Die Schweiz ist vom Fussballfieber befallen. Und mit ihr die Bierbrauer. «Fussball und Bier, das gehört doch zusammen», begründet Boudewijn van Rompu, Verwaltungsratspräsident und CEO von Heineken Schweiz. Da mag Thomas Amstutz, oberster Lenker des Konkurrenten Feldschlösschen Getränke, nicht hintenanstehen: «Zum Genuss eines Fussballspiels gehört für viele Zuschauer auch der Genuss eines Bieres. Wir erwarten daher ein deutliches Zusatzvolumen.» Damit das Bier dann auch tatsächlich in Strömen fliesst, zieht die Branche alle Register moderner Produktepromotion: Fussball-WM-Festutensilien, speziell kreierte Flaschen und Dosen, Reklamematerial in allen Schattierungen, Werbeaktionen im Detailhandel, Inseratekampagnen.

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Die Erwartungen sind hoch. Boudewijn van Rompu, der vor dem Schweizer Gastspiel bei Heineken Vietnam gepfiffen hat, rechnet alleine dank der weltmeisterlichen Kickerei mit einem Mehrabsatz von 200 000 Hektolitern – mindestens. Wenn das Wetter mitspielt, sprich im Juni bereits sommerliche Temperaturen herrschen, werde der Bierkonsum erst recht angekurbelt.

Die Bierseligkeit täuscht. Nach dem Schlusspfiff am 9. Juli zieht im Schweizer Biermarkt wieder der Alltag ein – und der ist trist. Seit Jahren sinkt der Bierkonsum drastisch. Im vergangenen Jahr wurden noch 3,42 Millionen Hektoliter gebraut, 18 Prozent weniger als vor 15 Jahren. Dagegen sind die Importe in derselben Periode um acht Prozent auf 0,72 Millionen Hektoliter angestiegen (siehe «Der Durst nimmt ab» unten). Die schwindende Lust des Schweizers auf Gerstensaft lässt sich am Pro-Kopf-Konsum ablesen: Wurden 1990 71 Liter gekippt, sind es inzwischen gerade noch 55 Liter. Das sind 230 Millionen Stangen weniger! Nur Franzosen und Italiener picheln noch weniger Bier (siehe «Durstige Tschechen» auf Seite 74). Die schluckfreudigsten Europäer kommen aus Tschechien; in der Heimat von Budweiser oder Pilsner Urquell leert jeder Einwohner im Durchschnitt 160 Krüge Pivo zu je einem Liter – dreimal so viel, wie die Schweizer kippen.

Die Schweizer Brauer vermögen ihre Kapazitäten dem sinkenden Konsum kaum anzupassen. Bier ist ein emotionales Getränk, die Marken stark in der entsprechenden Region verankert. Da wächst sich ein Schliessungsentscheid für eine Brauerei schnell zum Politikum aus. So fing sich Feldschlösschen in Freiburg eine schallende Ohrfeige ein, als sie 1996 die Regionalbrauerei Cardinal schliessen wollte; zu Tausenden gingen die Einwohner auf die Strasse, in der Westschweiz wurde das Feldschlösschen-Bier boykottiert. Cardinal braut bis heute Bier. Kein Wunder, dass sich die Branche jede Schliessung dreimal überlegt. Das Resultat sind massive Überkapazitäten von schweizweit 700 000 bis 900 000 Hektolitern. Alleine Feldschlösschen schleppt 500 000 Hektoliter «freie Kapazitäten» mit sich herum, und zwar am Produktionsstandort in Freiburg.

