Es sind ja alle so nett miteinander. Der Abgang des langjährigen Konzernchefs Manfred Zobl nach eingebrochenen Gewinnen und geschmolzenem Eigenkapital ein Rausschmiss? «Nein, Herr Zobl ist freiwillig gegangen. Ich habe ihn sogar gebeten, sein Ausscheiden aufzuschieben», sagt Verwaltungsratspräsident Andres Leuenberger. Das aggressive Wachstum, gepusht vom agilen Finanzchef Dominique Morax, war es falsch? «Herr Morax ist ein überdurchschnittlich guter Asset-Manager», verteidigt ihn sein Präsident. Die riskante Expansionsstrategie womöglich gar nicht das Problem? «Ich würde das wieder so machen», sagt Exchef Zobl.

Der Verwaltungsrat unter Führung von Leuenberger ein Gremium, das die Kontrollpflicht vernachlässigt hat? «Seit der Umwandlung in eine AG hat sich der Verwaltungsrat intensiv und mit wachsender Kadenz um die Fragen der Strategie gekümmert», so die scheidende Verwaltungsrätin Christine Beerli.

Alles in Ordnung also im Haus des grössten Schweizer Lebensversicherers. Niemand schuld daran, dass die einst kerngesunde Rentenanstalt / Swiss Life heute als kränkelndes Unternehmen dasteht. Dass seit Ende 2000 schätzungsweise sechs Milliarden Franken an den Aktienbörsen verbrannt wurden. Dass das Eigenkapital von 7,7 Milliarden Ende 2000 auf 5,0 Milliarden Ende 2001 geschrumpft ist. Dass der Börsenkurs der einst als Volksaktie angepriesenen Rentenanstalt-Papiere um über 50 Prozent eingebrochen ist.

Und da alles ja irgendwie in Ordnung ist – vor allem seit man den umtriebigen Zobl durch den strikten Kostenmanager Roland Chlapowski aus den eigenen Reihen ersetzt hat –, will man auch von wirklich drastischen Sanierungsmassnahmen absehen. Eine Kapitalerhöhung zur heutigen Zeit, so betonen sowohl der Verwaltungsrat als auch die Konzernleitung unisono, komme nicht in Frage.

Doch je mehr die Rentenanstalt-Oberen dies betonen, desto stärker wächst die Skepsis vieler Experten. Weniger die Tatsache, dass die Chefs in der Vergangenheit geschlafen haben, könnte für die Rentenanstalt zum Problem werden, als vielmehr, dass man in der Teppichetage des Unternehmens immer noch nicht richtig aufgewacht ist.

Um das Eigenkapital zu stärken, wird derzeit die Strategie angepasst. Zunächst werden die Kosten reduziert, vor allem durch Stellenabbau. Damit sollen jährlich rund 300 Millionen gespart werden. Dank risikogerechteren – zum Teil also höheren – Prämien soll zudem das Risiko vermehrt auf den Kunden verschoben werden. Schritt für Schritt wird sodann devestiert. Ziel ist es, Eigenkapital durch den Rückzug aus einzelnen Ländern und durch den Verkauf von Firmenteilen frei zu machen.

Anfang Mai verkaufte die Rentenanstalt ihre 67 Prozent an der Swiss Life Hedge Funds Partners an die Anlagegesellschaft RMF. In der Woche darauf wurde die Schliessung der Repräsentanzen in China bekannt gegeben. Die veräusserbaren Assets – nebst Finanzbeteiligungen und Versicherungsdépendancen in einzelnen Ländern vor allem die Private-Banking-Einheiten STG und Banca del Gottardo – sorgen dafür, dass dem Versicherungsgiganten die Luft noch nicht ausgeht. «Wir prüfen jede Aktivität nach dem Gesichtspunkt, wie viel Kapital sie braucht», erklärt Chlapowski die neue Strategie.

