Das Vallée de Joux ist die Wiege besonders hochkarätiger Uhrmacherei mit dem Know-how der ganz grossen Komplikationen. Diese zu retten, schien es der asiatischen Investorengruppe Hour Glass Mitte der 1990er Jahre wert zu sein, die in Schwierigkeiten geratenen Manufakturen Gérald Genta in Le Brassus und Daniel Roth in Le Sentier zu erwerben. Allerdings überschätzten die Investoren die Komplexität dieses Geschäfts und suchten nach einer Fachperson, welche die beiden Marken zwecks Weiterverkauf auf Vordermann bringen konnte.

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Doppelpack die beste Chance



Im Franzosen Gérald Roden, der seine Karriere beim Uhrenhersteller Henry John Belmont startete und zu jener Zeit für Asia Commercial in China die ersten Boutiquen für Prestigemarken der Haute Horlogerie konzipierte und eröffnete, fand die Gruppe 1998 den richtigen Fachmann. Nach genauer Analyse schlug dieser die Fusion der beiden Uhrenmarken Gérald Genta und Daniel Roth vor. Nur im Doppelpack sah Roden längerfristig eine gute Rentabilität, was sich zwei Jahre später abzuzeichnen begann und Paolo Bulgari zum Kauf der beiden Marken verleitete.

Seither investiert die römische Gruppe intensiv in die beiden Nischenmarken und verfolgt laut Bulgari-CEO Francesco Trapani damit zwei Ziele: Nutzung der hohen Kompetenz beim Bau von komplizierten Uhren auch für das Uhrensegment von Bulgari und Generieren von Wachstum mit hochpreisigen Nischenprodukten.

Klar getrennte Markenführung



Trepani gelang es, Gérald Roden weiterhin als CEO der in Le Sentier zusammengeführten und neu firmierten Manufaktur Daniel Roth & Gérald Genta Haute Horlogerie SA bei der Stange zu halten. In Meyrin, zwischen Flughafen und der Stadt Genf ideal gelegen, wurde der Sitz des fusionierten Unternehmens eingerichtet: Administration, Design, Marketing, Logistik, Verkauf und Service après vente. Roden selbst installierte sich mit seiner Frau und den drei Kindern in der Genfer Altstadt und pendelt zwischen Meyrin und Le Sentier.

«Mit der Marke Daniel Roth wollen wir die uhrmacherische Erbschaft im klassischen Sinn erhalten, während die Marke Gérald Genta weiterhin ihre etwas verrückte Seite in Design und Farbe ausleben darf», erklärt Roden die unterschiedlichen Philosophien der beiden Uhrenmarken der Haute Horlogerie. Aus diesem Grund würden die beiden Marken am Sitz in Meyrin auch von zwei unterschiedlichen Teams geführt und nach aussen hin getrennt vertreten.

Die sich bietenden Synergien der Gruppe werden selbstverständlich genutzt, umso mehr als Bulgari 2005 auch die Mehrheit an Prestige d’Or in Saignelégier (Gehäuse und Armbänder) und 50% an Cadrans Designs in La Chaux-de-Fonds (Zifferblätter) übernahm.

Kenner geraten ins Schwärmen



Was die Manufaktur in Le Sentier seit der Fusion verlässt, entspricht durchwegs den Urhebern dieser Marken. Es sind herausragende Zeitmesser, die ihresgleichen suchen. Bei Daniel Roth etwa das 2002 kreierte 8-Tage-Tourbillon, ebenfalls als Double Face wie Roths erstes Tourbillon, allerdings erstmals mit einem komplett inhouse erstellten Uhrwerk.

Das 15. Firmenjubiläum von Daniel Roth wurde 2004 mit sieben Grandes Complicationes in einer stark limitierten Auflage zelebriert. 2007 kommt als Teil der Kollektion Masters Grands Complications die neue Perpetual Calendar Equation of Time mit einem vollständig von Hand dekoriertem Manufaktur-Automatikwerk, das fünf Komplikationsmechanismen umfasst: Ewiger Kalender, Schaltjahr, Mondphasen, Zeitgleichung und Anzahl Tage im Monat.

Auch die Techniker und Uhrmacher von Gérald Genta sind in der Lage, die grosse Tradition des «Designmeisters» weiter zu verfolgen. In der 2003 vorgestellten Octo Grande Sonnerie tickt ein äusserst ausgereiftes, ebenfalls inhouse erstelltes Uhrwerk. Es ist ein Tourbillon-Automatikwerk mit grossem und kleinem Schlagwerk, Westminster-Glockenspiel mit vier Hämmern, rückspringender Stunde, Minutenscheibe und -repetition. In der umfangreichen neuen Kollektion Arena kommt der provokative Stil von Gérald Genta in der revolutionären Zeitanzeige zum Ausdruck. Die Automatikuhren sind aktiven Damen und Herren gewidmet, die ausserordentliches Design mit Präzisionsuhrmacherei lieben, denn in allen stecken uhrmacherische Komplikationen.

