Die Herzkrankheiten sind ein Milliardengeschäft. Verdient wird vor, während und nach einem Infarkt. Bevor es richtig ernst wird, schlucken zigtausend Menschen brav Blutdruckpillen und Cholesterinsenker – die Pharmaindustrie freut sich über ihre Angst. Wenn dann die Beschwerden kommen, reiben sich die Ärzte die Hände: Jährlich liegen 30 000 Schweizer im Herzkatheterlabor zur Untersuchung, bei über 10 000 wird eine Engestelle eröffnet, und 5000 lassen sich Bypässe einpflanzen – damit der Pumpmuskel wieder frisches Blut bekommt. Auch nach einem Infarkt gibt es Profit für den Gesundheitsapparat: Die Patienten müssen in der Rehabilitation schliesslich wieder auf die Beine gebracht werden.

«Der Herz-Markt in der Schweiz wird weiter wachsen», prognostiziert der Basler Kardiologe Fritz Bühler, bis Ende 1995 Chef der weltweiten klinischen Forschung und Entwicklung von Hoffmann-La Roche. Als Grund nennt der Gründer des European Center of Pharmaceutical Medicine die Überalterung der Menschheit und die absolute Zunahme der Herz-Kreislauf-Krankheiten durch die ungesunde Lebensweise unserer Gesellschaft. Heute gibt es insgesamt mehr Möglichkeiten in Diagnostik und Therapie.

Das macht sich auch in der Statistik bemerkbar. Eine Erhebung der Schweizerischen Gesellschaft für Kardiologie zeigt, dass sich die Zahl der Herzkathetereingriffe in der Schweiz innerhalb von 13 Jahren mehr als verachtfacht hat. Mit einer fast zweieinhalbfachen Ausweitung entwickelte sich die Zahl der Bypass-Operationen. Die Kosten für die Eingriffe sind nur schwer auszumachen. «Ich weiss nicht, was die Kardiologie kostet und was sie bringt», bekennt Professor Matthias Pfisterer, Chef der Kardiologie an der Basler Uniklinik. Das liege teilweise an ungenügender Software in den Spitälern, um die Berechnungen zu präzisieren. Auch werden die meisten Spitäler von den Kantonen subventioniert, sodass der Nettopreis pro Eingriff nicht leicht zu errechnen ist. Doch nach Schätzungen eines Experten bringt ein normaler Herzkatheter rund 5000, eine Angioplastie (Eröffnung verstopfter Herzgefässe) 10 000 und eine Bypass-Operation 25 000 Franken.

Einer Berechnung von BILANZ gemäss dürften allein Kathetereingriffe und Bypass-Operationen heute jährlich weit über eine viertel Milliarde Franken kosten. Der Sparkurs in den öffentlichen Spitälern habe nach Auskunft mehrerer Kardiologen aber nicht in Frage gestellt, dass zu viele Eingriffe gemacht würden. In Amerika ist hingegen bekannt, dass sozial Schwache wesentlich seltener untersucht werden. Ob bei Reichen aus Profitgier der Ärzte öfter ein Katheter geschoben wird, lässt sich kaum überprüfen.

Dass die Kosten der Herzbehandlung insgesamt steigen, ist kein Geheimnis. Vielleicht auch deshalb, weil die Menschen durch die gute Behandlung einfach älter werden und öfter zu teuren Nachuntersuchungen müssen. «Ein Bypass oder ein Katheter beseitigt nicht die Herzkrankheit, sondern entschärft die bedrohliche Situation nur für eine gewisse Zeit», sagt der Berner Gesundheitsökonom Klaus Müller. Wo sich hingegen Kosten sparen liessen, so Müller, sei durch die Rehabilitation. Ein besser auf seine Belastungen vorbereiteter Patient hat nicht so schnell Rückfälle und wird dadurch billiger.

Der Umsatz der Reha-Kliniken und der rund 25 ambulanten Programme macht auf den ersten Blick einen gesunden Eindruck: rund 40 Millionen Franken. Doch diese Zahl täuscht. Nach Auskunft des Berner Kardiologen Hugo Saner werden 9000 Herzpatienten pro Jahr vernünftig rehabilitiert. Das seien viel zu wenig. «Fast doppelt so viele Patienten brauchten eigentlich eine strukturierte Rehabilitation, bekommen sie aber nicht», moniert Saner. Grund dafür sei häufig der Stolz der Ärzte, ihre Patienten so schnell wieder auf die Beine gebracht zu haben. Dazu komme der nicht weniger fatale Ehrgeiz der Patienten: Der Kathetereingriff wird mit Vorliebe auf Freitag angesetzt, damit am Montag wieder zur Arbeit geschritten werden kann.

