Die Versorger-Aktien pflegten jahrelang ein Mauerblümchendasein. Jetzt aber sind sie erwacht. Der Energiekonzern Atel demonstriert dies eindrücklich. Innerhalb von zwölf Monaten hat sich der Kurs fast verdoppelt. Der rasante Anstieg hat mehrere Gründe. Zum einen bleibt Strom vorab in den Spitzenzeiten ein knappes Gut; zum anderen wertet die Diskussion um das vorzeitige Abstellen von Kernkraftwerken die Wasserkraft markant auf. Davon kann die Aare-Tessin AG für Elektrizität (Atel) mit ihren gewichtigen Beteiligungen an Hoch- und Niederdruckanlagen speziell profitieren.

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Mit dem Verwahren dieses historisch gewachsenen Schweizer Portfolios hat sich das Management in der jüngsten Vergangenheit aber nicht zufrieden gegeben. Die gezielte Expansion nach Italien, Ungarn und Tschechien hat der Atel einen Platz in der Topliga europäischer Versorger gebracht. Mit der erstmaligen Konsolidierung der beiden Kraftwerkskomplexe Csepel in Ungarn und ECKG in Tschechien sowie der Stromhandelsgesellschaft im gleichen Land ist der Umsatz um 43% nach oben geschnellt. Der gute Geschäftsabschluss in den vor zwei Jahren erworbenen osteuropäischen Gesellschaften, gepaart mit dem Wachstum des Stromhandels, sorgte gleichzeitig für einen Gewinnanstieg um 60% auf 272 Mio Fr.

Tiefer Free Float

Für Sven Bucher, Chefanalyst bei der Zürcher Kantonalbank, kommt die gute Performance nicht überraschend:«Sämtliche Titel der Energieunternehmen sind lange Zeit zurückgeblieben.» Spätestens seit die BKW im letzten Sommer zusätzliche Aktien aus dem Bestand des Mehrheitsaktionärs Kanton Bern im Publikum platzierte, stieg auch das Interesse an den Strompapieren. Teils massive Kurssprünge in dieser Titelkategorie waren die Folge. Der geringe Free Float von lediglich 9% wird auch bei Atel als Handicap betrachtet. Hauptaktionär Motor-Columbus (56,7%) dürfte in der jetzigen Situation kaum Aktien abgeben. Die drei wichtigsten Partner UBS (35,6%), RWE (20%) und Electricité de France (20%) sind bis 2006 durch einen Aktionärsbindungsvertrag eingeschränkt.

Bis die Liberalisierung des Strommarktes 2007 in den EU-Staaten kommt, versucht Atel, die Kundenbasis sukzessive auszuweiten. Dabei wird das Augenmerk nebst dem Inland (8,2% Beteiligung an der CVE-Romande-Energie) und den neuen EU-Mitgliedsländern im Osten vor allem auf Italien gelegt. Zum Jahresschluss hat der Oltener Energiekonzern das Aktienkapital bei der Tochterfirma Atel Energia von 5 auf 20 Mio Fr. erhöht. Die 1999 gegründete Gesellschaft soll ihren Anteil auf dem italienischen Strommarkt im Zuge der Deregulierung erheblich steigern. Anvisiert wird ein Verkaufsvolumen von 400 Mio Euro, das selbst erzeugt oder am Markt eingekauft wird. Bereits heute ist Atel der gewichtigste ausländische Stromanbieter, und diese Position soll nun weiter gestärkt werden.

Operativ hat Atel die Ertragskraft mit der Integration der in Tschechien und Ungarn neu akquirierten Gesellschaften deutlich verbessert. Bereits im ersten Halbjahr wurde darauf verwiesen, dass der Betriebsgewinn ohne die Erstkonsolidierungen um 5% gestiegen sei. Mit dazu beigetragen haben ein stabiler Kostenverlauf und niedrigere Aufwendungen für Wertberichtigungen auf Finanzbeteiligungen.

Das Segment Energie legte im Jahresverlauf umsatzmässig auf 3,8 (2,3) Mrd Fr. zu und das Ergebnis schnellte um 55% auf 327 Mio Fr. nach oben. Zum Stromabsatz von 69 Mrd kWh (+73%) kamen im Handelsgeschäft weitere 67 Mrd kWh im Wert von 2,7 Mrd Fr., die in Form von Standardprodukten abgewickelt wurden.

Das Segment Energieservice litt demgegenüber unter den wirtschaftlichen Stagnationserscheinungen. Trotzdem erhöhte sich der Umsatz um 3% auf 1,5 Mrd Fr. Restrukturierungskosten drückten das Segmentergebnis allerdings auf 12 (26) Mio Fr. Mit der Zusammenlegung der Geschäftsbereiche Nord-/Osteuropa und Süd-/Westeuropa will Atel im laufenden Jahr weitere Kosten einsparen.

Höhere Dividende

Auch personell gibt es Ende April eine Veränderung: Giovanni Leonardi (43), bisher Leiter der Atel-Installationstechnik, übernimmt von Alessandro Sala den Konzernvorsitz. Ähnlich gewichtige Expansionsschritte wie zuvor sind für 2004 nicht geplant. Die Integration von erstmals erworbenen Kraftwerken mit Kohle und Gas hat Vorrang. Das Know-How des Schweizer Energieunternehmens lag bisher speziell bei der Wasserkraft. Nun muss sich weisen, ob der Versorger die Lage mit dieser Stromerzeugung in Italien, Tschechien und Ungarn richtig einzuschätzen weiss.

Als Drehscheibe für den europäischen Stromhandel ist die Atel im Herzen Europas glänzend positioniert. Die Anleger haben diese Stromaktie erst richtig entdeckt. Mit einer Dividendenerhöhung auf 22 (20) Fr. werden sie auch richtig bei Laune gehalten.

Atel Angaben in Millionen Franken

2002 2003 2004E 2005E

Umsatz 3700 5300 5300 5400

Betriebsgewinn (Ebit) 262 360 340 370

Umsatzrendite (in %) 7.1 6.8 6.4 6.8

Reingewinn 170 272 212 230

Gewinn pro Aktie (in Fr.) 55 89 71 77

KGV 22 14 18 16

Dividende (in Fr.) 20.00 22.00 22.60 24.60E = geschätzt; KGV = Kurs-gewinn-verhältnis Quelle: zkb

Tipp: Erst mit der Entwicklung von Alternativenergien wie Sonne und Wind hat sich die hohe Werthaltigkeit der Wasserkraft erwiesen. Atel hält in diesem Segment gewichtige Beteiligungen. Die Unsicherheiten um die Kernenergie begünstigen einen tendenziellen Preisanstieg. Gegenteilige Kräfte gehen von der Marktliberalisierung in Europa ab 2007 aus. Der Titel hat noch Potenzial.