem anderer Notenbanken in Europa zurück.

Andréa Maechler, die erste Frau im dreiköpfigen Rat der Zentralbank, wurde erst 2015 ernannt. Die EZB und der geldpolitische Ausschuss der Bank of England hatten bereits bei ihrer Gründung in den 1990er Jahren jeweils weibliche Entscheidungsträger. 

Thomas Jordan wies bereits vor einigen Wochen die Vorwürfe eines Kulturproblems zurück und sagte, Mobbing, Sexismus und Diskriminierung jeglicher Art würden bei der SNB nicht toleriert und es gebe kein systemisches Problem. Dennoch gehen Beamte den Vorwürfen nach.

SNB-Bankrat untersucht die Angelegenheit

Der Bankrat der SNB, der eine Schlüsselrolle beim Rücktritt von Hildebrand und bei der Ernennung von Maechler spielte, untersucht die Angelegenheit nun ebenfalls.

Er hat zwar keine Anzeichen von unfairer Behandlung festgestellt, «das heisst aber nicht, dass wir diese Vorwürfe nicht ernst nehmen», sagte Bankrat-Präsidentin Barbara Janom Steiner in einem Interview.

Der Bankrat werde sich auch damit befassen, warum es bei der SNB weniger Frauen in Führungspositionen gibt als bei anderen Zentralbanken und ob dies nur ein Spiegelbild der Schweizer Gesellschaft und des Arbeitsmarktes sei oder nicht, sagte sie.

(bloomberg/mlo)