Saner sieht in der Rehabilitation einen starken Wachstumsmarkt: «Der Trend geht Richtung gesunden Lebensstil – vom Hotel mit herzfreundlicher Ernährung und Be- wegungsangebot bis hin zum klassischen Programm.» Weil die Herz-Kreislauf-Krankheiten an Bedeutung weiter zunähmen, könnte sich der Reha-Markt auf ein Volumen von «mehreren Hundert Millionen Franken» entwickeln und damit verzehnfachen. Ob allerdings daraus eine Reduktion der Gesundheitskosten resultiert, ist für Simonetta Sommaruga, Berner SP-Nationalrätin und Präsidentin der Stiftung für Konsumentenschutz, fraglich. Die Politik der heutigen «Prestigeangebote» – auch im Herzbereich – schaffe die Nachfrage. «Deshalb braucht es zur Planung von Zentren und den Ankauf von Geräten ganz klar eine Bundeskompetenz.»

Das Geschäft mit dem Herzen hat Konjunktur bei den Pillendrehern. Zwar blieb nach Angaben der Pharma-Information die Zahl der verkauften Packungen an Herz-Kreislauf-Medikamenten mit 13,5 Millionen Stück in den letzten fünf Jahren stabil. Doch erhöhte sich der Umsatz im gleichen Zeitraum von 666 Millionen auf 880 Millionen Franken um ein sattes Drittel. Da bleibt nur eine Erklärung: Die Medikamente sind teurer geworden.

Die Entwicklungskosten schrecken manche Pharmagiganten vor neuen Forschungsabenteuern ab. «Doch keine grosse Pharmafirma kann es sich leisten, den Herzmarkt links liegen zu lassen», weiss der Basler Mediziner Fritz Bühler. Also vergeben die Firmen gezielt Aufträge an kleinere Entwicklungslabore. Zum Beispiel betreibt Hoffmann-La Roche seit vier Jahren keine eigene Herz-Kreislauf-Forschung mehr. Jetzt kümmern sich ehemalige Roche-Forscher mit ihrer Firma Actelion um die zukunftsträchtigen Entdeckungen. Das Allschwiler Forschungsunternehmen arbeitet an einigen Herz-Kreislauf-Medikamenten: Bosentan heisst derzeit der Hoffnungsträger. Das Präparat soll den fatalen Bluthochdruck im Lungenkreislauf bekämpfen.

Aktiver als Roche ist Novartis, die einen bedeutenden Teil ihres Pharmaumsatzes mit Herz-Kreislauf-Präparaten erzielt. Tradition hatte dieses Therapiegebiet schon bei der Novartis-Vorgängerfirma Ciba, die aus Fingerhut verschiedene Alkaloide extrahierte und auf den Markt brachte. Auch sind ihre Coramin-Lutschtabletten gegen Herzschwäche noch immer erhältlich. Doch der moderne Star der Firma ist der Blutdrucksenker Diovan.

Eine Verwandtschaft per Lizenz pflegt Novartis mit Speedel, einer 1998 von Ciba-Fachleuten gegründeten Pharmaentwicklungsfirma, die durch den Novartis-Venture-Fund unterstützt wird. Das 35-köpfige Unternehmen hat nicht nur einen «neuen Syntheseweg gefunden, der tiefere Produktionskosten verspricht» – so der wissenschaftliche Leiter Dieter Scholer –, sondern mit Aliskiren auch einen neuartigen Blutdrucksenker im Portfolio, von dem sich die Firma einen Milliardenumsatz erhofft. Wenn alles klappt, könnte der Reninhemmer 2005 auf den Markt kommen. Novartis winkt mit der Belohnung, Speedel an den Verkäufen zu beteiligen.

Bis es so weit sein wird, sind noch teure Studien, Tests und klinische Erprobung erforderlich. 600 bis 800 Millionen Franken kosten die Vorleistungen in Forschung und Entwicklung eines Medikaments, bevor die erste Pille verkauft ist. Kein Wunder, dass also die Firmen nach Markteröffnung auch verschiedenste Absatzkniffe einsetzen. Die Ärzte müssen geködert werden. Harmlos sind Rezeptblöcke oder Kugelschreiber mit dem Aufdruck von Medikamentennamen. Doch der Vorwurf der Bestechlichkeit wird akut, wenn Ärzte auf Firmenkosten zu Kongressen in exotische Länder eingeladen werden. Am tropischen Pool wird es viel leichter, den renommierten Professor von den Vorteilen eines neuen Produkts zu überzeugen. Solche Werbemethoden sollen nach dem neuen Heilmittelgesetz ab 1. Januar 2002 erschwert werden.

Dass Preisabsprachen unter Konkurrenten getroffen werden, verneint ein erfahrener Pharmaforscher, da die Anbieter zu zahlreich seien. Doch über Kooperationen bei Entwicklungen lässt sich viel Geld sparen. Wie im gesamten Therapiespektrum stehen die Konzerne auch im Herz-Kreislauf-Gebiet vor grossen Herausforderungen, weil einerseits die Produkteentwicklungen immer komplizierter, sicherheitsbewusster und spezifischer werden, anderseits die Patientengruppen, die dasselbe Medikament erhalten sollen, immer kleiner.
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