Dafür hat der neue CEO von den Analysten bereits Lob geerntet. Doch die meisten sind der Ansicht, dieser Weg gehe zu wenig weit. In ihrer jüngsten Studie über die Rentenanstalt hat die Genfer Privatbank Lombard Odier berechnet, dass dem Unternehmen im Jahr 2002 über zwei Milliarden Franken fehlten, um auf eine dem Risikoprofil und einem Double-A-Rating entsprechende Kapitalunterlegung zu kommen. Ein AA-Rating wird für einen traditionell konservativen Lebensversicherer als angebracht erachtet. Die «Financial Times» zieht vom heutigen Kapitalsockel noch den Goodwill und die aktivierten Abschlusskosten ab und kommt zum Resultat, dass die Gesellschaft so gesehen ein negatives verfügbares Nettokapital habe. «Eine zu weiche Kapitaldecke, als dass der Aktionär ruhig schlafen könnte», warnt die Finanzzeitung.

Schon Mitte 2001 warnte das «Wall Street Journal», die Rentenanstalt sei angesichts hoher Aktieninvestments einer der «am stärksten verletzbaren» Lebensversicherer in ganz Europa. Die heute noch knapp 5 Milliarden Franken Eigenkapital sind angesichts verwalteter Vermögen von rund 117 Milliarden – davon über 20 Milliarden in Aktien – bei weiter ungünstigen Kapitalmärkten schnell weggeschmolzen. Und nicht nur das. Auch wenn die Märkte sich verbessern, steht die Gesellschaft ungünstig da: «Wegen der tiefen Eigenkapitalbasis ist die Risikofähigkeit beschränkt. Dadurch ist einerseits die Wachstumsmöglichkeit eingeschränkt und andererseits die Wettbewerbsfähigkeit schlechter, da die versprochenen Kapitalrenditen sinken», sagt Analyst Eric Güller von der Zürcher Kantonalbank.

Bereits wird die Rentenanstalt von den Ratingagenturen nicht mehr als die topsichere Gesellschaft der Vergangenheit gehandelt. Sogar das heutige Single A steht auf wackligen Füssen. Im schlimmsten Fall muss gar eine Zurückstufung auf ein BBB+ befürchtet werden. Eine durchaus wahrscheinliches Szenario: Das Downgrading der Credit Suisse Mitte Mai durch Standard & Poor’s zeigt, dass die Agenturen nach den vielen Skandalen die Sicherheit von Finanzkonzernen besonders kritisch begutachten.

Warum wehrt sich die Gesellschaft dagegen, ihre Kapitaldecke zu stärken? Sicher müsse man auf das Eigenkapital mehr achten, sagt Leuenberger, doch dramatisch sei die Situation nicht. Chlapowski hält die Rentenanstalt zudem für unterbewertet. Zu den jetzigen Kursen will die Rentenanstalt wohl keine Aktien herausgeben. Die Ankündigung einer Kapitalerhöhung lässt die Kurse in der Regel noch sinken. Sie wäre überdies das Eingeständnis einer wirklichen Schieflage – dazu scheinen die Rentenanstalt-Verantwortlichen derzeit nicht bereit zu sein. Kosteneinsparungen, höhere Prämien, Verkäufe und die Hoffnung auf bessere Börsenzeiten müssen genügen, die Gesellschaft für die Zukunft wieder auf Kurs zu bringen. Auf steigende Börsen zu setzen, ist aber Gambling.

Die Gefahr besteht, dass die Rentenanstalt aus den Fehlern der Vergangenheit nicht wirklich gelernt hat. «Augen zu und durch» sei das Motto der Chefs, ärgert sich ein Rentenstalt-Insider, «die glauben, dass das schon irgendwie richtig kommt.»

