Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden: Rund 60 Millionen Franken an Boni, vorgesehen für die ehemalige Geschäftsleitung der Credit Suisse und zwei Führungsebenen darunter, sind rechtlich geschuldet. Als Rechtsnachfolgerin muss die UBS diese Zahlungen leisten. Juristisch ist das nachvollziehbar. Das Obligationenrecht unterscheidet klar zwischen Gratifikationen, also freiwilligen Sondervergütungen, und variablen Lohnbestandteilen, die vertraglich festgelegt und somit auch bei schlechter Geschäftsentwicklung geschuldet sind.
Im Frühjahr 2023 verfügte das Eidgenössische Finanzdepartement unter Bundesrätin Karin Keller-Sutter einen Stopp dieser Boni. Grundlage dafür war Artikel 10a des Bankengesetzes, gestützt auf die staatlichen Garantien, die im Zuge der Notübernahme durch die UBS gewährt wurden. Doch bereits im Sommer wurde diese Garantie zurückgezahlt, damit entfiel die rechtliche Basis des Entscheids.
Doch Recht ist nicht immer gleich Gerechtigkeit. Und schon gar nicht Anstand.
Zur Erinnerung: In den zehn Jahren vor der Übernahme zahlte die Bank 31,7 Milliarden Franken an Boni, bei einem kumulierten Verlust von 32,3 Milliarden. Man muss kein Finanzexperte sein, um zu erkennen, dass hier etwas grundlegend schieflief. Ein Unternehmen, das infolge jahrelanger Misswirtschaft, fehlender Risikokultur und kurzsichtiger Führung in eine staatlich orchestrierte Notfusion geführt wurde, sollte nicht zweistellige Millionenbeträge an seine früheren Spitzenkräfte ausschütten müssen. In anderen Branchen, insbesondere im KMU-Umfeld, hätten vergleichbare Fehler zu Entlassungen oder Haftungsforderungen geführt, nicht zu Bonuszahlungen. Die Sonderbehandlung für Bankkader im Vergleich zu anderen Angestellten und Unternehmern offenbart einen doppelten Standard, der gesellschaftlich nicht mehr vermittelbar ist.
Jamie Vrijhof-Droese ist Unternehmerin, Verwaltungsrätin, Referentin und Autorin. Sie ist Managing Partner von WHVP, einem Vermögensverwalter mit Fokus auf US-Kundinnen und -Kunden.
Hinzu kommt: In Zeiten von Fachkräftemangel und Wertewandel fällt es zunehmend schwer, Nachwuchstalente zu gewinnen. Junge Fachkräfte legen Wert auf Sinn, Verantwortung und Nachhaltigkeit. Die Praxis millionenschwerer Boni trotz Misserfolg steht diesen Werten diametral entgegen und schadet dem Image der Branche nachhaltig. Ein Zeichen von Verantwortung wäre gewesen, wenn die rund tausend betroffenen Mitarbeitenden freiwillig auf die Boni verzichtet hätten. Immerhin legten nur etwa ein Dutzend von ihnen Beschwerde ein. Die Mehrheit schien bereit, zu verzichten, nicht aus rechtlicher Verpflichtung, sondern aus moralischem Empfinden. Wer in guten Zeiten überdurchschnittlich verdient, muss in der Krise auch bereit sein, Verantwortung zu übernehmen.
Die Finanzbranche ist zentral für den Wohlstand unseres Landes. Sie schafft Jobs, fördert Innovation und trägt erheblich zur Steuerbasis bei. Doch diese Rolle kann sie nur erfüllen, wenn sie auf einer Kultur der Verantwortung beruht. Vergütungsmodelle, die kurzfristige Gewinne honorieren, ohne langfristige Verantwortung einzufordern, sind nicht tragfähig. Der Fall zeigt ein strukturelles Problem auf: eine gefährliche Entfremdung zwischen Führungsetagen und gesellschaftlicher Realität. Vertrauen aber ist das Fundament des Finanzplatzes, und es steht derzeit auf dem Spiel.
Wir brauchen keine reflexartige Überregulierung. Was wir brauchen, ist ein neues Bewusstsein dafür, dass wirtschaftlicher Erfolg und persönlicher Profit untrennbar mit Verantwortung verbunden sind. Marktgerechte Entlöhnung darf keine Einbahnstrasse sein. Verantwortung zu übernehmen, heisst auch, auf Ansprüche zu verzichten, wenn der eigene Beitrag zum Erfolg fehlt oder der angerichtete Schaden überwiegt.