Credit Suisse: Was António Horta-Osório vorhat

Der neue Präsident der Credit Suisse, António Horta-Osório, hat ein Problem. Ein Imageproblem. Der passionierte Tennisspieler mag Rafael Nadal mehr als den Nationalhelden und CS-Werbeträger Roger Federer. In einem Interview mit «El País» gab er zu Protokoll: «Ich identifiziere mich mehr mit der Zähigkeit von Rafa Nadal als mit der scheinbaren Leichtigkeit von Roger Federer.» Freunde macht er sich mit einem solchen Satz in der Schweiz nicht. Klar aber ist: Für seinen neuen Job muss er eine Kombination von Nadal und Federer sein. Er braucht den Kampfgeist und eisernen Willen von Nadal – und die weltgewandte Lässigkeit von Federer. Ohnehin wird er seine Sätze besser abwägen müssen. Die Aussage, mit der er in der Mitteilung zu seiner Ernennung zitiert wurde, klang bereits im Dezember 2020 nach abgedroschener PR. Heute klingt sie vollends hohl: «Ich freue mich sehr», wurde Horta-Osório vor vier Monaten in den Mund gelegt, «als Präsident des Verwaltungsrates der Credit Suisse vorgeschlagen zu sein, und darauf, zusammen mit dem Verwaltungsrat und dem Management die zahlreichen Stärken der Gruppe weiter auszubauen. Dies ist eine Zeit grosser Chancen für die Gruppe, ihre Mitarbeitenden, Kunden und Aktionäre.» Stärken? Chancen? Nein: Die Bank, die Horta-Osório jetzt übernimmt, ist in einer tiefen Krise. Soeben hat sie zwei Konzernleitungsmitglieder, die ihren Aufgaben nicht gewachsen waren, entfernt. Dazu weitere Manager. Sie blickt auf verlorene Jahre zurück. Der Aktienkurs ist auf gefährlich tiefem Niveau, die Dividende nicht konkurrenzfähig, das Vertrauen am Boden. Die 4,4 Milliarden Franken, welche die Credit Suisse mit Krediten an ein Hedgefonds-ähnliches Family Office verspielt hat, sind nur der traurige Höhepunkt einer Serie von Debakeln seit der unrühmlichen Bespitzelungsaffäre um den Ex-Angestellten Iqbal Khan. Die Suche nach den Wurzeln der Malaise Die «Financial Times» bringt den Zustand der Credit Suisse auf den Punkt: «Die Serie von Tiefschlägen gegen ihre Bilanz und ihren Ruf haben zu erneuten Spekulationen über eine Fusion mit einem stärkeren Rivalen geführt.» Das sitzt. 165 Jahre nach ihrer Gründung ist die Credit Suisse eine Übernahmekandidatin. Und ausgerechnet der erste Nichtschweizer auf dem Stuhl des Präsidenten muss sie von Grund auf neu erfinden. Die Bank braucht ein neues Geschäftsmodell, neue Topmanager, einen neuen Fokus, eine neue Strategie. Bei der CS selbst allerdings scheint das Bewusstsein für die Notwendigkeit radikaler Veränderungen noch nicht angekommen zu sein. Jedenfalls nicht bei Konzernchef Thomas Gottstein, der von seinem Verwaltungsrat sicher auch deshalb gestützt wird, weil eine Organisation nicht gleichzeitig die strategische und die operative Führung in neue Hände legen kann. Ausserdem steht er voll hinter dem Geschäftsmodell, das die CS «One Bank» nennt und das Beobachtern spätestens seit dem Fall Greensill als Grundübel gilt, weil es Interessenkonflikte innerhalb der Bank fördert: «Das sehe ich entschieden anders. Wenn ein Unternehmer im Emmental nicht nur Firmenkunde bei uns ist, sondern auch Privatkunde, dann kennen wir den Kunden besser. Wir wissen viel besser, wie es ihm finanziell geht. Die Greensill-Geschichte ist nicht wegen der Tatsache passiert, dass wir ihn umfassend betreut haben, sondern trotz dieser Tatsache.» Kurz: Greensill, Archegos und so fort waren bedauerliche Unfälle, die kein fundamentales Umdenken erfordern. Ein Mann, der nicht verlieren kann Mit der Oberflächenanalyse von Gottstein wird sich der neue Präsident Horta-Osório nicht zufriedengeben. Im Gegensatz zu Vorgänger Urs Rohner, von Haus aus Jurist, und dem zuletzt tonangebenden Mann im CS-Verwaltungsrat, Roche-Chef Severin Schwan, von Haus aus Jurist und Ökonom, ist Horta-Osório ein Vollblutbanker, dem niemand Risiken als Chancen verkaufen kann. Er kann zupacken, hat die Kraft zur Veränderung. Und er wird seine Rolle bei der CS nicht als distanzierter, abgekoppelter VR-Präsident interpretieren, sondern als Executive Chairman, wie Freunde von ihm erzählen. Er wird also zweifellos durchgreifen, im Management, aber auch im