Die Risikoanfälligkeit der Gesellschaft ist nach wie vor hoch. Zwar hat Finanzchef Morax die Aktienanlagen vom Höhepunkt Anfang 2000 mit 22 Prozent auf heute 13 Prozent abgebaut, doch im Verhältnis zum Eigenkapital ist das noch immer viel. Laut Leuenberger habe ein «Stresstest» ergeben, dass die Firma einen weiteren Rückgang der Börsen um 25 Prozent überleben würde.

Doch was wäre, wenn die Börsen um mehr als diese 25 Prozent fielen? «Das wäre eine happige Krise, da würden nicht nur wir, sondern eine ganze Reihe anderer Finanzkonzerne ins Wanken geraten», wischt Leuenberger diese Annahme vom Tisch.

Die Bewertungsreserven der Rentenanstalt, die Ende 2000 noch über 3 Milliarden betrugen, sind per Ende 2002 auf spärliche 44 Millionen geschrumpft. Gehen weitere Börsenverluste jetzt direkt aufs Konto des Eigenkapitals? Inzwischen seien die Reserven wieder etwas gestiegen, sagt Morax, weil man früh auf ein paar Outperformer gesetzt habe: die Beteiligungen an HSBC, Swiss Re, Novartis, Royal Dutch und UBS. Morax’ Annahme bestätigte sich, dass die ausgewählten Blue Chips in den sinkenden Börsen in der Tat deutlich besser abgeschnitten haben.

Dennoch hat sich Morax mit der Übergewichtung von nur einer Hand voll Aktien ein erhebliches Klumpenrisiko aufgeladen. Ende 2001 waren rund 2,5 Milliarden – ein Wert, welcher der Hälfte des gesamten Eigenkapitals entspricht – allein in die HSBC (Hongkong and Shanghai Banking Corporation) investiert. Rechnet man noch die Investments in Novartis von 1,2 Milliarden, Swiss Re von 700 Millionen und Royal Dutch sowie UBS von je 600 Millionen Franken dazu, wird das Eigenkapital sogar überschritten.

Ebenfalls als Klumpenrisiko gilt das immer noch starke Engagement von über vier Milliarden Franken in Hedge-Funds – ein Bereich, in dem Experten in Zukunft erhebliche Korrekturen erwarten. Morax teilt diese Ansicht nicht und weist darauf hin, dass die Investments breit diversifiziert seien. In 135 Funds, wovon keiner mehr als 2,5 Prozent des Portefeuilles stelle, sei man verteilt. Der Markt sei viel versprechend: «Die vermeintlichen ‹Leichen im Keller› werden sich zu Perlen entwickeln», ist Morax überzeugt. Die Performance der Anlagen der Rentenanstalt habe den Durchschnitt der Schweizer Vorsorgeeinrichtungen geschlagen, betonen die Chefs.

Für die einen zeigt sich mit den kreativen Finanztransaktionen das Genie von Morax, für die anderen ist es Zeichen einer abgehobenen Risikobereitschaft.

Klar ist: Auf Risiko kann nur spielen, wer volle Taschen hat. So schnell, wie es das geschrumpfte Eigenkapital eigentlich verlangen würde, kann Morax seine finanzielle Risikoanfälligkeit gar nicht verkleinern, will er in fallenden Märkten nicht unnötig Verluste realisieren. Und so schnell, wie es das geschrumpfte Eigenkapital eigentlich verlangen würde, kann Chlapowski geografisch und strategisch das Geschäft gar nicht herunterfahren, will er seine Firmenteile nicht unter Wert veräussern. All dies spricht für eine rasche Kapitalerhöhung. Wie schnell eine enge Eigenkapitaldecke bei zu langem Zuwarten in die Krise führen kann, haben die Beispiele von Swissair und ABB eindrücklich bewiesen. Eine wirklich tief greifende Sanierung der Rentenanstalt müsste neben der Kapitalerhöhung auch einen breiteren führungsmässigen Neuaufbruch enthalten. Und sich auch auf jene Topmanager ausdehnen, welche die jetzt als falsch erkannte Expansionsstrategie federführend zu verantworten haben.