Der sinkende Bierkonsum, gepaart mit Überkapazitäten, entlädt sich in einem Verdrängungswettbewerb. Dieser wird vor allem über einen heftigen Preiskampf ausgefochten. «Die Bierproduzenten wollen ihre Volumen halten und versuchen dies in einem schrumpfenden Markt über Preisnachlässe», beschreibt Konrad Studerus, Direktor des Schweizer Brauerei-Verbandes. Damit hat die Branche ein Eigentor geschossen. Denn die Konsumenten, seit Jahren immer wiederkehrende Aktionen gewohnt, kaufen Standardbier nur noch zu Spottpreisen, die Markentreue bleibt auf der Strecke. Sogar wenige Tage vor Anpfiff der Fussball-WM werden im Detailhandel durstige Kehlen mit Aktionen angelockt. Beispielsweise Coop verkauft Schweizer Bier 20 Prozent günstiger, und Anker Lager wird zum halben Preis verschleudert. In der Bierbranche wird der Detailhändler heftig gerüffelt; Coop nutze seine Marktstellung schamlos aus und presse den Bierherstellern Preiskonzessionen ab, «die ans Lebendige gehen», so ein Brauer.

Zitieren allerdings lässt sich niemand; seit Pick Pay in Denner aufgegangen ist, dominiert Coop das Geschäft mit Schweizer Markenbieren fast beliebig. Denner verkauft zwar Feldschlösschen in der gesamten Schweiz und einzelne Marken in den jeweiligen Regionen. Allerdings ist für den Discounter «die Preisleistung matchentscheidend. Deshalb haben wir auch ein ausgesprochen starkes Importbiersortiment», sagt Hans-Rudolf Brauchbar, Leiter Einkauf und Beschaffungsmarketing bei Denner. Bleibt den heimischen Bierproduzenten also primär Coop. Und wer da nicht ins Ladengestell kommt, hat schon verloren. «Es stimmt, wir machen zu grosse Preiszugeständnisse, aber gezwungenermassen. Wer nicht spurt, fliegt aus dem Sortiment», klagt ein Brauer.

Coop-Pressesprecher Karl Weisskopf lassen diese Vorwürfe kalt. «Die Überkapazitäten sind nicht unser Problem», stellt er klar. Dass Coop dadurch letztlich bei Preisverhandlungen am längeren Hebel sitzt, mag Weisskopf nicht bestreiten. «Unsere Kundschaft erwartet bei fast allen Produkten eine negative Preisentwicklung, und dies insbesondere beim Bier.» Den Brauern zu schaffen macht noch ein anderer Punkt. Coop bietet ein breites Biersortiment an und rundet dieses in den einzelnen Gebieten mit regionalen Säften ab. Schweizweit im Sortiment sind dagegen die Eigenmarken Coop Lager, Tell Bier und Helvetia Bier. Auch sonst sind die Eigenmarken – neben Coop führen Denner, Carrefour, Landi, Manor und Otto’s eigene Biere – im Zeichen des «Geiz ist geil»-Zeitalters gefragt; im vergangenen Jahr legten die Eigenmarken im zweistelligen Bereich zu, während die Markenbiere der Brauer über fünf Prozent verloren.

Coop setzt von diesen drei Marken jährlich 170 000 Hektoliter ab, was nach Schätzungen von Weisskopf knapp einem Drittel des Bierabsatzes beim Detailhändler entspricht. Gebraut werden die Coop-Eigenmarken von Heineken in Chur. Dennoch dürfte die Getränkegruppe, mit einem Marktanteil von 18 Prozent zweitgrösste Biersieder der Schweiz, nur mässig Freude daran haben. Zwar lassen sich dadurch die Kapazitäten besser auslasten; Chefbrauer Boudewijn van Rompu schätzt, dass in Chur im letzten Jahr 750 000 Hektoliter gebraut wurden und sich die Überkapazitäten mit gegen 100 000 Hektolitern in Grenzen hielten. Allerdings sind die Margen beim voluminösen Coop-Auftrag hauchdünn. Dabei könnte Heineken, die seit der Übernahme von Calanda-Haldengut Mitte der neunziger Jahre keine Zahlen mehr veröffentlicht, neben dem Hausbier, eben Heineken, durchaus mehr gewinnträchtige Produkte vertragen.

