Es ist hinreichend dokumentiert, dass das vergangene Wochenende für James Cayne eines der schlimmsten seiner Laufbahn war. Während der Bear-Stearns-Verwaltungsratschef sich auf einem Bridge-Turnier vergnügte, stürzten die Aktien seiner Investmentbank ins Bodenlose. Grossaktionär Cayne verlor dadurch geschätzte 477 Mio Dollar. Viel schlimmer traf der Absturz allerdings Christopher Minto. Er ist der Hauspostbote der Investmentbank – und als solcher ebenso wie alle Bear-Stearns-Mitarbeiter ein Aktieninhaber. «Es ist zum Verzweifeln», sagt Minto, der schon seit 18 Jahren bei der Bank arbeitet. «Ich habe fast 15000 Dollar verloren.»

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Feine Adresse für Aktienhandel

Der Manager und der Hauspostbote – zwei Beispiele für Aktionäre, die vom plötzlichen Niedergang von Bear Stearns überrascht wurden. Die Investmentbank war eines der bekanntesten und erfolgreichsten Traditionshäuser an der Wall Street. Vor 85 Jahren von Joseph Bear und Robert Stearns als feine Adresse für Aktienhandel gegründet, war das Unternehmen an der Madison Avenue mit den Jahren zur fünftgrössten Investmentbank der USA aufgestiegen.

Doch heute liegt das Traditionshaus in Asche. Ein Notverkauf an den grösseren Konkurrenten JP Morgan steht an, die Hälfte der 14000 Stellen im Unternehmen soll wegfallen. Die Stimmung sei extrem gedrückt, sagt Hauspostbote Minto, der seine Leidensgeschichte der Lokalzeitung «New York Post» erzählt hat. «Es ist ungewöhnlich still auf den Gängen. Die Leute haben wohl noch an den Nachrichten zu knabbern.»

An der Eingangstür des Hauptquartiers konnte man in den letzten Tagen den Spott ablesen, den die New Yorker offenbar für die tief gefallene Bank empfinden. Ein Spassvogel hatte am Computer einen «Zwei-Dollar-Schein» gemalt, ausgedruckt und an die Glastür am Bear-Stearns-Haupteingang geklebt – 2 Dollar wollte JP Morgan pro Aktie für das Unternehmen bezahlen. Mittlerweile hat der Konkurrent die Offerte auf 10 Dollar je Aktie aufgebessert. Dies nach massiven Protesten vieler Bear-Sterns-Beschäftigten, die zusammen 30% der Anteile halten. Für den Notverkauf von Bear Stearns ist noch die Zustimmung der Aktionäre erforderlich.

Die Nachricht löste an der Börse ein Kursfeuerwerk aus: Die Bear-Stearns-Aktie schoss am vergangenen Dienstag um 91% auf 11.37 Dollar nach oben. Das ist allerdings noch immer weit vom ursprünglichen Wert des Titels entfernt: Noch Anfang Februar lag der Aktienpreis bei 93 Dollar.

Schuld am Ende der Investmentbank waren hohe Spekulationen auf dem US-Immobilienmarkt. Keine andere Bank hatte einen so grossen Anteil ihres Kapitals in Wertpapiere investiert, die an US-Häuserkredite angelehnt waren.

Bear Sterns verpasste Rückzug

Während einige Konkurrenten wie Marktführer Goldman Sachs sich rechtzeitig zum Ausstieg aus dem riskanten Geschäft entschlossen, verpasste Bear Stearns den richtigen Moment. Aus lauter Panik zogen viele Geschäftspartner vergangene Woche ihr Geld aus der Bank ab und brachten sie damit an den Rand der Zahlungsunfähigkeit.Das Führungsteam von Bear Stearns sucht nun verzweifelt nach einem alternativen Käufer, der mehr zahlen könnte als JP Morgan. Laut «New York Post» suchen der frühere Chef, James Cayne, und Anteilseigner Joe Lewis hinter JP Morgans Rücken nach einem anderen Bieter. Dazu seien sie an europäische Banken wie Barclays, HSBC, Credit Suisse und Royal Bank of Scotland sowie an Beteiligungsgesellschaften wie J.C. Flowers und Kohlberg Kravis Roberts & Co herangetreten. Zudem sollen auch asiatische Staatsfonds im Gespräch sein.

Für Konkurrent JP Morgan jedenfalls wäre die Übernahme ein Glücksfall. Er bekommt die Bank mit all ihren Managern und der Kundenbasis fast geschenkt und dazu wird von der New Yorker Filiale der Notenbank Federal Reserve auch noch das Risiko für Risiken abgenommen, die noch in den Bear-Stearns-Bilanzen schlummern könnten.

Der vielleicht grösste Gewinn ist aber das Bear-Stearns-Hauptquartier an der Madison Avenue im New Yorker Stadtteil Manhattan. Allein die Immobilie ist 1,2 Mrd Dollar wert. JP Morgan kündigte bereits an, seine Pläne für ein neues Hauptquartier vorerst auf Eis zu legen – und stattdessen mit der gesamten Abteilung Investment Banking bei Bear Stearns einzuziehen.

Und es gibt noch andere, die sich über den Zusammenbruch freuen. Zum Beispiel Warren Spector. Der 50-Jährige war bis vergangenen Sommer Spartenchef bei Bear Stearns, und unter anderem für die beiden Hedge-Fonds verantwortlich, die bankrott gingen und somit das erste sichtbare Zeichen der Immobilienkrise lieferten. Spector wurde daraufhin vor die Tür gesetzt. Glück im Unglück für ihn. Denn heute hält Spector nur noch einen winzigen Anteil an den Aktien der Bank – und entkam so dem Einbruch des Aktienkurses fast unbeschadet.