Dominique Morax muss zwar den Titel des Chief Financial Officer abgeben, bleibt als Chief Investment Officer aber oberster Anlagechef des Unternehmens. Präsident Andres Leuenberger ist zwar erst seit zwei Jahren Präsident der Gesellschaft, war aber schon zwei Jahre vorher im Rat, und zwar im Ausschuss. Er trug damit die Jahre der forcierten Expansion mit. Allein 1999 kaufte die Rentenanstalt Privatbanken und Versicherungen für über 2,5 Milliarden auf.

Im Sommer 2000, kurz nach seiner Wahl zum VR-Obmann, bekräftigte er gegenüber der «Finanz und Wirtschaft» seine Überzeugung, «den richtigen Kurs, die richtige Vision und die richtige Strategie» zu haben. Seine eigene Aufgabe sah er darin, «zu schauen, dass die Strategie stimmt und auf der nächsten Führungsebene die richtigen Leute für die Umsetzung ausgewählt werden». Beide Aufgaben nicht erfüllt, ist man angesichts der jetzigen Strategieumkehr und des Abgangs von Steuermann Zobl versucht zu sagen.

Insider fragen sich, ob sich der ehemalige Roche-Topmanager überhaupt die nötige Zeit für den Präsidentenjob freimachen konnte. Leuenberger ist so etwas wie ein Profiverwaltungsrat. Neben dem Präsidium der Rentenanstalt ist er auch noch VR-Vize bei Roche und Givaudan sowie im Verwaltungsrat von V-Zug und der Messe Schweiz AG. Bis 2001 war er zudem im Verwaltungsrat eines anderen expansionstrunkenen Unternehmens: der Swissair. Leuenberger ist damit mitverantwortlich für die gescheiterte Hunter-Strategie des Swissair-CEO Philippe Bruggisser. Leuenbergers Glaubwürdigkeit hat dadurch stark gelitten, auch innerhalb der Rentenanstalt. Man wirft ihm vor, zu lange dem Expansionskurs seines CEO zugeschaut zu haben. Um dann, aufgeschreckt durch das Beispiel der Airline, allzu abrupt das Steuer herumzureissen – ohne greifbare Alternativstrategie.

Dass in der Rentenanstalt in der Tat die Tendenz zu Haurucklösungen vorherrscht, zeigt die Gewinnwarnung von Anfang Jahr, die «im Nachhinein etwas zu harsch war», so Leuenberger. Das Beispiel der Zurich Financial Services, die zu vorsichtige Gewinnwarnungen herausgab und diese immer weiter nach unten korrigieren musste, habe hier wohl mitgespielt, gibt Leuenberger zu. Auch dies hat seinem Ansehen geschadet.

Die Checks and Balances bei der Rentenanstalt sind in der Amtszeit Leuenbergers immer mehr aus dem Ruder gelaufen. Einerseits war der Verwaltungsrat zu schwach dotiert, um der Konzernleitung wirksam auf die Finger zu schauen. Traditionell eher ein Sammelbecken von Politikern statt Versicherungsfachleuten, gab es lange Zeit niemanden, der den riskanten Kurs von Zobl und Morax wirklich einschätzen konnte. Erst seit im Herbst 2001 mit Henri B. Meier, Ex-Finanzchef der Roche, und Gerold Bührer, Ex-Finanzchef der Georg Fischer, zwei Zahlenkenner ins Gremium kamen, scheinen die Fragen kritischer geworden zu sein. Noch heute fehlt ein eigentlicher Versicherungsspezialist. Man wolle das Gremium in Zukunft um einen oder zwei Kenner der Finanzdienstleistungsbranche aufstocken, hat Leuenberger nun aber angekündigt.

Doch nicht nur zwischen VR und Konzernleitung fehlten die Checks and Balances, sondern auch innerhalb der Konzernleitung selber. So machte Zobl – und er wurde vom VR nicht daran gehindert – im Jahr 2000 eine der Schlüsselpositionen in einem Lebensversicherungskonzern, nämlich die des Aktuars, faktisch wirkungslos.

