Als J.L. (Name der Redaktion bekannt) am 11. September 2001 die beiden Flugzeuge in das World Trade Center rasen sah, brach auch er zusammen. In den Towers hatte der Stellvertretende Direktor einer Schweizer Bank früher gearbeitet und Kunden empfangen. Doch dass dieses Ereignis nur das letzte Tröpfchen war, welches das Fass zum Überlaufen gebracht hatte, begriff er erst Jahre später. Jahre, die die schwierigste Zeit seines Lebens bedeuteten.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Auf die Diagnose «Burnout» kam Monate nach der WTC-Katastrophe seine Frau. Sie hatte einen Artikel zum Thema gelesen und konnte dem Leiden ihres Mannes endlich einen Namen geben. «Das ist nicht erstaunlich», sagt Burnout-Spezialistin Barbara Hochstrasser, Chefärztin der Privatklinik Meiringen, «es geschieht oft, dass die Lebenspartnerinnen sich über die Medien informieren und zuerst auf das Thema Burnout stossen».

Mehr als eine Depression

Und es geschieht wohl auch oft, dass sich Ärzte mit dieser Diagnose schwer tun. Patienten werden mit Antidepressiva behandelt, doch die Komplexität des Krankheitsbildes wird nicht erkannt. «Burnout und Depression haben ja auch nicht wenig miteinander zu tun», so Hochstrasser weiter (siehe Faktenkasten). Hinzu kommen aber noch andere Faktoren.

Aus medizinischer Sicht besteht ein Burnout nämlich aus mindestens drei Komponenten: Emotionaler Erschöpfungszustand, Zynismus und Leistungsverlust. Körper und Geist befinden sich in einem rasenden Leerlauf, der immer öfter in einem Crash endet. Die Folgen sind unterschiedlich. Und der Anteil der Depression kann variieren. Das erlebte J.L. zwei Jahre später bei seinem Rückfall: «Eine derartige persönliche Krise hätte ich mir niemals vorstellen können.» (Siehe «Nachgefragt».)

Auslöser hierfür war eine Veränderung am Arbeitsplatz: J.L. verlor seinen Posten als Abteilungsleiter mit rund 80 Mitarbeitenden. Für seine Vorgesetzten war er mit seinen Absenzen und seinem labilen physischen und psychischen Zustand in dieser Position ein Risiko. J.L. empfand es als Ohrfeige, und der befürchtete Rückfall wurde wahr: Er bekam Rückenschmerzen, wurde arbeitsunfähig, es folgte der zweite Aufenthalt in einer Klinik.

J.L. hat immer offen zu seiner Krankheit gestanden. Vorgesetzte und Mitarbeitende wussten vom Burnout. Auch sein privates Umfeld hielt der zweifache Vater so offen wie möglich auf dem Laufenden: «Doch ich war die Ausnahme. Neun von zehn Patienten in der Klinik hatten für die Aussenwelt eine Lüge bereit.»

Eine fatale Verstrickung, denn Burnout-Patienten müssen in erster Linie mit sich selbst ins Reine kommen. «Man muss die eigenen Grenzen kennen lernen», erklärt Barbara Hochstrasser. Eine Veränderung ist unausweichlich, und da ist der Versuch, die alte Fassade aufrechtzuerhalten, sinnlos.

Noch immer ein Tabu

Dass eine allzu offene Kommunikation aber auch kontraproduktiv sein kann, erlebte J.L. bei einem Headhunter. Der aufmerksame Interviewer hatte seine leicht zitternde Hand beim Griff nach dem Wasserglas gesehen und sprach ihn darauf an. J.L. erwähnte sein Burnout «Dann brechen wir hier das Gespräch ab», war die trockene Antwort.

In der heutigen Arbeitswelt ist Burnout ein Tabu, ein Makel, das Eingeständnis von Schwäche. J.L. ist mittlerweile vom Gegenteil überzeugt: «Durch die intensive Auseinandersetzung mit mir selbst kenne ich mich viel besser.» Ebenso glaubt er, dass er vor allem in der Mitarbeiterführung besser sein wird, weil seine Sinne geschärft sind.

Seit etwa einem halben Jahr geht es J.L. besser, sein Selbstvertrauen hat zugenommen. Und er tritt bald eine neue Stelle an, wo er eine Hand voll Mitarbeitende führen wird. Diesmal hat er das Burnout nicht erwähnt: «Die wissen nur, dass ich gesundheitliche Probleme hatte.» Es ist ein Neustart nach fünf langen Jahren.

www.swissburnout.ch

-----

«Es braucht ein Umdenken»

Barbara Hochstrasser, die Chefärztin der Privatklinik Meiringen und Lehrkraft für psychiatrische Epidemiologie an der Universität Freiburg, hat langjährige Erfahrung mit Burnout-Patienten und ausgebrannten Managern.

Wer ist besonders Burnoutgefährdet?

