«Wer will, dass alles bleibt, muss alles ändern» heisst die Devise des konservativen Helden Gattopardo in Giuseppe Tomasi di Lampedusas Familienroman «Der Leopard». Hans-Dieter Vontobel, Spross der gleichnamigen Zürcher Banquiersfamilie, zitierte die Aussage im Vorwort der Firmenchronik, welche die Bank zum 75-Jahre-Jubiläum herausgab.

Das war 1999. Drei Jahre später resümiert das Zitat die jüngste vontobelsche Vergangenheit vortrefflich. In grosser Not krempelte Hans-Dieter Vontobel seine Bank um, damit sie werde, was sie war – solid und grundgut: Die Dynamik ist der Vorsicht gewichen, und der Gesinnungswandel wurde auf höchster Ebene personifiziert. Statt des umtriebigen Jörg Fischer führt heute der zwar als sehr tüchtig, aber farblos geltende Robert Zingg die Bank. Zur Krönung der neuen Ära verliess der charismatische Schöngeist HDV, wie der Patron intern gerufen wird, die Bank per Mitte April und kümmert sich fortan vollamtlich um sein Gestüt, das er kürzlich von Ungarn nach Südfrankreich verlegt hat. Nun ist erstmals kein Vontobel mehr im Geschäft. Was nicht alle der wohlbetuchten Kunden goutieren dürften.

Die Oberaufsicht über das Schicksal des Traditionshauses liegt in der Hand des neuen Präsidenten Peter Wagner, eines Managers, der ein geübter Controller ist und als ehemaliger Danzas-Chef ein versierter Transportfachmann – aber kein Banker und schon gar kein Banquier.

Am 21. März 2002 hatte er seinen ersten grossen Auftritt. Zusammen mit Robert Zingg und Finanzchef Urs Ernst präsentierte Wagner die Resultate des Geschäftsjahrs 2001. Es war ein grässliches Jahr: Kurszerfall an den Börsen, Platzen der New-Economy-Blase, Ertragseinbruch im Investment-Banking.

Dann ein Haufen hauseigener Stolpersteine: Die Beherztheit, mit der die Bank in die New Economy einstieg, gilt heute im Nachhinein als Beginn einer einmaligen Serie von teuren Fehlentwicklungen. Zuerst der spektakuläre Flop mit dem Internetbankprojekt You (Schaden: 206,4 Millionen Franken). Im Juni 2001 verliert die Bank Vontobel das Mandat der Risikogesellschaft Private Equitiy Holding (PEH). Der Preis: rund 80 Millionen Franken als Wertberichtigung auf dem eigenen PEH-Aktienbestand und der Verlust von Assets under Management in der Höhe von 2,6 Milliarden Franken. Kurz darauf ruft die Swissair-Pensionskasse über eine Milliarde Franken zurück. Wertberichtigungen auf dem hohen Bestand an eigenen Aktien schliesslich verschlingen 40 Millionen, Unregelmässigkeiten im Bereich Corporate Finance abermals 10,9 Millionen Franken. Wären da nicht ausserordentliche Erträge von 110 Millionen Franken gewesen, hätte die Bank auch wegen des operativen Verlusts von 5 Millionen Franken erstmals in ihrer 78-jährigen Geschichte rote Zahlen geschrieben.

Der finanzielle Schaden ist abgerechnet. Die Spitze der Bank Vontobel hat eine lange Liste von unschönen und ungeschönten Zahlen auf den Tisch gelegt. Was bleibt, ist die angeschlagene Reputation wegen der Exzesse übermütiger und wenig gewissenhafter Vontobel-Spitzenmanager. Sie haben das blütenweisse Image der Zürcher Privatbank beschmutzt. Anders als vielerorts rollten bei der Bank Vontobel zwar die Köpfe der obersten Verantwortlichen, als ein enttäuschter Hans-Dieter Vontobel dem Chef Corporate Finance, Hans-Peter Bachmann, die Tür wies, ebenso dem Finanzchef Walter Kaeser und seinem engsten Vertrauensmann, dem Delegierten des Verwaltungsrats Jörg Fischer. Doch damit hat Hans-Dieter Vontobel vor allem die Ordnung wieder hergestellt, nicht aber das Vertrauen und nicht das Renommee. Diese anspruchsvolle Aufgabe liegt jetzt beim Duo Robert Zingg und Peter Wagner.