Verwaltungsrat. «Genau das, was die Grossbank dringend braucht», sagt der Chef einer Schweizer Privatbank. Zudem ist der Portugiese ein Mann, der nicht verlieren kann, der die Herausforderung liebt. Als er 2011 bei der britischen Lloyd’s als Chef anheuerte, stand die Bank nahe am Abgrund. Dazu Horta-Osório zur «Financial Times»: «Es war im Grunde eine Challenge, von der ich dachte, dass ich sie schaffen könnte. Ich hätte es mir nicht verzeihen können, wenn ich mich geweigert hätte, es zu versuchen.» Er arbeitete bis zur Erschöpfung, liess keinen Stein auf dem anderen, baute Tausende von Stellen und zig Abteilungen ab und brachte Lloyd’s zurück auf die Landkarte der City. Ein Husarenstück. Kann ihm ein solches auch bei der Credit Suisse gelingen? In der komplett anderen Rolle als Chairman, abhängig vom Goodwill ausführender Gehilfen in der Geschäftsleitung? Obwohl er über wenig Erfahrung in der Vermögensverwaltung, im Assetmanagement und im Investmentbanking verfügt? Obwohl strategische Differenzierung im globalen Banking je länger, je schwieriger ist? Man soll niemanden überschätzen. Aber einem Mann, der sich an seinem dreissigsten Geburtstag bei einem Tennismatch das Handgelenk brach – so schwer, dass ihm die Ärzte sagten, er werde nie mehr spielen können – und der sich deswegen zwang, den Lieblingssport fortan mit der anderen Hand auszuüben, ist alles zuzutrauen (wie die «Bilanz» weiss, spielt Horta-Osório bis heute Tennis, zweimal die Woche). Kommt hinzu: In der Welt der Reichen und Superreichen bewegt sich Horta-Osório schon heute geschmeidig: Als Verwaltungsrat von Exor, der milliardenschweren Beteiligungsgesellschaft der Agnellis, die gerade dabei ist, ausserhalb der Autoindustrie ein Imperium aufzubauen (ihr wird nachgesagt, das Modehaus von Giorgio Armani übernehmen zu wollen), weiss Horta-Osório, welche Bedürfnisse und Ambitionen Europas Geldadel hat. Loyalität – um jeden Preis Doch das Problem, an dem sich auch der neue Präsident die Zähne ausbeissen wird, bleibt: In der risikoarmen Vermögensverwaltung für Private, die kaum spekulative Milliardenlöcher produziert, rangiert die Credit Suisse nicht an der Spitze – und weit hinter Lokalrivalin UBS. Will Horta-Osório die Bank in diesem Segment nach vorne bringen, muss er zunächst viel Geld in die Hand nehmen und Kundenberater engagieren, die dann den gleichen Vermögen nachjagen wie die Berater der Konkurrenz. Insbesondere den schnell wachsenden Vermögen in Asien – von China über Thailand und Indonesien bis hin zu den Philippinen. In diesen Märkten ist das Ansehen der Bank auch nach den jüngsten Skandalen zwar nicht so arg ramponiert wie in der Schweiz, was Chancen eröffnet. Doch die CS geht eben von einem hinteren Platz ins Rennen um die Gelder der neuen Reichen. Um den Rückstand wettzumachen, halten es Beobachter der Bank für plausibel, dass Horta-Osório versuchen wird, für das Assetmanagement der CS einen Käufer zu finden. Es ist zu klein, um gegen Riesen wie Blackrock oder Vanguard anzukommen. In einem Interview mit «El País» sagt er schon vor Jahren zu seiner Vision für die Zukunft: «Ich sehe weniger Banken, konzentrierter, digitaler, effizienter, mit geringeren Kosten.» Das klingt nicht so, als wäre die CS als «One Bank» für ihn sakrosankt. Früher, so Horta-Osório, habe er geglaubt, eine Bank müsse sein wie eine Eiche. Heute sei ihm eine flexible Palme lieber. Wie auch immer er sich eine neue CS vorstellt, klar ist: Wer nicht mit ihm geht, geht. Bei Lloyd’s hat er innert eines Jahres elf von zwölf Spitzenmanagern ausgewechselt. «Ich wähle meine Teams gut aus. Und Illoyalität vergebe ich nicht», sagt er.Steter Aufstieg 1987–1991: Citigroup Portugal, Head of Capital Markets 1991–1993: Goldman Sachs, New York und London, Corporate Finance 1993–2010: Grupo Santander 1993–1996 CEO Portugal 1997–2000 CEO und Chairman Brasilien 2000–2006 CEO Banco Santander Totta Portugal und Executive Vice President Spanien 2006–2010 CEO Santander 2011–2020: CEO Lloyds Banking Group ab April 2021: Verwaltungsratspräsident Credit Suisse Group

Credit Suisse: Was António Horta-Osório vorhat

Was António Horta-Osório bei der Credit Suisse vorhat