Es ist ein kurzer Weg vom Londoner Börsenring zum Boxring im Grange City Hotel, doch ein langer für die Makler, die am «City Broker Summer Bash» in diesen Ring gestiegen sind. Es ist ein Weg der Askese, bestehend aus mehrmonatigem Training, Verzicht auf Alkohol und Nikotin. Und ein Weg des Schmerzes, der im Ring seine Verdichtung erlebt.

Denn in einem Boxkeller beim Sparring sich die Nase brechen zu lassen, das ist eines. Wenn dabei aber die Arbeitskollegen zuschauen und kubanische Zigarren rauchen, dann ist das eine andere Geschichte. Entsprechend sind nicht allzu viele Männer bereit, in diesem Ring des Real Fight Club zu boxen. 14 treten gegeneinander an, fast alle sind Broker.

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Es gibt im Real Fight Club keine Punktrichter und folglich weder offizielle Gewinner noch Verlierer. Ein Arzt steht neben dem Ring, und die Boxer können den Kampf jederzeit abbrechen. Trotzdem kommt es gelegentlich zu einer gebrochenen Nase oder Rippe. «Das gehört einfach zum Boxen», sagt der Venture-Capital-Spezialist Adrian King, der die Kämpfe seit knapp drei Jahren organisiert. Zwei K.o. habe es während der dreissig von ihm organisierten Kampfabende gegeben, sagt King.

Einer der beiden K.o. gelang einst Stuart «Lefty» Leigh, Broker bei GFI. Der 38-jährige Linksausleger hatte schon als Jugendlicher geboxt, und als er vom Real Fight Club hörte, motivierte ihn dies, wieder mit dem Training anzufangen. Leigh sagt: «Boxen und Börse haben eine Gemeinsamkeit: Du darfst dich nicht unterkriegen lassen.»

Leigh lässt sich nicht unterkriegen. Im Job nicht, sonst wäre er nicht seit 1988 Broker. Und im Boxring nicht. Sein Kampf gegen Roger «Superdodge» Cue von Steamship Insurance Management eröffnet den Abend. Leigh zeigt sich als beweglicher Puncher, der den Nahkampf zum grösseren «Superdodge» sucht. Er dominiert die drei Runden. Die 25 Zuschauer, die seinetwegen an den Kampfabend gekommen sind, applaudieren so sehr, dass die Weingläser auf den Tischen zittern. Der Einzelsport Boxen wird so zum sozialen Event: Einer kämpft. Und die anderen fiebern mit.

Natürlich ist es ein Unterschied, ob einer wie Mike Tyson in den Ring steigt, um Schuldenberge abzubauen, oder Leigh, der sich an der Londoner Börse dumm und dämlich verdient. Leigh kämpft, weil er eine Herausforderung sucht. Weil er alles hat in seinem Leben: Geld, Sicherheit, Familie. Boxen ist seine Eskapade, sein Thrill. Andererseits ist Boxen mehr als ein schneller Adrenalinkick. Niemand kann einfach so aus einer Laune heraus in den Ring steigen, so wie man sich spontan für einen Bungee-Jump entscheiden kann. Boxen erfordert Disziplin. Wer nicht hart trainiert, den straft das Leben beziehungsweise der Gegner.

White Collar Boxing – trendiger als Golf

Entstanden ist die Idee des Manager-Boxens vor 15 Jahren in New York. Um eine Bürokeilerei zwischen zwei zerstrittenen CEOs zu verhindern, einigte man sich darauf, den Konflikt nach einem sechsmonatigen Aufbautraining im Boxring auszutragen. Über tausend Angestellte gingen hin. Das Blut floss in Strömen. Der Konflikt war nach der Prügelei bereinigt, das White Collar Boxing entstanden. Beim White Collar Boxing steigen Manager im Gleason’s Gym in Brooklin in den Ring, in dem schon Muhammed Ali, Joe Frazier und Marvin Hagler trainiert haben.