An der Bilanzpressekonferenz sagt Wagner: «Durch Schaden wird man klüger», und zählt auf: Die Kompetenzen seien neu geregelt, Abläufe und Strukturen bereinigt und die Risikoüberwachung ausgebaut worden. Getreu den Grundsätzen der Corporate Governance gibt es bei der Bank Vontobel keine personellen Überschneidungen mehr zwischen Verwaltungsrat und Management; das Amt des Delegierten ist abgeschafft. Zudem leistet man sich mit Peter Wagner erstmals einen vollamtlichen Verwaltungsratspräsidenten. Nach dem Motto, dass Vertrauen gut, Kontrolle besser sei, liegt heute über den 975 Mitarbeitern ein engmaschiges Kontrollnetz, das künftig verhindern soll, dass sich Teile vom Ganzen lösen. In jedem der vier Geschäftsfelder der Bank wacht neu ein Compliance-Ausschuss über die Einhaltung von Gesetzen, Richtlinien und Weisungen. Das Audit-Committee des Verwaltungsrates wird zudem in regelmässigen Abständen Soll- und Ist-Zustand im Management überprüfen.

«Von unten bis oben muss jeder Mitarbeiter klar verstehen, wo die Grenzen seines Spielfelds sind», deutscht Wagner aus, was er darunter versteht, durch Schaden klüger geworden zu sein. «Nun kommen wir wieder zu dem, was schon vor fünf Jahren wichtig war: normale, seriöse Arbeit», sagt CEO Robert Zingg. Und er sagt dies, als habe er den Höhenflug und den spektakulären Absturz der Bank Vontobel als Zaungast erlebt. Hat er mitnichten: Zingg amtet seit Mitte der Neunzigerjahre in der obersten Geschäftsleitung der Bank, im Jahr 2000 wurde er gar deren Vorsitzender. Heute ist er der CEO der ganzen Gruppe. Und er hält er ein schweres Dossier in Händen. Zingg ist höchster operativer Verantwortlicher in einer Bank, die auf den vier Säulen Investment-Banking, Private Banking, Asset-Management und Investment-Fonds basiert. In drei der vier Geschäftsfelder werden Wunden geleckt.

Im Asset-Management hat ein harter Konkurrenzkampf die Margen zum Schrumpfen gebracht. Ob und wie das Geschäft mit den institutionellen Investoren bei der Bank Vontobel weiterläuft, dürfte neben dem verkäuferischen Geschick des «Mannes der Front», als den Peter Wagner sich bezeichnet, wesentlich davon abhängen, dass echte Ruhe ins Geldhaus einkehrt. Ungereimtheiten wie der Streit mit aufgebrachten Think-Tools-Aktionären oder die laufende Strafuntersuchung der Bezirksanwaltschaft Zürich gegen das Trio Fischer/Bachmann/Kaeser stören jedes Akquisitionsgespräch und besudeln die schönste Firmenbroschüre.

Den Investment-Bankern wiederum fehlen Aufträge, vor allem grosse Deals. Derzeit laufen nur die Kosten. Den Analysten wäre es am liebsten, die Bank Vontobel würde mit diesem Geschäft aufhören, sich aufs Private Banking konzentrieren und andere Leistungen – wie etwa das Research – einkaufen. Davon wollen Zingg und Wagner nichts wissen. «Wir halten an unserer Strategie fest», sagen sie unisono.