Die Premium-Marke Amstel, die das Management jahrelang mit aller Macht und noch mehr Geld in den Schweizer Markt drücken wollte, erweist sich als teurer Flop – in der Branche wird von 25 bis 30 Millionen Franken gesprochen. Weder in den Gasthäusern noch im Detailhandel fand Amstel genügend Liebhaber. Übungsabbruch, befahl van Rompu vor kurzem; Amstel soll in zwei bis drei Jahren vollständig aus der Schweiz verschwunden sein. Seit einiger Zeit wird versucht, das Bündner Regionalbier Calanda zur nationalen Marke aufzubauen. Auch dies ein ambitiöses und damit kostspieliges Unterfangen; für den Aufbau steht ein Budget von gegen 40 Millionen Franken zur Verfügung.

«Wir sind glücklich mit der Entwicklung», zeigt sich der Heineken-Chef optimistisch. Was nicht überdeckt, dass die bisherigen Erfolge eher bescheiden ausgefallen sind. Nur wenige Wirte ausserhalb Graubündens wollen das Bier mit dem Steinbock ausschenken. Auch im Detailhandel harzt es; Denner führt Calanda lediglich in Bündner Filialen, und dies auch erst seit kurzem. Coop bietet das Bier im Bündnerland sowie im Tessin an, zeigt sich aber von den Absatzzahlen mässig beeindruckt. «Die Verkäufe haben in den letzten zwei Jahren nur geringfügig zugenommen», meint Coop-Pressesprecher Karl Weisskopf. Und dies trotz breiter Bewerbung. Bei Heineken dagegen wird für Calanda ein Wachstum von 20 Prozent moniert – ausserhalb des Stammgebiets. Nur lassen sich da bei den eh tiefen Umsätzen schnell einmal kräftige Zunahmen erreichen; prozentual.

In der Schweiz gibt es nur ein Bier mit nationaler Präsenz: Feldschlösschen. Doch die Marke mit den zwei roten Backsteintürmen verliert unter den Markenbieren des mittleren Segments am meisten an Boden. Das Aushängeschild der Brauerei aus Rheinfelden, mit einem Marktanteil von 42 Prozent unangefochtene Nummer eins im Schweizer Biergeschäft, wurde in den letzten Jahren vernachlässigt, soll nun aber wieder forciert werden. Dafür haben die Rheinfelder, seit 2000 unter den Fittichen der dänischen Grossbrauerei Carlsberg, dem Premiumbier der Muttergesellschaft etwas gar viel Aufmerksamkeit geschenkt. Mit bescheidenem Erfolg. Die Parademarke der Dänen vermochte jedenfalls Heineken als international führendes Bier in der Schweiz nicht vom ersten Platz zu verdrängen. Zwar ist Carlsberg im Detailhandel gut etabliert, wird jedoch nur zur Abrundung des Sortiments geführt; das reicht nicht für ein überdurchschnittliches Wachstum. Auch die aggressive Strategie, über starke Preisnachlässe in die Zapfhahnen der Dorfbeizen zu kommen, ist nicht aufgegangen. «Wer will denn schon auf dem Land ein offenes Carlsberg trinken?», wundert sich ein Konkurrent.

Perlend dafür das Geschäft bei der Luzerner Eichhof-Gruppe. Im ersten Semester des Geschäftsjahres 2005/06 stiegen Umsatz und Ertrag, der Bierabsatz stieg um sechs Prozent. «Damit haben wir erneut Marktanteile gewonnen», stellt Eichhof-Chef Werner Dubach klar. Eichhof als drittgrösste Brauerei will nun noch stärker über die Grenzen der Zentralschweiz hinaus agieren. «Wir bleiben expansiv im Dreieck Zürich–Basel–Bern», so Dubach. Dies hat bislang auch die Heineken-Gruppe zu spüren bekommen. Das in der Region Winterthur traditionell stark verankerte Haldengut «steht etwas unter Druck, weil Eichhof in diesem Gebiet sehr aggressiv vorgeht», registriert Heineken-Chef Boudewijn van Rompu.