Daraufhin wurde in England der Real Fight Club gegründet, in dem jeweils eine amerikanische Mannschaft gegen eine Londoner Auswahl antrat. Im Mutterland des Boxens ist dies bestens angekommen, wobei die Begeisterung nicht von ungefähr kommt: An Eliteuniversitäten wie Oxford oder Cambridge wird seit jeher geboxt, und das Boxen ist in der Biografie mancher CEOs und Manager zu finden. Die «Financial Times» schrieb: «White Collar Boxing is the new Golf.»

Wer gegen wen antritt, wird nicht ausschliesslich von Gewichtsklassen wie im Amateur- und Profiboxen bestimmt, sondern von vielfältigen Kriterien wie Fitnessgrad, Alter, Ambitionen und Boxerfahrung. Als ältester Kämpfer sei einmal ein 55-jähriger Finanzberater in den Ring gestiegen, sagt Adrian King, und diesem habe er natürlich nicht einen 25-jährigen Haudegen gegenüberstellen können. «Doch wenn ein junger, aggressiver Broker seinem Chef Eindruck machen will, können wir ihn auch gegen einen harten Oxford-Studenten antreten lassen. Das gibt klasse Fights.»

Adrian King hat in seiner Kartei etwa 2000 Kämpfer, die meisten davon in London, die meisten Kaderleute. Wenn nun ein Banker plötzlich nach Zürich jetten muss, dann hat King innert Kürze einen Ersatzkämpfer aufzutreiben. Auch am City Broker Summer Bash hat einer kurz vor Kampfbeginn abgesagt; King hat als Ersatz einen gut zwei Meter grossen, glatzköpfigen Feuerwehrmann mit der Figur eines ukrainischen Ringers geholt. Ein Typ, dem man nachts nicht in einer dunkeln Seitenstrasse begegnen möchte. Und auch nicht im Ring.

Genau dies wagte Ian «The Mersey Beast» McDonald (34), Broker bei Numis Securities, ein stämmiger Bursche, ursprünglich aus Liverpool. Als sich die beiden dann im Ring gegenüberstanden, machten sich einige Zuschauer Sorgen um McDonald. Doch der Anblick der Körper mag beim Boxen gelegentlich täuschen: Es gewinnen nicht unbedingt die Typen mit den stählernen Muskeln. Nachdem der Gong erklungen war, ging McDonald wie eine Dampfwalze auf den Feuerwehrmann los.

Immer wenn seine schweren Haken den Feuerwehrmann trafen, hörte man ein dumpfes Klatschen, bei dem jeder, der selbst einmal geboxt hatte, nachhaltige Kopfschmerzen kriegte. Und jedes Mal, wenn man das Klatschen hörte – man hörte es oft –, schien der mächtige Körper des Feuerwehrmanns zu schrumpfen. Doch auch McDonald kam in den drei Runden an die Grenzen. «Ich geh nie mehr in den Ring», sagte der Erschöpfte nach dem Kampf. Er küsste seine Geliebte, schaute zum Ring und sagte dann: «Aber das habe ich nach meinen bisherigen drei Kämpfen auch schon gesagt.»

Adrian King sucht zurzeit in anderen Ländern Partner für den Real Fight Club: Kämpfe in Dublin und Dubai sind in Planung, Südafrika, Singapur und Australien tastet er ab. Deutschland oder die Schweiz wäre heiss, sagt er. Um sich ein Bild der Begeisterungsfähigkeit der Deutschen machen zu können, wird er im Frühjahr 2005 eine deutsche Auswahl nach London fliegen lassen. Es beschäftigt ihn, ob er namhafte Wirtschaftsleute in den Ring kriegt, zumal die Masse ihn nicht wirklich interessiert. Zwar geht die deutsche Wirtschaftselite gerne zum Boxen, allerdings wird dabei der Sitzplatz am Ring bevorzugt, anstatt sich drinnen die Nase platt schlagen zu lassen. Bei der Kampfbereitschaft zeigt sich auch die unterschiedliche Mentalität: Während man in der angelsächsischen Welt tendenziell das Risiko schätzt, setzt man im deutschsprachigen Raum eher auf Sicherheit.