Warum? «Weil ich überzeugt bin, dass sie richtig ist», antwortet Präsident Wagner. Als langjähriger Verwaltungsrat ist er an der Ausrichtung der Bank wesentlich beteiligt. Das derzeit als sehr aufwändig qualifizierte Viersäulenkonstrukt einstürzen zu lassen, wäre ein weiteres Eingeständnis von Fehlern in der Vergangenheit. Allein der Gedanke wirkt Schweiss treibend. «Bei der Bank Vontobel wird man alles tun oder besser gesagt lassen, um nicht wieder in die Schlagzeilen zu kommen», lautet die Einschätzung eines Konkurrenten.

Robert Zingg gesteht immerhin ein: «2001 hatten wir eine Delle, und wir glauben, dass es sich für das Brokerage um eine nachhaltige Entwicklung handelt.» Heisst: Die Bank Vontobel beschäftigt zu viele Leute und hat ein Kostenproblem. «Die Kosten sind im Verhältnis zum Ertrag sehr hoch», sagt Bankenspezialist Hans Kaufmann. Hire and Fire steht fern des vontobelschen Selbstverständnisses, Zinggs Rotstift ist diesbezüglich vergleichsweise ein Fineliner. Er setzt ihn an bei den Abgängen im Brokerage: Sie werden nicht mehr ersetzt. Zudem lässt er von einem Team überprüfen, welche Dienstleistungen und Produkte die Kunden vom Vontobel-Brokerage wollen und was sie dafür zu bezahlen bereit sind. Und er korrigiert im Kleinen.

Man sei in den letzten fünf Jahren locker gewesen im Geldausgeben: hier ein Sponsoring, dort etwas Neues kaufen. «Hier kann man mit relativ wenig Aufwand einiges erreichen», sagt Zingg. Wenn heute einer nach Helsinki fliege, achte er darauf, gleich mehrere Termine auszumachen und einen Flug in der Economy-Class zu buchen.

In der Rolle des Sparmeisters schafft sich Zingg kaum Freunde. Bei der Bank Vontobel ist sich die Belegschaft gewohnt, verwöhnt zu werden. Selbst im schlechten Jahr 2001 resultieren aus der Rechnung Personalaufwand geteilt durch Anzahl Mitarbeiter mehr als 210 000 Franken. Und es scheint zumindest fraglich, ob etwa die Damen und Herren Privatkundenberater mit der Rappenspalterei zu Rande kommen. Tun sie es nicht, muss Zingg einlenken. «In diesem Geschäft sind die Leute alles, was man hat», sagt ein Privatbanquier, «sie muss man behalten, denn der Markt wächst sicher wieder.»

Zingg wie Wagner haben vorerst kaum Chancen zu brillieren. Sie können nicht sparen, wollen nichts wagen. So liegt alle Hoffnung in der Erholung der Märkte. In diesem Sinne macht sich Wagner stark für die 20 Corporate-Finance-Spezialisten, welche die Bank Vontobel nach wie vor beschäftigt, obschon sie nichts zu tun haben. «Dort haben wir immer noch die gleichen Mitarbeiter wie vor einem Jahr», sagt Wagner stolz, «nur wer in Unregelmässigkeiten verwickelt war, ist nicht mehr dabei.»

Etwas präziser gesagt, ist genau einer nicht mehr da: der ehemalige Spartenleiter Hans-Peter Bachmann. Das Corporate-Finance-Team – es nicht zu entlassen, nennt Wagner eine Investition in die Zukunft – werde für die Bank wieder gutes Geld verdienen, sobald sich der Markt erhole. Ob seine Prophezeiung wahr wird oder die eines ehemalige Vontobel-Managers, der behauptet, das Image der Bank Vontobel als Adresse fürs Investment-Banking sei auf alle Zeiten ramponiert, wird man in zwölf bis achtzehn Monaten wissen. Bis dann soll der Markt laut Wagner wieder in Schwung sein. Bekommt der ehemalige Vontobel-Mann Recht, hat die Bank Vontobel über kurz oder lang auch im Private Banking schlechte Karten in der Hand. Auch die bestbetuchte Kundschaft will von ihrer Bank vor allem eins: eine möglichst hohe Performance auf dem investierten Vermögen. Und die Möglichkeit, bei Börsengängen bevorzugte Zuteilungen zu erhalten.