Im Baselbiet ist den Zentralschweizern ein besonderer Coup geglückt: Vor wenigen Wochen wurde das Biergeschäft der traditionsreichen Bierbrauerei Ziegelhof übernommen. Der Vertrieb bleibt in Liestal, die Brauerei wird dagegen geschlossen und «das goldene Bier», wie es in der Eigenwerbung heisst, künftig in Luzern gebraut. Die Akquisition weitet den Marktanteil der Innerschweizer auf elf Prozent aus. Weitaus wichtiger ist jedoch der tiefe Vorstoss von Eichhof ins Feldschlösschen-Land. Nun können sie die Vertriebskanäle von Ziegelhof benutzen. «Nun haben wir uns dort gut positioniert, das ist für uns ein attraktiver Absatzkanal», freut sich Werner Dubach.

Weniger Freude zeigt Hans-Ulrich Leupin, Verwaltungsratspräsident der Brauerei Ziegelhof. Nicht Eichhof, sondern Lokalmatador Feldschlösschen gilt sein Zorn. Denn Ziegelhof ist ein typisches Opfer des Verdrängungswettbewerbs. Jahrelang konnten die Brauer mit den Wirten Abnahmeverträge mit einer Laufzeit von 10 bis 15 Jahren abschliessen. 2004 strich die Wettbewerbskommission die Vertragsdauer auf höchstens fünf Jahre zusammen. «Darauf ist Feldschlösschen in unser Gebiet eingefallen und hat die Gastwirte aus unseren Verträgen herausgekauft», ereifert sich Leupin. Es ist üblich, dass die Brauer den Restaurants Kredite gewähren. Der Wirt zahlt dieses Darlehen indirekt zurück über den Bierbezug. Wer frühzeitig aus dem Vertrag aussteigt, muss den nicht amortisierten Teil sowie einen Strafzuschlag bezahlen, in der Branche «Umtriebsentschädigung» genannt. Diese Zahlungen übernimmt Feldschlösschen. Sowie einiges an zusätzlichen Leistungen wie Gläser, Theken, Sonnenschirme – und oft auch so genannte Sponsoring-Beiträge, moniert Leupin.

Dabei liegen die Biere der grossen Konzerne meist deutlich über den Preisen der kleinen Brauer. Ein Gastwirt müsse für ein Premiumbier wie Carlsberg oder Heineken 320 bis 340 Franken pro Hektoliter bezahlen, sagt Karl Locher von der Appenzeller Brauerei Locher, die das berühmte Vollmond-Bier braut. Für Feldschlösschen oder Eichhof liegen die Sätze etwas tiefer. Am Ende des Jahres erhalten die Wirte, je nach bezogener Menge, eine Rückvergütung von etwa 30 Franken pro Hektoliter. Für 100 Liter Appenzeller Bier hätte der Wirt dagegen nur 260 Franken zu bezahlen, also deutlich weniger. Dass dennoch viele Beizer zu den grossen Brauern wechseln, hat nichts mit der Qualität des Bieres, dafür mit viel Geld zu tun.

Wobei Qualität für Karl Locher sowieso Ansichtssache ist. «Die Grossbrauereien fabrizieren McDonald’s-Biere, die schmecken alle gleich», mokiert sich der Appenzeller. «Im Vergleich mit McDonald’s sind wir die Sterneköche. Wir brauen Bier mit Ecken und Kanten.» Was allerdings nicht jedem Biertrinker behagt und das Wachstum der Kleinfirma einschränkt. Dafür hat die innovative Brauerei einen treuen Kundenstamm, der laufend wächst. Und Karl Locher kann das Hauen und Stechen im Biermarkt von der Zuschauertribüne aus verfolgen. Er jedenfalls freut sich vorbehaltlos auf die Fussball-WM.