Die Kämpfe finden wie der City Broker Summer Bash in Fünfsternehotels statt; die rund 300 Zuschauer bezahlen einen Eintrittspreis von 130 Pfund, inklusive Mehrgangmenü. Dann gibt es Kämpfe in Lagerhallen, wo Boxfans von East End oder Brixton für 25 Pfund hingehen. So kann Adrian King den Real Fight Club in der authentischen Boxwelt erden, was fürs Aufbautraining der Manager wichtig ist. Denn die Manager trainieren nicht in luxuriösen Sportclubs, sondern in traditionellen Gyms, und das mehrmals wöchentlich während rund sechs Monaten.

Die Taktik des Kneipenschlägers «Awesome» Alex «Exc»-Ells (25), der nun zum ersten Mal in den Ring steigt, hat sich nur gerade zwei Monate auf den Kampf vorbereitet – das ist ziemlich wenig Zeit. Immerhin ist dem Broker bei der Deutschen Bank in London als Rugby-Spieler harter Körpereinsatz kein Fremdwort. Und dieser ist allemal vonnöten. Ganz besonders, wenn der Gegner einen Übernamen wie «The Body Snatcher» hat.

Hinter dem gefährlichen Namen verbirgt sich eine gefährliche Taktik: die des Kneipenschlägers. Der «Body Snatcher» überrollt Alex mit Kettenfäusten, er schlägt und schlägt und schlägt und lässt Alex keinen Raum, seine im Schnellgang erlernte Technik zu entfalten. Doch Alex zeigt Nehmerqualitäten. Und er ist der Held des Abends. Er begeistert die Frauen wie kein anderer. Eine so sehr, dass sie in der Kampfpause gleich in den Ring steigen will. Mehrere Männer zerren die Frau im Minirock aus den Seilen heraus.

Die Faszination der Zuschauer hängt mit dieser direkten körperlichen Konfliktsituation zusammen; wenn man hier nur Tischtennis spielte, käme wohl kein Mensch, um zuzuschauen. Wer kämpft, entblösst sich, und das nicht nur körperlich. Denn in den Ring zu steigen, bedeutet auch, Sicherheiten abzulegen und gewissermassen die Zivilisation zu verlassen. Die amerikanische Schriftstellerin Carol Joyce Oates verglich den Boxring einmal mit einem Altar, einem Ort, an dem die Gesetze des Staates aufgehoben seien: «Innerhalb des Rings ist es möglich, dass ein Mann getötet wird, aber ermordet wird er nicht.»

Nun gut, im Real Fight Club wird keiner getötet. Und im Gegensatz zum Film «Fight Club» auch nicht halb totgeschlagen. Aber man muss nur halbwegs etwas vom Boxen verstehen, um festzustellen, dass hier richtig gekämpft wird. Und dass es bei Brokern besonders hart zur Sache geht, liegt in der Natur der Sache.

Denn der Broker betritt im Boxring eine vertraute und zugleich fremde Welt. Vertraut ist ihm das verschärfte Klima des Wettbewerbs, neu, dies körperlich zu erleben. Das abstrakte Machtspiel am Börsenring wird im Boxring körperlich ausgetragen, was einem Bruch mit einigen zivilisatorischen Etiketten gleichkommt, nicht aber mit dem Wettbewerbsprinzip. Am Morgen nach dem Kampf im Boxring geht der Kampf am Börsenring weiter. Eines bleibt: das blaue Auge, ein Symbol der realen Welterfahrung, das von einer alten Geschichte erzählt, vom Kampf zweier Männer.