Bei der Bank Vontobel dreht sich letztlich alles um das Herzstück Private Banking. Damit ist die Bank gross geworden, daher rührt ihr guter Ruf. «Die im Privatkundengeschäft müssen es schaffen», sagt ein Genfer Privatbanquier. Doch auch dieses Geschäft hat sich von Grund auf verändert. «Der Kampf um den Kundenfranken ist knüppelhart geworden», sagt ein Ostschweizer Privatbanquier. Die Ansprüche der Kunden sind gestiegen, die Margen gesunken. Skaleneffekte hiesse das Rezept in den Lehrbüchern. Wie für alle andern Privatbanken auch, ist es für die Bank Vontobel graue Theorie. Standardisierte Produkte in Massen zu verkaufen, war ihre Sache nie. Dies möchte Zingg ändern und sucht nun vermehrt Kontakt zu einer Kundschaft, für die man im Hause Vontobel jahrzehntelang zu fein war: «Kleinere Vermögen ab 250 000 Franken.» Milliarden und Abermilliarden Euro warten schliesslich im nahen Ausland. Analog zur Konkurrenz will Zingg dort – im Fürstentum Liechtenstein, in Deutschland, Österreich und Italien – sowie in Spanien Volumen generieren.

Die grösste Schwierigkeit? «Mitarbeiter im Ausland kann man nicht so eng führen», sagt der Oberst im Generalstab Zingg, «es muss daher alles stimmen: der Charakter, die Chemie, der Background. Diese Leute muss man erst einmal finden.» Ist jemand Vielversprechendes gefunden, nimmt er ihn gerne persönlich in Augenschein. Zingg, der von «Labor» und «Fabrik» spricht, wenn es um die Abteilungen geht, wo Fonds und Derivate «produziert» werden, und der sagt, das Jackett auszuziehen und die Ärmel hochzukrempeln, sei die nobelste Aufgabe in der Bank, will sichergehen, dass keine Blender à la Hans-Peter Bachmann mehr in die Bank finden. Er will keine Fehler machen.

Dass es mit «gedrosselter Lokomotive» (Zingg) nur langsam vorwärts geht, stört ihn nicht. Es ist für ihn vielmehr ein schönes Déjà-vu-Erlebnis. Die Befürchtung, die Bank Vontobel könnte ob all der Vorsicht das Geschäft verpassen, hat er nicht. Und mit dem Thema der kritischen Grösse schlägt er sich nicht herum. Verständlicherweise: Die Chiffre, die als Faustregel für lukratives Private Banking herumgeistert, umfängt die gewaltige Spanne von 50 bis 100 Milliarden Franken. Das Privatkundengeschäft der Bank Vontobel bringt es auf knapp 25 Milliarden.

«Wir haben schon immer kleinere Brötchen gebacken als die Grossen», blickt Zingg auf die 21 Jahre zurück, die er schon bei der Bank arbeitet. Mit der gleichen Nonchalance bodigen Zingg und Wagner die Spekulationen, wann und in welcher Form die Bank Vontobel ihre Selbstständigkeit aufgibt. Wird sie sich mit einer Genfer Privatbank, etwa Darier Hentsch, zusammentun? Oder macht Wagner die Bank Vontobel schön für eine Grossbank, etwa für die Deutsche Bank, an deren Spitze mit Joe Ackermann und Pierre de Weck zwei Schweizer grossen Einfluss haben?

«Die Aufgabe der Selbstständigkeit ist kein Thema», sagte Peter Wagner vor Analysten. Fraglich jedoch bleibt, ob die Bank Vontobel mit ihrer angezogenen Handbremse die nötige Reisegeschwindigkeit überhaupt wird erreichen können.
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