Die Rolle eines Aktuars ist es, eine Art Stimme der Vernunft zu spielen, einen Ausgleich zwischen den Versicherungsleuten an der Front und den Finanzleuten zu schaffen. Die Finanzer muss er in ihrem Übereifer bremsen und die Versicherungsvertreter zu kostendeckenden Preisen anhalten. Der Aktuar sei, sagt Ernst Schneebeli, 1998 bis 2000 selber in dieser Funktion bei der Rentenanstalt, so etwas wie «das Gewissen der Gesellschaft».

Im Frühling 2000 fällte die Rentenanstalt den ungewöhnlichen Entscheid, Schneebelis Nachfolger Michael Koller nicht wie gewohnt zum gleichberechtigten Mitglied der Konzernleitung zu machen, sondern ihn Finanzchef Morax zu unterstellen. Koller, heute das jüngste Konzernleitungsmitglied der Rentenanstalt, war damals erst 36 Jahre alt. In der immer noch stark von Titeln geprägten Führungsstruktur war er «nur» Vizedirektor. Auch wenn der Entscheid inzwischen korrigiert wurde, ist die Episode Zeichen einer gefährlichen Entwertung der Aktuarsrolle, die schon in den Jahren zuvor beobachtet wurde. «Wenn die Börsen boomen, wird der Aktuar oft nur als Störenfried angesehen», sagt ein Insider. Trotz der Unterordnung betont Koller, seine Aufsichtspflicht auch gegenüber Morax wahrgenommen zu haben: «Nicht, welchen Platz man in einem Organigramm innehat, sondern wie man sein Rolle ausfüllt, ist entscheidend.»

Doch niemand stoppte den Expansionsdrang von Zobl und Morax. Der Markt war ja auch euphorisch Ende der Neunzigerjahre. «‹Wachstum, Wachstum, Wachstum› hiess das Motto für alle Marktteilnehmer in jenen Jahren», sagt Chlapowski heute, «damals war das Kapital ja auch nicht knapp.»

Die Manager kopierten sich gegenseitig: War Rolf Hüppi von der «Zürich» nicht gerade wegen seines Expansionsdrangs ein Vorbild geworden? War der Rentenanstalt von den Medien nicht allzu lange zu wenig Dynamik, ja geradezu eine Beamtenmentalität vorgeworfen worden?

Die Expansion jener Jahre verkaufte die Rentenanstalt den Investoren als Diversifikation – eine wenig nachvollziehbare Argumentation. Denn alles, was sie sich in ihrem Kaufrausch zulegte, schwingt in den genau gleichen Zyklen wie das Versicherungsbusiness. Das Private Banking einer Banca del Gottardo ist dem gleichen Auf und Ab der Börsen ausgeliefert wie das Kerngeschäft. Einzig die Immobilien fallen nicht in diesen Zyklus.

Erstaunlich ist auch, dass niemand in Konzernleitung oder Verwaltungsrat alarmiert war durch die Tatsache, dass das normale Betriebsgeschäft gar nicht richtig Kasse machte. Der hoch politisierte Bereich des BVG-Geschäfts mit seinem garantierten Mindestzinssatz von vier Prozent ist ein Markt mit strukturell engen Margen. Die Rentenanstalt, Marktleader in diesem Geschäft vor den Konkurrenten CS/Winterthur, ZFS, Bâloise und Helvetia Patria, setzte Energie daran, sich auszubreiten, obwohl der Markt nicht rentierte. Statt die Überschüsse aus den guten Börsenjahren für schlechtere Zeiten zurück-zulegen, wurden die Millionen grosszügig an die Kunden verteilt. Statt sich etwa auf gewinnträchtigere Berufsgruppen zu konzentrieren, wurde Umsatz gebolzt – die guten Börsengewinne überdeckten alles. Das Krisenjahr 2001 legte dann die Schwachstellen schonungslos offen.

