Der Auftritt sollte so diskret wie möglich ablaufen. Rechtlich gesehen wäre die Bank Wegelin nicht verpflichtet gewesen, einen ihrer Teilhaber zur abschliessenden Verhandlung nach New York zu schicken. Doch die Signale der Anwälte waren eindeutig: Wenn nur ein Prokurist die Bank verträte, könnte der Richter darin eine Missachtung des Gerichts sehen. Also nahm Otto Bruderer, mit den Sachfragen mindestens genauso vertraut wie der zweite geschäftsführende Teilhaber Konrad Hummler, in der Öffentlichkeit aber viel weniger bekannt, die Reise nach New York auf sich. Der medienscheue Banker wollte vor allem eines vermeiden: ein Blitzlichtgewitter der New Yorker Presse.

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Es half ihm der Sturm. Die Einigung war eigentlich noch im alten Jahr geplant, doch weil der Wirbelsturm «Sandy» die Metropole lahmlegte, wurde der Deal an einem für Wegelin historischen Datum abgeschlossen: dem 3. Januar – dem Jahrestag der Anklage gegen drei Wegelin-Mitarbeiter, der das Ende der ältesten Privatbank der Schweiz eingeleitet hatte. Gut für Bruderer: Die amerikanischen und Schweizer Medien verharrten noch im Feiertagsmodus, und so konnte er mit Anwälten der New Yorker Kanzlei Goodwin Procter unerkannt ins Gerichtsgebäude in Manhattan marschieren und die Vereinbarung unterzeichnen. Als die Nachrichtenagentur Bloomberg von dem Deal berichtete, war er schon wieder weg. Das gefürchtete Strauss-Kahn-Moment blieb aus.

Am selben Tag bestätigte die Rumpfbank den Deal mit den amerikanischen Behörden in einem dürren Communiqué und lieferte das Schuldeingeständnis Bruderers mit. Beihilfe zur Steuerhinterziehung sei «in der Schweizer Bankenindustrie üblich gewesen», behauptete er dort – und löste damit den Sturm der üblichen Profilierungs-Verdächtigen aus. «Eine Kaskade von Schweinereien», wetterte FDP-Präsident Philipp Müller; die Bank Wegelin «ziehe den Finanzplatz in den Dreck», tönte sein CVP-Pendant Christophe Darbellay; und SP-Vormann Christian Levrat ortete «eine Katastrophe». Nur einer schwieg: der sonst so wortgewaltige Konrad Hummler. Seine einzige Wortmeldung war ein kaum aktuell verfasster Beitrag im Feuilleton der «NZZ», in dem er über Schlaflosigkeit sinnierte. Wer wollte, konnte darin einen Racheakt der Redaktion sehen: Der passionierte Publizist, nach dem Notverkauf seines Lebenswerks an die Raiffeisen zur Aufgabe des «NZZ»-VR-Präsidiums gezwungen, ist in der Redaktion wenig beliebt – er wollte ihr einen harten Sparkurs und eine verschärfte Digitalisierung verordnen.

Tarife erhöht. Hummlers Problem: Er durfte nicht reden. Denn die Vereinbarung enthielt, vom New Yorker Staatsanwalt Preet Bharara gefordert und gegen den erbitterten Widerstand von Wegelins Anwälten durchgesetzt, eine sogenannte «Non-Disparagement Clause»: Sie verbietet es dem Beklagten, sich öffentlich über das Verfahren zu äussern. Meist wird sie in den USA bei Arbeitsprozessen angewendet, um Firmen gegen nachträgliche Beschuldigungen der Entlassenen zu schützen. In vergleichbaren Gerichtsfällen ist sie extrem unüblich. Mit Hummlers Maulkorb sicherte sich der auf Wählerstimmen angewiesene Staatsanwalt Bharara die Deutungshoheit: Das Geständnis sei ein «Wendepunkt», und er werde nicht ruhen, bis die Steuerhinterziehung «vollkommen ausgerottet» sei.

Als Verlierer sehen sich die Wegelin-Lenker dennoch nicht. Ihre Version ist eine andere: Ehrenvoll wollten sie in die Geschichte eingehen, hatten sie vor elf Monaten in ihrem Abschiedsbrief an die Kunden angekündigt, und das ist ihnen aus ihrer Sicht gelungen. Von ihrem stattlichen Haus zur Brühllaube, unweit vom bisherigen Wegelin- und heutigen Notenstein-Hauptsitz im Herzen St. Gallens gelegen, 2008 von Wegelin gekauft und bis 2011 renoviert, orchestrierten die Juristen Hummler und Bruderer die Abwehrschlacht gegen die US-Behörden. Die anderen in der Bank Wegelin verbliebenen Teilhaber wurden ein-, zweimal pro Monat aufdatiert, waren an den Verhandlungen jedoch kaum beteiligt.

