Zweimal Startup des Jahres der «Handelszeitung», Preise und Auszeichnungen in Serie: Ava und Mitbegründerin Lea von Bidder sind die Darlings der Schweizer Startup-Szene.

Was im Hype um Ava untergeht: Bei Femtech – den medizinischen Technologien, bei denen es um die Besonderheiten des weiblichen Organismus geht – mischt mit Natural Cycles noch ein zweites, mindestens ebenso vielversprechendes Startup schweizerischer Provenienz international ganz vorne mit. Doch das Startup des schwedisch-österreichischen Powercouple Elina Berglund und Raoul Scherwitzl fliegt in der swissnessverliebten Schweizer Startup-Szene weitgehend unter dem Radar – und dies, obwohl es, anders als Ava, bereits den Härtetest einer Zulassung der amerikanischen FDA bestanden hat. Zwei Startups, zwei Massstäbe.

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«low risk» versus «high risk»

Beide Schweizer Medtech-Hoffnungen grasen auf der Wiese der von Big Pharma vernachlässigten Frauengesundheit; also allem, was mit Zyklus, Schwangerschaft, Verhütung und Menopause zu tun hat. «Ich habe zwanzig Jahre in der Industrie gearbeitet», sagt Maureen Cronin, die lange für den deutschen Pharmakonzern Bayer arbeitete und vor kurzem als Chief Medical Officer zu Ava stiess. «Die Industrie will vor allem Hormone verkaufen, aber viele Frauen wollen Alternativen.»

Doch damit hat es sich auch schon mit den Gemeinsamkeiten. Bei der Strategie liegen Welten zwischen Ava und Natural Cycles: Ava hat sich über den Kinderwunsch ans Thema angenähert, Natural Cycles kommt von der Verhütung. Der Unterschied liegt im Risiko: Im ersten Fall geht es um eine Schwangerschaft, die nicht zustande kommt, im zweiten um eine ungewollte Schwangerschaft mit all den Folgen, die eine solche für die betroffene Frau hat. Ava und Natural Cycles – das ist: «low risk» versus «high risk».

Studien sind im Gange

Doch das ist nicht das einzige, das die beiden Startup-Königinnen von Bidder und Berglund trennt. Ava hat einen expliziten Big Data Approach. Die Devise ist: Daten sammeln und nochmals Daten sammeln. Die babyblauen Ava-Bracelets zeichnen nicht weniger als 3 Millionen Datenpunkte auf – pro Nacht und Trägerin notabene; erfasst werden neun Vitalparameter, von der Hauttemperatur über den Pulsschlag bis zur Atemfrequenz. Die fruchtbare Phase, wie sie den Benutzerinnen angezeigt wird, basiert auf Modellzyklen, die aus den Datenmassen gebildet werden, sowie einer kontinuierlichen Analyse der physiologischen Daten. «Wir sind ziemlich präzise», ist Maureen Cronin überzeugt. Zudem sei man im Moment daran, Gruppen mit Frauen mit Vorerkrankungen zu bilden, welche die Fruchtbarkeit beeinträchtigten.

Lea von Bidder

Lea von Bidder: Freut sich über jede Schwangerschaft einer Kundin.

Quelle: Martin Klimek

Ganz anders Natural Cycles: Das Tool aus der Forschungsküche von Cern-Physikerin Berglund und ETH-Absolvent Scherwitzl misst zwar nur einen Datenpunkt pro Tag: die Temperatur; dafür wird die Bemessung der fertilen Phase jeder Nutzerin individuell mit zunehmendem Gebrauch präziser eingegrenzt. Trotzdem sei das Produkt von Anfang an sicher, sagt Raoul Scherwitzl. «Er verfügt über eine Sicherheitsmarge, die wir mit der Zeit verkleinern.» Anders gesagt: Natural Cycles perfektioniert Knaus-Ogino, die altbekannte Methode des allmorgendlichen Temperaturmessens.

Plausibel oder wissenschaftlich?

Unterschiede gibt es auch bei der Wissenschaftlichkeit. Bei Ava ist zwar vieles sehr plausibel, aber nur wenige Aussagen halten den Kriterien der Wissenschaftlichkeit stand. Die einzige wissenschaftliche Publikation ist ein Artikel im Wissenschaftsmagazin «Nature». Basis: eine Studie mit 91 Frauen am Unispital Zürich. Befund: Der Pulsschlag sei ein «starker Kandidat», um die fruchtbare Phase genauer zu eruieren.