Barbara Hochstrasser: «Viele Risikofaktoren liegen in der Persönlichkeit, etwa Perfektionismus, die Bereitschaft, sich zu verausgaben oder auch Ungeduld. Dazu kommen meistens externe Faktoren wie eine hohe Belastung oder eine unklare Rolle im Arbeitsprozess.»

Kann man ein Burnout verhindern?

Barbara Hochstrasser: «Ja. Man muss diese Risikofaktoren überprüfen und sich fragen: Wo entsteht der Frust? Wo entsteht der Energieverlust? Das bedingt, dass die Gefahr eines Burnout wahrgenommen wurde. Diese Bewusstwerdung ist wichtig für die Prävention. Viele Probleme liessen sich durch eine angemessene Konfliktbewältigungsstrategie und gutes Zeit- und Stressmanagement verhindern, doch die Arbeitswelt geht in eine andere Richtung. Erwartet werden eine hohe Leistung und eine hohe Rendite, die in kurzer Zeit und mit weniger Personal erreicht werden sollen. Das ist Burnout-fördernd.»

Was können die Arbeitgeber tun?

Barbara Hochstrasser: «Das ist ein viel diskutiertes Thema. Ich glaube, es braucht in den Betrieben ein Umdenken, da immer mehr Menschen mit grossen Ressourcen an Burnout erkranken.»

Weshalb wird Burnout etwa im Vergleich zum Herzinfarkt noch immer tabuisiert?

Barbara Hochstrasser: «Weil ein Infarkt medizinisch klar zugeordnet werden kann. Er wird oft als Ausdruck eines hohen Engagements im Beruf angesehen, obwohl danach ein Gesundheitsrisiko bestehen bleibt. Ein Burnout hingegen ist eine Krankheit des Nerven- und Hormonsystems und äussert sich auch psychisch.» (ms)

-----

NACHGEFRAGT

J.l., ehemaliger Burnout-Patient:

«Es muss eine enorme Dunkelziffer geben»

Wie haben Sie persönlich Ihr Burnout erlebt?

J.L.: Ich war verzweifelt. Mein Selbstvertrauen war auf dem Nullpunkt. Manchmal glaubte ich, ich würde nie wieder aus diesem Loch kommen. Das waren die schlimmsten Momente. Da dachte ich auch an Selbstmord, doch der Gedanke an die Familie hat mich immer davor gerettet. Aber glauben Sie mir, ich verstehe jetzt Familientragödien viel besser.

Was hat Ihnen auf dem Weg zur Heilung geholfen?

J.L.: Ich habe alle möglichen Antidepressiva ausprobiert und auch alternative Heilmethoden gesucht. Nur vereinzelt spürte ich eine Verbesserung. Letztlich glaube ich, haben die Gesprächstherapie und die Zeit am meisten geholfen, denn ich musste Geduld erlernen.

Haben Sie je daran gedacht, Ihren verantwortungsvollen Posten zur Verfügung zu stellen?

J.L.: Nein, das war unvorstellbar, ich hing so an meinem Bereich.

Wie hat Ihr Arbeitsumfeld auf Ihre Krankheit reagiert?

J.L.: Beim ersten Mal zurückhaltend. Die meisten wussten nicht, was ein Burnout ist. Beim zweiten Mal ratlos. Langsam merkten alle, dass die Führung fehlte, denn ich hatte die Kraft nicht mehr. Bei meinem Vorgesetzten bemerkte ich eine gewisse Ungeduld.

Hätte Ihr Arbeitgeber mehr machen können?

J.L.: Von der Sozialberatung meines Arbeitgebers bin ich enttäuscht. Und hätte mein Chef mich besser geschützt, wäre es bestimmt nicht so weit gekommen. Heute weiss ich, dass er selbst nah am Burnout und deshalb von der Situation überfordert war.

Können Sie rückblickend verstehen, dass ausgerechnet Sie ein Burnout erlitten?

J.L.: Ja, ich habe immer verbissen gearbeitet. Dazu kommt mein Perfektionismus und der enorme Druck, den ich mir selbst auferlegte. Das ist alles Gift für meine Psyche.

So wie Sie arbeiten aber viele Leute in der Finanzbranche.

J.L.: Es muss eine enorme Dunkelziffer geben. Viele überbrücken es wohl mit Antidepressiva. Vom Unternehmen aus gesehen geht die Rechnung dennoch auf: Wenn die Gewinne stimmen, sind ein paar Burnout-Fälle kein Problem.

Sie treten bald eine neue Stelle an; was wird nun anders?

J.L.: Ich fühle mich gestärkt, weil ich mich jetzt viel besser kenne. Einige meiner Eigenschaften sind nämlich gut. Die muss ich jetzt mit meinen «gefährlicheren» Eigenschaften, wie etwa dem Perfektionismus, kombinieren. Ich kann nicht aus meiner Haut raus und mich umpolen, aber es ist mir bewusst, dass ich ab und zu etwas lockerer sein muss.