Warum haben die heutigen Topleute Chlapowski und Morax ihren CEO Zobl nicht gewarnt? Und wenn sie dies taten – wie einzelne Verwaltungsräte andeuten –, warum hat der Verwaltungsrat unter Leuenberger dann so lange zugewartet? Und warum ist Zobl dann nicht entlassen worden, sondern «freiwillig gegangen»?

Leuenberger hat sich in Widersprüche verheddert und es bisher nicht geschafft, intern oder extern Vertrauen aufzubauen. Die Kurse sind unter Druck. Je mehr Zeit vergeht, desto teurer aber wird eine künftige Kapitalerhöhung. Noch vor einem Jahr, bei einem Eigenkapital von acht Milliarden, hätte eine zusätzliche Milliarde an frischem Geld lediglich eine rund zehnprozentige Kapitalerhöhung benötigt. Heute, bei einem Eigenkapital von fünf Milliarden, muss man für die gleiche Summe das Kapital um zwanzig Prozent erhöhen. Je länger die Rentenanstalt mit der wirklichen Sanierung zuwartet, desto ungünstiger wird das Verhältnis.

Je mehr Zeit vergeht, desto mehr Substanz fliesst ab, weil die in die Defensive gedrängte Gesellschaft kaum Spielraum hat und damit Anlagechancen verpasst. Kann man jetzt noch auf einen «weissen Ritter» hoffen, der mit frischem Kapital der Rentenanstalt unter die Arme greift – laut Gerüchten sollen mit HSBC, UBS und Konkurrent Bâloise schon Kontakte über eine mögliche Zusammenarbeit stattgefunden haben –, so schwinden auch diese Chancen mit der Zeit.

Für die Zukunft verspricht das wenig Gutes. Was für eine Firma wird die Rentenanstalt in fünf Jahren sein, und warum sollte sie für den Anleger interessant sein? «Eine spannende, weil profitable Firma mit starker Verankerung in der Schweiz», verspricht Leuenberger. Doch die Strategie, mit der die Rentenanstalt dies erreichen will, nämlich mittels einer Konzentration aufs Kerngeschäft, macht dies zu einer äusserst schwierigen Aufgabe. Profitträchtige Teile wie die Banca del Gottardo gehören nicht zum Kerngeschäft und müssen darum weg – auch wenn sie im Gegensatz zum Kerngeschäft gute Gewinne liefern, im vergangenen Jahr 102, im Jahr zuvor gar 242 Millionen Franken.

Die von der Versicherungsbranche angepeilte Reduktion des Mindestsatzes von heute vier Prozent dürfte so schnell nicht durchsetzbar sein. Gerade bei so langfristig ausgerichteten und heiklen Themen wie der Altersvorsorge wollen die Politiker keine Haurucklösungen (auch wenn es in der Tat ein ökonomischer Unsinn ist, den Versicherten einen Zins von vier Prozent zu garantieren, denn die Regelung stammt aus einer Zeit mit viel höherem Zinsniveau und höherer Inflation).

Solange der Gesetzgeber die Rahmenbedingungen nicht massiv ändert, sind die Möglichkeiten begrenzt. Was bleibt, ist, als Marktleader den Branchentrend nach wieder höheren Prämien für die Versicherungsleistung bei den Kunden durchzusetzen sowie die Kostenführerschaft zurückzugewinnen – insgesamt für den Anleger eine eher nüchterne Story. «Kaufen Sie unsere Aktien, sie werden nie mehr so günstig sein wie heute», hat die Rentenanstalt Anfang 2000 der Anlegerschaft zugerufen. Damals stand der Kurs bei 906, heute ist das Papier mit rund 520 Franken nur noch etwas mehr als die Hälfte wert. Gut tat daran, wer damals nicht auf die netten Herren hörte.
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