Annatina Pelizzatti ist gerade am Schneeschaufeln. Viel Schnee ist über Nacht gefallen, und der muss vor dem Haus und vor dem Eingang des angrenzenden Weinkellers weggeräumt werden. Obwohl dies keine leichte Arbeit ist, freut sie sich über die weisse Pracht und erledigt, was getan werden muss mit Beharrlichkeit und Geduld. «Schön, dass wir wieder mal so richtig viel Schnee haben», meint sie fröhlich lachend. «Das erinnert mich an frühere Zeiten.» Die bescheidene, fast scheu wirkende Winzerin ist in Jenins, dem kleinsten Dorf der Bündner Herrschaft, aufgewachsen. Die Eltern führten hier einen kleinen Mischbetrieb, zu dem auch Reben gehörten. «Als kleines Kind war ich viel im Stall bei meinem Vater. Damals stand für mich fest, dass ich Bäuerin werden würde. Später wollte ich dann aber nichts mehr davon wissen. Ich wurde Betriebsassistentin bei der Post. Das schien mir weniger stressig zu sein.»

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Schicksalsschlag und die Folgen

Doch dann lernte sie ihren Mann Domenico Pelizzatti kennen, der Winzer und Weinküfer war. Gemeinsam bewirtschafteten sie die Reben des elterlichen Kleinbetriebes. Sie war im Haus und in den Reben tätig, ihr Mann in den Reben und im Keller. Mit Domenicos tragischem Unfalltod 1997 änderte sich alles schlagartig. Schwanger und mit einem kleinen Kind stand sie vor der wohl grössten Herausforderung ihres Lebens. Wie weiter? «Zuerst wollte ich nicht weitermachen», erzählt Annatina Pelizzatti. «Mit den Reben war ich vertraut, aber von der Kellerarbeit hatte ich keine Ahnung. Ich versuchte, den Betrieb zu verpachten, fand jedoch niemanden. Deshalb entschied ich mich, es selbst zu versuchen. Mit der uneigennützigen Hilfe von Winzerkolleginnen und -kollegen aus dem Dorf erzeugte ich im gleichen Jahr meine ersten eigenen Weine.»

In der Folge besuchte Annatina Pelizzatti Kurse in Weinbau und Betriebsführung in Wädenswil und reiste zur Horizonterweiterung in Weinbaugebiete in Deutschland und Österreich sowie ins Burgund. «Vieles habe ich jedoch selbst gelernt, bei der Arbeit im Keller und im fachlichen und freundschaftlichen Austausch mit Kolleginnen und Kollegen. Um gute Weine zu machen, braucht es keine önologischen Zaubertricks», kommentiert sie. «Meine Weine entstehen im Weinberg. Sie widerspiegeln meine eigene Rebarbeit, den Klima- und Witterungsverlauf jedes Jahres und die Bodenbeschaffenheit der Lagen.»

Acht verschiedene Weine

Und sie widerspiegeln auch Pelizzattis Vorliebe für fruchtige, nervig-elegante Weine. Acht verschiedene Weine erzeugt sie auf 3 ha Rebland, das auf 16 Parzellen in Jenins und in der Nachbargemeinde Malans verteilt ist. Drei Viertel der Rebfläche sind mit Pinot-noir-Reben, der Leitsorte der Bündner Herrschaft, bestockt. Aus deren Trauben keltert die engagierte Winzerin vier reinsortige Pinot noirs. Zu ihnen zählt auch der «Eichholz», ein im grossen Holzfass ausgebauter Cru aus 40-jährigen Reben, auf den rund die Hälfte der Jahresproduktion von 15000 bis 18000 Flaschen entfällt. Auf dem restlichen Viertel der Rebfläche kultiviert sie die weissen Varietäten Weissburgunder und Chardonnay sowie die roten Spezialitäten Merlot, Cabernet Sauvignon, Syrah und Zweigelt, mit denen sie - zusammen mit einem 10%igen Anteil Pinot noir - ihre eigenwillige, «Sorso» genannte Cuvée herstellt.

Cuvée «Sorso»: Fünf Rebsorten

Warum diese ungewöhnliche Kreation mit Sorten aus verschiedenartigen europäischen Weinwelten? «Ich wollte keinen reinsortigen Merlot erzeugen und mit diesem dann auf Vergleichsdegustationen gegen Merlot-Gewächse aus der ganzen Welt antreten. Deshalb kreierte ich einen Wein, der nur bedingt mit anderen Weinen vergleichbar ist.» Für den «Sorso» (sorso heisst auf Italienisch Schluck) werden die Trauben der fünf Sorten zur gleichen Zeit geerntet und zusammen vinifiziert. Der während zwölf Monaten in teils neuen, teils gebrauchten Barriques ausgebaute Wein verkörpert mit seiner vollmundig-würzigen Fülle das südliche Gegenstück zum burgundisch-eleganten Charakter ihrer übrigen Weine. Wie alle ihre Weine ist auch der «Sorso», von dem Pelizzatti nur gerade 1800 Flaschen abfüllt, jeweils schnell ausverkauft.

Veränderungen im Rebberg

Seit elf Jahren ist die begeisterte Winzerin nun bereits im Metier, und seit vier Jahren ist sie Mitglied der Gruppe «Vinotiv», eines lockeren Zusammenschlusses von zwölf Betrieben aus der Bündner Herrschaft, die alle der gleichen Philosophie verpflichtet sind: Qualitativ hoch stehende, authentische Weine zu keltern. «Meine Arbeit ist äusserst abwechslungsreich und macht mir grossen Spass», strahlt sie. Ihr 3-ha-Betrieb ist klein und fein. Das soll auch so bleiben. Verbesserungspotenzial sieht sie jedoch im Rebberg. Dort sollen die Blauburgunder-Reben schrittweise durch hochwertigere Pinot-noir-Klone aus dem Burgund ersetzt werden. Für den Keller steht die Anschaffung von klassischen, oben offenen Holz-Gärbehältern auf der Wunschliste.