Der Sturm der Entrüstung ist gross. Der Entscheid der eidgenössischen Wettbewerbskommission (Weko), die Buchpreisbindung auch für die deutsche Schweiz definitiv aufzuheben, sei eine Katastrophe für Buchhandel und Verlage, so der Branchentenor. Bisher legten die Verlage gegenüber dem Handel die Verkaufspreise für Bücher verbindlich fest. In Deutschland und Österreich ist diese Preisbindung sogar gesetzlich verankert.

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«Das sind gute Neuigkeiten aus der Schweiz», kommentiert die Geschäftsführerin des schwedischen Verlegerverbands in Stockholm, Kristina Ahlinder, den Entscheid der Weko. Schweden ist neben Grossbritannien, Irland, Finnland, Belgien und Luxemburg eines der Länder in Europa, wo der Wettbewerb spielt. Die Buchlandschaft Schwedens sei durch die Aufhebung 1970 nicht ärmer, sondern reicher geworden, sagt Ahlinder. Die Auswahl von Titeln sei grösser geworden, die Preise günstiger. Jedes Jahr kämen 4000 Neuerscheinungen auf den Markt.

Laut Ahlinder generiert die Branche jährlich mit 90 Mio Büchern einen Umsatz von 600 Mio Euro. Die Zahl der Buchläden sei mit 400 auch nach der Freigabe konstant geblieben. Rund 100 Händler seien unabhängig geblieben. und 40% des Gesamtumsatzes erzielten nach wie vor klassische Buchhandlungen. Die 300 weiteren Verkaufsstellen teilten sich vier grössere Buchhändlerketten auf.

«Keiner mag Veränderungen», meint die Branchenvertreterin weiter. Vor 35 Jahren sei der Verband ebenfalls vehement gegen eine Freigabe gewesen. Wichtig seien unter anderem genügend lange Übergangsfristen, damit die Marktakteure in Ruhe miteinander reden und neue Rahmenbedingungen gemeinsam festlegen könnten. Seit der Aufhebung der Buchpreisbindung gälte in Schweden für Bücher eine so genannte Kultur-Mehrwertsteuer von 6% statt der üblichen 25%. Ursprünglich sei eine Übergangszeit von zehn Jahren vorgesehen gewesen. Schweden habe es in nur fünf Jahren geschafft.

Ideologische Frage

«Die Buchpreisbindung ist eines von vielen möglichen Instrumenten der Kulturpolitik», sagt Anne Bergman-Tahon. Die Geschäftsführerin der Federation of European Publishers (FEP) in Brüssel verweist unter anderem auf das Beispiel Frankreich, wo Buchmessen und andere Marketingaktivitäten des Buchhandels staatliche Subventionen erhielten. Die Buchpreisbindung sei auch innerhalb des FEP ein heisses Eisen.

«Das Ganze ist eine ideologische Frage», sagt Bernhard Laduron vom frankophonen belgischen Verlegerverband (Adeb). Belgien hat nie eine Buchpreisbindung gekannt. 70% der in Wallonien verkauften Bücher kommen aus Frankreich, das die Sammelrevers wieder eingeführt hat, allerdings mit einer Rabattmöglichkeit von 5%. Der französischsprachige Buchmarkt Belgiens befindet sich gegenüber Frankreich damit in einer ähnlichen Situation wie die deutsche Schweiz gegenüber Deutschland, wo es jedoch keinerlei Spielraum für Rabatte gibt.

Die Bücher in Belgien kosten 10% mehr als in Frankreich. Laut Laduron sind jedoch die Marktstrukturen beider Länder praktisch identisch: Ein Viertel des Umsatzes von insgesamt 270 Mio Euro erzielten die frankophonen Verleger nach wie vor über KMU-Buchhandlungen. Ein weiteres Viertel der Leser deckt sich bei Buchhändlerketten ein. Ein weiteres Viertel setzten die Verleger in Warenhäusern wie Carrefour ab. Das letzte Viertel kommt über Bücherklubs und Fachverlage zum Kunden.

Vor rund einem Jahr war die Einführung einer Preisbindung mit einer Rabattmöglichkeit von 10% in Belgien am Widerstand einer kleinen Fraktion des Buchhändlerverbandes gescheitert. «Wenn schon eine Preisbindung als nötig erachtet wird, muss sie genügend flexibel sein», sagt Laduron. Eine flexible Preisbindung wäre möglicherweise ein Kompromiss, der auch für den Schweizer Buchmarkt eine taugliche Übergangslösung wäre.

Büchermarkt

Von der Preisbindung zum freien Markt

- Oktober 1993: Die Verlage in Deutschland, Österreich und der Schweiz legen mit dem Sammelrevers den Endverkaufspreis für Bücher verbindlich fest.

- Juli 1998: Eine EU-Studie kommt zum Schluss, die Aufhebung der Preisbindung führe zu tieferen Preisen.

- November 1998: EU-Wettbewerbskommissar Karel van Miert kündigt ein Verbot des Sammelrevers für Deutschland und Österreich an. Beide Länder widersetzen sich.

- September 1999: Die Wettbewerbskommission (Weko) verbietet die Preisbindung in der Deutschschweiz ein erstes Mal. Buchhändler und Verleger legen Rekurs ein.

- Februar 2000: Der Streit zwischen der EU-Kommission und Deutschland sowie Österreich wird beigelegt. Beide Länder führen zwei getrennte nationale Preisbindungssysteme ein.

- August 2002: Das Bundesgericht heisst die Beschwerde der Buchhändlerverbände gegen den Weko-Entscheid von 1999 teilweise gut.

- März 2005: Die Weko untersagt die Buchpreisbindung zum zweiten Mal.

Johannes J. Schraner, Brüssel