Aldi und Lidl wollen die Schweiz erobern. Auch Carrefour wälzte einst grosse Pläne und wollte zehn neue Hypermarchés installieren. Es ist bei einem geblieben. Wieso?

Michel Blanc: Wir wollen nur noch alle zwei Jahre einen neuen Grossmarkt eröffnen. Soeben haben wir im Tessin einen zweiten Grossmarkt gekauft, und 2007 soll im Stadion St. Gallen ein weiterer seine Tore öffnen.

Das entspricht aber nicht den ursprünglichen Wachstumsplänen, die der Discounter Carrefour hatte, als er 2001 in die Schweiz kam.

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Blanc: Damals bin ich noch nicht Chef von Carrefour Schweiz gewesen, und die Ambitionen lagen damals höher. Zudem besass Carrefour die Option, die Waro-Kette zu kaufen. Aber Waro entsprach nicht unseren Rentabilitätsansprüchen.

Wollen Sie damit sagen, dass Coop mit Waro ein unrentables Geschäft gekauft hat?

Blanc: Das ist eine gute Frage. Für Carrefour wäre es nicht rentabel gewesen.

Weshalb hat Carrefour seine ursprünglichen Wachstumsziele geändert? Ist es so schwierig in der Schweiz zu wachsen?

Blanc: Wir wollen ein rentables Wachstum erreichen. Der Markt in der Schweiz ist gesättigt. Trotzdem haben wir in allen grösseren Städten, wo wir noch nicht präsent sind, Pläne für Hypermarchés. Bis diese Pläne umgesetzt werden, dauert es aber mindestens drei Jahre. Zudem ist es schwierig, Baubewilligungen zu erhalten, auch aus umweltpolitischen Gründen.

Mit solchen Rahmenbedingungen müssen alle Detailhändler in der Schweiz operieren. Denner ist 2004 trotzdem um 11,8% gewachsen. Carrefour dagegen nur um 1,2%, das ist weniger als das durchschnittliche Wachstum im Detailhandel. Das Jahr zuvor hatte der Carrefour-Umsatz sogar um 0,4% abgenommen.

Blanc: Ihre Vergleiche sind nicht flächenbereinigt. Das Wachstum von Migros stagniert flächenbereinigt, und das Wachstum von Coop ist flächenbereinigt sogar rückläufig. Wir haben im Gegensatz zu anderen Detailhändlern in den beiden letzten Jahren keine neuen Läden eröffnet. Flächenbereinigt liegt unser Wachstum gleich hinter jenem von Denner.

Sie haben aber Ihr eigenes Budget von 3% Wachstum letztes Jahr nicht erreicht.

Blanc: Dafür haben wir aber unsere Profitabilität verbessert. Und wir haben auch 3% mehr Kundenfrequenz erreicht, das sind 900000 zusätzliche Kundenkontakte.

Können Sie die verbesserte Profitabilität belegen?

Blanc: Wir publizieren keine Resultate für die einzelnen Länder, aber unser Ebit in der Schweiz hat sich letztes Jahr um mehrere Mio Fr. verbessert. Und ich möchte betonen: Wir konnten unsere Marge verbessern, obwohl wir die Preise gesenkt haben.

Wie konnten Sie das erreichen?

Blanc: Indem wir kostengünstiger arbeiteten, etwa durch internationale Synergien beim Einkauf.

Arbeiten Sie auch bezüglich der Löhne kostengünstiger?

Blanc: Nein.

Carrefour besitzt in der Schweiz nur einen Marktanteil von 3%.

Blanc: Aber der Marktanteil in den Gebieten, wo wir präsent sind, wie in Dietlikon, beträgt 25% bis 30%. Dabei betrachten wir ein Gebiet von 30 km2.

Glauben Sie, dass Aldi und Lidl mehr gelingen wird als Carrefour?

Blanc: Mit unseren speziellen Wochen, in denen wir 1000 Produkte für 2 Fr. verkaufen, erzielen wir eine Umsatzsteigerung von 20% und mehr als 30% Marge. Das beweist: Der Preis ist sehr wichtig.

Und was bedeutet dies für die Chancen von Aldi und Lidl?

Blanc: Ich bin überzeugt: Die werden Erfolg haben.

Der Markt ist gesättigt, deshalb kann der Erfolg von Aldi und Lidl nur auf Kosten von anderen gehen, auch auf Kosten von Carrefour.

Blanc: Zuerst werden Aldi und Lidl aber Marktanteile von den Schwachen erobern.

An wen denken Sie konkret?

Blanc: Es wird alle Detailhändler, auch Coop, treffen. Ich unterschätze die kommende Konkurrenz nicht.

Wollen Sie weiterhin nur auf Hypermarchés setzen oder auch kleinere Läden eröffnen, die besser in die kleinräumige Schweiz passen?

Blanc: Nein, wir halten am Konzept der Grossmärkte fest, das ist das Metier, das wir verstehen.

Haben Sie Angst vor Aldi und Lidl?