Die Haltung war von Anfang an: Wir verraten unsere Kunden und unsere Mitarbeiter nicht. Es wäre der einfachste Weg gewesen: Die US-Behörden hatten mehrfach signalisiert, dass sie bei Lieferung der Kundennamen den Fall mit einer Strafzahlung beenden würden. Darauf wollten sich die Wegelin-Partner nicht einlassen. Sie hatten sich stets an die Schweizer Gesetze gehalten, ein Bruch des Bankgeheimnisses war tabu. Mit den Anwälten von Goodwin Procter und Schweizer Vertretern, zeitweise auch Wirtschaftsanwalt Peter Nobel, loteten sie ihre Chancen aus. Sie fanden Schwachstellen in der Anklage und erwogen ernsthaft, den Prozess durchzuziehen. Doch schliesslich siegte Pragmatismus: Eine bunt zusammengewürfelte Jury würde kaum für eine Schweizer Bank stimmen, die Steuerhinterzieher schützt, und die Rechtskosten würden weiter steigen. So ging es am Ende nur noch um zwei Dinge: den Preis und die Kommunikation.

Und da zeigt sich, dass die Amerikaner seit der UBS-Busse 2009 die Tarife erhöht haben. Damals zahlte die Grossbank für die mit US-Kunden ungerechtfertigt erzielten Gewinne von 300 Millionen Dollar eine Strafe von 780 Millionen Dollar, bei der Bank Wegelin war es für einen Gewinn von 16 Millionen Franken eine Zahlung von 74 Millionen Dollar – also fast eine relative Verdoppelung. Das lässt für die Verhandlungen von Credit Suisse, Julius Bär, ZKB und Co. nichts Gutes ahnen.

Krisenbeschleuniger. Und dann die Kommunikation: Dass durch die Aussage Bruderers die Verhandlungsposition der Schweizer Banken bei einer Globallösung geschwächt sei, wie FDP-Präsident Müller behauptet, ist wenig überzeugend – und das nicht nur, weil die Amerikaner kein Interesse an einer Globallösung haben. Vor allem: Bruderer hat nur beschrieben, was alle Schweizer Banken wissen. Praktisch keine der mehr als 300 Banken hat nicht in irgendeiner Form Beziehungen mit US-Kunden, und viele haben nach dem Schuldeingeständnis der UBS im Jahr 2008 deren US-Kunden aufgenommen – neben der unbestritten besonders aggressiven Wegelin auch Banken mit Staatsgarantie wie die Kantonalbanken in Zürich und Basel.

Wenn es einen Krisenbeschleuniger gab, lag er bei der Finma: Sie hat den US-Behörden die Exit-Daten mit den neuen Bankverbindungen von 20 000 UBS-Kunden geliefert, mit denen die Amerikaner eine umfangreiche Datenbank über die Steuersünder aufbauen konnten. Zusammen mit den Selbstanzeigen vieler Kunden und den Geständnissen zahlreicher Schweizer Banker – bei Wegelin etwa des früheren Mitarbeiters Daniel Sprecher – können die Amerikaner heute sehr viele Schweizer Banken in die Knie zwingen. Dass die Finma die Schliessungsinstruktionen weiterleitete, wussten Wegelin und die anderen betroffenen Banken nicht, sonst hätten sie die Kunden kaum angenommen. Sie wähnten sich geschützt durch den Schweizer Rechtsraum – eine fatale Fehleinschätzung. Hier ist das Wegelin-Ende in der Tat ein Wendepunkt: Eine Bank geht unter, obwohl sie nur in der Schweiz und dort stets gesetzeskonform tätig war.

Dass die aufrechte Haltung seinen Kunden wenig bringen mag, kann Hummler nicht ändern. Denn die Bank Wegelin musste sich verpflichten, alle Daten der amerikanischen Kunden aufzubewahren. Sollten sie via die Schweizer Behörden doch noch bei der US-Justiz landen, läge das nicht mehr in seiner Verantwortung. «Ich lasse das Leben als Banker hinter mir», sagte er in seinem einzigen Interview nach dem Notverkauf im November gegenüber der «Basler Zeitung». Wenn er zurückkehrt, dann als Publizist. Er gründete die Firma M1, benannt nach der Museumstrasse 1, der Adresse des Hauses zur Brühllaube. Dass ihn eine Wiederauflage seiner legendären Anlagekommentare für interessierte Investoren reizt, darf als gesichert gelten.

Über das Verfahren allerdings darf er sich nicht äussern. Der New Yorker Maulkorb gilt lebenslang.

Dirk Schütz
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