Weitere Studien sind im Gang, insbesondere eine mit 400 Patientinnen in Zürich. «Wir machen fortlaufende Kohortenstudien», sagt Maureen Cronin. Das sei in der Medizin gang und gäbe.

Zwei Startups, zwei Ansätze

  • Natural Cycles Das Verhütungstool basiert auf einer Temperaturmessung pro Tag und wird abonniert. Die Zahl der Nutzerinnen geht gegen eine Million. Natural Cycles hat hundert Mitarbeiter, davon fünf in Genf, wo an neuen Algorithmen gearbeitet wird.
     
  • Ava Das Bracelet zeichnet 3 Millionen Datenpunkte pro Nacht und Frau auf. Es kostet gut 250 Franken. Ava beschäftigt hundert Mitarbeitende weltweit, mit Büros in Zürich, Belgrad, Hongkong und Manila. Angaben zur Anzahl verkaufter Bracelets macht Ava keine.

Natural Cycles kann sich dagegen auf eine Studie mit mehr als 20 000 Frauen stützen, die derart wasserdicht ist, dass sie der US-Zulassungsbehörde genügte, um den schwedisch-schweizerischen Zyklusforschern grünes Licht für die Vermarktung ihres Produkts als natürliche Verhütungsmethode zu geben – eine Premiere. Fazit der Studie: 7 von 100 Frauen, welche die Verhütungsmethode ein Jahr lang anwendeten, wurden schwanger.

Was ist ein «Ava-Baby»?

Bleiben Marketing und PR: In diesem Punkt machen Lea von Bidder nur wenige etwas vor. Die Crew wirbt mit Promi-Babies, feiert das erste Schweizer «Ava-Baby» und das 10 000. «Ava-Baby» weltweit. Doch die Turbo-PR stösst immer mehr auf Kritik. «Das sei irreführend», sagt Jean Gabriel Jeannot, Arzt aus Neuenburg und Dozent für digitale Technologien in der Medizin an der Uni Lausanne. Es entstehe der Eindruck, dass die Frauen dank Ava schwanger geworden seien, doch dafür gebe es keinerlei Beweise. Er zweifle nicht an den guten Absichten der Ava-Verantwortlichen, doch «solche Aussagen sollte man schon belegen können».

Michael von Wolff, Reproduktionsmediziner am Berner Inselspital, sagt, dass ihn die Aussage erstaune, wonach sich eine Fertilitätsphase von 5,3 Tagen mit 89-prozentiger Wahrscheinlichkeit feststellen lasse. «Aus den bisher publizierten Studien lässt sich dieser Wert nicht ableiten.» Trotzdem, das Tool entspreche den Bedürfnissen der jungen, technikaffinen Generation. Zudem sei es ein gutes Mittel für Paare, die Empfängnis zu planen.

Elina Berglund

Elina Berglund: Unternehmerin und ehemalige Cern-Wissenschaftlerin.

Quelle: ZVG

Turbo-PR stösst zunehmend auf Kritik

Selbst Ava-intern deutet sich ein Umdenken an. Maureen Cronin sagt: «Der Begriff Ava-Baby könnte womöglich etwas übertrieben sein.» Es sei ein schmaler Grat zwischen medizinisch korrekten Aussagen und Marketing. Ihre Devise sei eher «undersell and overdeliver» als das Gegenteil.

Absehbar ist, dass Ava beim Marketing einen Gang tiefer schalten müssen wird, sobald es wie geplant in die Schwangerschaftsüberwachung und in die Verhütung expandiert. Dass die Behörden bei diesen Themen keinen Spass verstehen, kann es von Konkurrent Natural Cycles lernen. Das Startup wurde von den britischen Behörden zurückgepfiffen, weil es sein Tool zu aggressiv angepriesen hatte.

Derweil arbeitet man in der Entwicklungsabteilung von Natural Cycles in Genf an neuen Algorithmen, die Ärzten und Frauen bei der Diagnose im Bereich Frauengesundheit unterstützen. Der Showdown zwischen den beiden Schweizer Startup-Königinnen kann beginnen.