Blanc: Ja (er lacht). Spass beiseite: Ich kenne sie bereits sehr gut aus anderen Ländern wie Frankreich. Sie arbeiten sehr professionell. Ich glaube, der grosse Sieger wird der Konsument sein, der von tieferen Preisen profitiert. Der Konkurrenzkampf wird aber zunehmen.

Will sich Carrefour angesichts des härteren kommenden Konkurrenzkampfes aus der Schweiz zurückziehen oder gegenüber Maus Frères seine Option einlösen und den Anteil von 40% auf 50% aufstocken?

Blanc: Wir bleiben in der Schweiz. Der Entscheid über eine Aufstockung wird Ende Jahr oder Anfang 2006 gefällt. Die Beziehung zu unserem Partner Maus Frères ist exzellent. Ich telefoniere mehrmals in der Woche mit unserem Verwaltungsratspräsidenten Didier Maus.

Der Druck im Detailhandel scheint sich auch auf das Arbeitsklima auszuwirken. Carrefour macht Schlagzeilen wegen angeblich missbräuchlicher Kündigungen und sexueller Übergriffe. Verkäuferinnen beklagen sich. Was ist los?

Blanc: Das kann ich nicht kommentieren, solange wir am Verhandeln sind.

Sie lassen somit die Vorwürfe unbeantwortet stehen, weisen sie nicht einmal von sich. Das könnte als Schuldeingeständnis von Carrefour verstanden werden.

Blanc: Wir haben das so mit der Gewerkschaft Unia abgemacht.

Steckt System hinter den Vorfällen? Ist Ihre Führungscrew unter Druck? Muss diese bestimmte hochgesteckte Ergebnisse erzielen?

Blanc: Wir wollen uns, solange die Verhandlungen mit der Gewerkschaft laufen, dazu nicht äussern. Es tut mir Leid.

Interview: Gret Heer

33-jährige Laufbahn bei Gigant Carrefour: Steckbrief

Name: Michel Blanc

Funktion: Directeur Exécutif Carrefour Schweiz

Alter: 57

Wohnort: Stadt Zürich

Familie: Verheiratet, drei Kinder

Hobbys: Reisen, Wandern, Lesen

Karriere

1972-1974 Stagiaire Kassenchef bei Carrefour in Orléans

1974-1984 Sektorchef Textil, Direktor Grossmarkt bei Carrefour

1984-1996 Direktor bei Continent, die von Carrefour übernommen wurde

1996-2003 Direktor internationale Partnerschaften bei CarrefourFirma

Carrefour Schweiz ist ein Joint Venture mit Maus Frères, die 60% der Aktien besitzen, wobei Carrefour das Management bestimmt. Das ist der zweite Versuch Carrefours, in die Schweiz zu expandieren. Der erste war Anfang der 90er Jahre gescheitert. Das Unternehmen beschäftigt 2200 Mitarbeitende und setzte 2004 mit elf Hypermarchés zehn davon waren die übernommenen Jumbo-Grossmärkte 991 Mio Fr. um. Der Beitrag zum Mutterhaus macht knapp 1%. Carrefour ist weltweit die Nummer zwei im Detailhandel und Nummer eins in Europa, beschäftigt 450000 Personen und erzielte 2004 einen Umsatz von 81 Mrd Euro.

100 Klagen

Schwere Vorwürfe der Gewerkschaft

«Sexuelle Belästigungen, missbräuchliche Kündigungen, willkürliche Verwarnungen, Mobbing, ein Arbeitsklima geprägt von Angst und Repression.» So lauten die Vorwürfe der Gewerkschaft Unia an Carrefour. Unia zeichnet das Bild eines «totalen Willkürregimes» im Carrefour Grossmarkt Dietlikon. Innerhalb von wenigen Tagen sammelte die Gewerkschaft laut ihren Angaben 100 Klagen von betroffenen Verkäuferinnen. «Arbeitnehmerinnen werden trotz Arztzeugnis unter Entlassungsdrohungen zum Arbeiten gezwungen, Schikanen von Vorgesetzten sind an der Tagesordnung, und wer aufmuckt, wird verwarnt und entlassen», heisst es in der Mitteilung der Gewerkschaft. Dem Opfer einer sexuellen Belästigung sei gekündigt worden, während der Täter, ein Kadermitarbeiter, weiterhin ungestört in Dietlikon arbeite. Solche Zustände herrschten nicht nur in Dietlikon, wie Carla Bertogg von der Unia erklärt, auch aus anderen Filialen habe man Ähnliches vernommen.

Die Antwort der Carrefour-Geschäftsleitung auf die happigen Vorwürfe ist dürr. «Wenn die Situation so katastrophal wäre, hätten alle unsere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen schon längst die Firma verlassen», heisst es im öffentlichen Brief an die Gewerkschaft. Carrefour-Chef Michel Blanc will sich nicht zu den Vorwürfen äussern, solange die Verhandlungen mit den Gewerkschaften dauern. Die Forderungen der Gewerkschaft lauten: Rücknahme der Kündigungen und eine Auswechslung des für die Missstände verantwortlichen Managements.