Der Luzerner Bankier Karl Reichmuth ist eine Institution. Er gilt als bodenständig und besonnen, das Kundenvertrauen steht bei ihm an erster Stelle, und für seine Privatbank Reichmuth & Co steht er zusammen mit seinem Sohn Christof als unbeschränkt haftender Gesellschafter gerade. Als die Reichmuths im Dezember 2008 gegenüber ihren Kunden einräumen mussten, dass ihre Fondsgesellschaft Kundengelder in den Betrugsvehikeln des New Yorker Brokers Bernard Madoff verloren hatte, bröckelte das glänzende Image. Eine versierte PR-Kampagne half, das Ansehen zu stärken. In einem Interview, das die Bank auf ihrer Website präsentierte, entschuldigte der 70-jährige Karl Reichmuth das Madoff-Drama: «Wir hätten das Debakel nicht vermeiden können. Es war Schicksal.»

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Nicht alle Kunden sehen das so. Ein Zürcher Unternehmen, das Gelder im Matterhorn-Fonds der Reichmuths angelegt hat, will einen sechsstelligen Schadenbetrag ersetzt haben. Die Firma, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will, wurde im Mai 2008 Kundin der Bank Reichmuth und investierte in den bis dahin erfolgreichen Anlagefonds.

Unmittelbar nach der Verhaftung Madoffs informierten die Reichmuths ihre Anleger über drohende Verluste. Vier Wochen später teilten sie in einem Kundenbrief mit: «Wir mussten die Positionen der vier betroffenen Fonds vollends wertberichtigen.» Als Dachfonds hatten die Reichmuths mit Matterhorn die Kundengelder auf mehr als 80 Zielfonds mit unterschiedlichen Anlageklassen und -strategien verteilt, meist Hedge Funds. Daher war nicht alles Geld verloren, aber die Madoff-Fonds verursachten einen Verlust von nahezu 9 Prozent. Wegen Madoff mussten im Fonds gesamthaft 340 Millionen Dollar wertberichtigt werden.

Viele Kunden wollten ihre Gelder abziehen, doch im Interesse der bleibenden Anleger mussten sie zunächst investiert bleiben. Reichmuth entschied, den Fonds aufzulösen, und nannte einen Liquidationszeitraum von zwei Jahren, um die verbliebenen Inventarwerte zu versilbern.

Schwarzes Loch. Mit diesen Aussichten konfrontiert, studierten die Verantwortlichen der Firmenkundin den Fonds-Jahresbericht und wunderten sich, dass sämtliche Investments in der Anlageklasse Arbitrage-Handel in sogenannten Feeder Funds landeten, deren Gelder im grossen Madoff-Loch verschwanden. Wie man heute weiss, funktionierte das System so: Die Feeder Funds wurden mit den Kundengeldern «gefüttert». Die Gelder wurden an das Brokerhaus Madoffs weitergeleitet – vermeintlich zur Vermögensanlage. Tatsächlich hatte Madoff aber während 13 Jahren keinen Cent investiert.

Alle vier betroffenen Zielfonds im Matterhorn-Depot verfolgten die «Split Strike Conversion»-Strategie, die in der Fachwelt seit vielen Jahren mit dem Namen Madoff verknüpft ist. Konnte es sein, so fragten sich die Kundenvertreter, dass die Reichmuth-Fondsmanager nicht bemerkten, dass Madoff dahinter stand? Warum wurden die Warnhinweise übersehen? Fiel ihnen nicht auf, dass alle diese Fonds eine ungewöhnlich identische, stetige und konstante Performance auswiesen?

Sie hätten gewusst, dass diese Strategie mit Madoff Securities als Broker umgesetzt wurde, sagten die Reichmuths, aber die Verantwortung sei nach ihrer Überzeugung nicht bei Madoff, sondern bei den Investment Managern gelegen. Die Zielfonds mit Namen wie Ascot, Herald oder Thema seien von bekannten Investment Managern wie der Wiener Medici-Bank oder dem Madoff-Vertrauten Ezra Merkin gesteuert und von Revisionsfirmen wie Ernst  &  Young, PwC, KPMG und BDO geprüft worden. Zweimal, so Reichmuth, hätten ihre Fondsmanager Madoff «als Broker dieser Fonds persönlich besucht». Obwohl die Regeln im Fonds-Prospekt nur «persönliche Besuche bei den einzelnen Fondsmanagern vor Ort» verlangten.

Die Firmenkundin liess nicht locker und erlebte im April ein folgenreiches Gespräch in Luzern (siehe unter 'Weitere Artikel').

Reichmuth verteidigt sich auch heute, alle Prüfpflichten erfüllt zu haben: «Der Due-Diligence-Pflicht und auch allen übrigen Pflichten sind wir bei den Zielfonds stets und vollumfänglich nachgekommen.» Die Bank und ihre Fondsgesellschaft sehen daher «keinerlei Veranlassung, Entschädigungen zu bezahlen».

Was die Kundenvertreter irritierte: Im Fall der Genfer Bank UBP, die ebenfalls Kundengelder in Madoff-Feeder-Funds anlegte, war der entscheidende Grund für das Investment klar. Die UBP erklärte als ihr Motiv für die Wahl der Zielfonds «die hoch anerkannte Laufbahn des Managers Madoff» und dessen weitreichenden Einfluss in der Finanzindustrie.

Und im Sommer 2009 verteidigte sich auch der Madoff-Vertraute Merkin wegen seines Ascot-Fonds vor Gericht: «Den Investoren war wohlbekannt, dass im Wesentlichen alle Vermögen durch Madoff investiert wurden.»

Die Reichmuths hingegen, so betonen sie, waren überzeugt, dass die Zielfonds die Investmententscheide trafen. Wie die anderen Glieder in der Kette seien sie betrogen worden.

Spät erkannt. Doch mit den vier von Reichmuth genannten Fonds waren nicht alle Madoff-Investments erfasst. Matterhorn investierte in einer anderen Anlageklasse zudem Gelder in einen weiteren Merkin-Fonds namens Ariel. «Erst später», erklärten die Reichmuths gegenüber BILANZ, sei ihnen eröffnet worden, dass ein Teil der negativen Ariel-Performance auch vom Betrug verursacht war. Die späte Erkenntnis macht nachdenklich, war doch Merkins Engagement bereits Tage nach Madoffs Verhaftung bekannt.

Eine Analyse der Matterhorn-Investments offenbart weitere Schwachstellen: Nicht nur die Madoff-Vehikel verursachten Schäden. Seit 2006 wurden Kundengelder ebenfalls in zweifelhafte Fonds des deutschen Hedge-Fund-Managers Florian Homm investiert, der seit September 2007 abgetaucht ist. Er wurde 2005 wegen Börsendelikten in Deutschland bestraft. Die Fälle waren bekannt. Nun laufen gegen Homm Schadenersatzklagen, auch die US-Börsenaufsicht ermittelt. Der Verdacht: Er habe Kundengelder mit Börsenspielen in US-Junk-Aktien veruntreut. Die Investments stimmten eindeutig nicht mit der Strategie überein.

«Die Due Diligence wurde wie bei allen Zielfonds umfassend und pflichtgemäss durchgeführt», erklärt Reichmuth hingegen, «Homms effektives Handeln müssen die Gerichte klären.»

Unbestritten bleibt jedoch: Auch nach dem Abtauchen von Homm steckten 40 Millionen Franken Matterhorn-Gelder in den Homm-Fonds.