Wachstum verlangt nach Ausbau



Beide Marken werden zwar in Le Sentier unter einem Dach hergestellt, jedoch in zwei getrennten Units. In einer dritten Unit entstehen mechanische Werke für die Bulgaris Masterpiece Grandes Complications, die Uhren selbst werden wie alle anderen Modelle im Bulgari-Betrieb in Neuenburg zusammenmontiert. «Deshalb platzt die kleine Manufaktur über 400 m2 aus allen Nähten und wird jetzt auf insgesamt 2300 m2 ausgebaut», freut sich Roden für die fast 90 Mitarbeitenden, die gemäss Plan noch im laufenden Jahr mehr Raum zur Verfügung bekommen. Zusammen mit jenen in Meyrin sind heute rund 130 Personen für die beiden Prestigemarken tätig.

Mit den bisher erreichten Zielen gibt sich der CEO zufrieden. Im vergangenen Jahr wurden gut 3000 dieser aufwendigen Zeitmesser hergestellt, wovon zwei Drittel der Marke Gérald Genta im Preissegment 13000 bis 700000 Fr. und ein Drittel der Marke Daniel Roth im Segment 18000 bis 720000.

Die Bulgari-Gruppe überschritt 2006 mit einem Totalumsatz von 1010,4 Mio Euro erstmals die Euro-Milliardengenze. Mit 289,1 Mio Euro bilden ihre drei Uhrenmarken hinter Schmuck den zweitwichtigsten Einkommensanteil, der um 10,3% zugenommen hat. Über den Anteil der einzelnen Marken werden keine Zahlen veröffentlicht.

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Gérald Genta: Der Künstler



Ausnahmekönner: Der 1931 in Genf geborene Gérald Genta entdeckt seine künstlerische Ader bereits als 7-Jähriger, als er zu malen beginnt. Über die Ausbildung zum Schmuckdesigner kommt er zur Uhr und gestaltet für so namhafte Uhrenunternehmen wie Audemars Piguet (Royal Oak), Bulgari (Bulgari-Bulgari), Cartier (Pasha), IWC (Da Vinci und Ingenieur) oder Patek Philippe (Nautilus) einzigartige Zeitmesser, bevor er 1969 seine eigene Marke lanciert. Als Künstler und Handwerker entwirft Gérald Genta die grössten Innovationen und verpackt sie in avantgardistisches Design. 1979 erhält sein Unternehmen den prestigeträchtigen Poinçon de Genève (Genfer Qualitätsstempel). Seine Leidenschaft für musikalische Zeitmesser ist so gross, dass er eine Grand Sonnerie sogar mit einem Tourbillon und mehreren Zeitzonen vereint. Er hat auch die Kühnheit, ungewohnte Materialien zu verwenden. Etwa 1988, als er sich mit Freunden in Afrika auf der Jagd der Big Five (Elefant, Nashorn, Büffel, Löwe, Leopard) befindet und erfährt, dass jedes Reflektieren des Sonnenlichts vermieden werden muss. Die Antwort darauf ist die Gefica Safari aus sandgestrahlter Bronze. Gérald Genta ist im Uhrengeschäft auch der einzige Franchisenehmer von Walt Disney: Seine verspielten Mickey-Mouse-Figuren zieren die Modelle seiner Fantasy-Kollektion. Sein Erfindergeist und seine Kreativität scheinen unerschöpflich, trotzdem ist ihm die Freiheit wichtiger als die Produktivität; Mitte der 1990er Jahre wendet er sich wieder ganz der Malerei zu. Allerdings lässt er 2005 die neue Uhrenmarke Gérald Charles registrieren. Er soll mit Uhrmachermeister Antoine Preziuso an einem neuen Meisterstück arbeiten ...

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Daniel Roth: Der Meisteruhrmacher



Ausnahmetalent: Daniel Roth ist unter den Meisteruhrmachern ein Ausnahmetalent, das er zuerst in kleinen Ateliers auslebt, bevor er sieben Jahre für Audemars Piguet tätig ist. Für die Gebrüder Chaumet aus Paris, welche die Rechte an der Marke Breguet besassen, führt er die Haute-Horlogerie-Marke 14 Jahre lang zu neuem internationalem Glanz. Als Chaumet sie 1987 an Investcorp verkauft, beginnt er seine erste eigene Uhr zu fertigen, die er 1988 auf der Basler Messe vorstellt: Ein Double-Face-Tourbillon, das auf der Vorderseite den Tourbillonkäfig, die Stunden und Minuten, auf der Rückseite das Datum und die Gangreserve für den mechanischen Handaufzug zeigt. Damit lanciert er 1989 seine eigene Manufaktur in Le Sentier. Dazu überlässt ihm die politische Grossgemeinde Chenit (Le Sentier, l’Orient und Le Brassus) ein kleines Industriegebäude aus dem Jahr 1895. In der Folge überrascht Roth mit immer weiteren grossen Komplikationen. Unverkennbare Ästhetik verleiht er seinen Uhren durch die einzigartige Gehäuseform einer doppelten Ellipse, die aus einem massiven Rotgold-, Weissgold- oder Platinblock gestanzt wird und am Handgelenk sofort erkennbar ist. Die Uhrwerksteile sind wunderschön dekoriert, die Zifferblätter guillochiert und die Stahlzeiger in Pfeilform gebläut. Eine weitere Spezialität ist seine dreigeteilte Sekundenanzeige mit drei sich drehenden Zeigern in unterschiedlicher Länge. In seinem uhrmacherischen Können ist Roth bis ins letzte Detail ein Perfektionist, ohne Rücksichtsnahme auf die Kosten. Laut einem Handelsregistereintrag für ein Unternehmen namens Jean Daniel Nicolas soll Roth an einem Comeback basteln ...