Wie stark beschäftigt die Corona-Krise die Finanzmärkte?
Die Corona-Krise beziehungsweise der Lockdown sowie die fiskal- und geldpolitischen Hilfsmassnahmen und alle damit verbundenen Zweitrundeneffekte dominieren praktisch gegenüber allem anderen. Sie sind massgeblich für Liquiditätsflüsse, Risikoprämien und Marktbewegungen verantwortlich. Gleichwohl dürfte sich in den nächsten Monaten das Themenspektrum wieder erweitern.

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Burkhard Varnholt

Burkhard Varnholt ist Anlagechef der Swiss Universal Bank und Vize-Chef des Global Investment Committee der Credit Suisse.

Quelle: ZVG

Wie wird sich die Schweizer Börse kurzfristig entwickeln?
Wir haben im März, am Tiefpunkt des SMI, unsere taktische Gewichtung in globalen Aktien auf «Übergewichten» hochgestuft. Natürlich locken heute Gewinnmitnahmen. Doch der Markt ist weniger überkauft, als viele meinen.

Die Rally der letzten Wochen wurde durch relativ dünne Volatilität getragen und birgt immer noch gute Chancen, sich fortzusetzen, weil der aufgestaute Anlagebedarf höher als das Potenzial für Gewinnmitnahmen ist. Wir bleiben auf «Übergewichtet», mögen insbesondere auch den Schweizer Markt.

Wo steht der SMI in zwölf Monaten?
Diese Frage beziehungsweise jede Antwort darauf erscheint mir wie Kaffeesatzlesen. Aber in Ordnung, sagen wir mal: 10’620.

«Sell in May and go away» ist eine beliebte «Börsenweisheit». Sollten Anleger sie im Corona-Jahr 2020 befolgen?
Diese «Weisheit» vergleiche ich gerne mit einer schönen Regel meines Grossvaters. Er sagte mir als junger Bub: «Kräht der Hahn auf dem Mist, so ändert das Wetter oder bleibt, wie es ist.» Anders gesagt, beide «Weisheiten» sind amüsant, aber für Anlagezwecke wertlos. Mal stimmen sie, mal eben nicht. Das ist Zufall. In der Zwischenzeit halten wir an unserer seit März eröffneten Übergewichtung in Aktien fest.

Die Weltwirtschaft ist in einer tiefen Krise. Können Sie uns fünf Gründe nennen, wieso Anleger jetzt Zuversicht schöpfen können?
Die gibt es durchaus. Also zählen wir fünf Gründe für Zuversicht auf:

1) Mehr als dreimal mehr geldpolitischer Stimulus als während der grossen Finanzkrise.

2) Während der Stimulus permanent ist, dürfte die Krise, welche aus der mangelnden Vorbereitung auf das Virus resultierte, ebenso wie die Rezession vorübergehender Natur sein.

3) Die Möglichkeit einer Dekade ohne Zinsen könnte erstmals Asset-Allocation-Umschichtungen aus Anleihen und Immobilien in Aktien bewirken, während gleichzeitig deren Rückschlagpotenzial durch Kapitalmarktinterventionen der Notenbanken limitiert ist.

4) Die meisten Haushalte und Unternehmen kommen mit mehr liquiden Ersparnissen aus der Krise heraus, als sie hereingingen. Für die Schweiz schätzen wir die unfreiwilligen Ersparnisse plus Transferzahlungen auf durchschnittlich 2000 Franken pro Haushalt. Bedenken Sie: Wenn Menschen Geld in der Tasche haben, dann geben sie es in der Regel auch aus – selbst wenn es vielleicht noch etwas dauert.

5) 70 Prozent der Marktkapitalisierung des S&P 500 oder auch des SMI sind Unternehmen, die operativ gesund sind. Das ist nicht vergleichbar mit der Grossen Depression.

Schweizer Haushalte haben während der Zwangsschliessungen seit Mitte März rund 2000 Franken gespart, wie eine CS-Studie zeigt. Wie viel von diesem Geld wird in den Konsum fliessen – wie dürfte sich der Schweizer Konsum entwickeln?
Wir vermuten, dass etwa zwei Drittel, also circa 5,5 Milliarden der insgesamt 8 Milliarden, unfreiwilliger Ersparnisse in den nächsten zwölf Monaten wieder in den Wirtschaftskreislauf zurückfliessen.

Nachhaltiges, am Umweltschutz orientiertes Investieren war vor Ausbruch des Coronavirus ein grosser Trend in der Finanzbranche. Finden solche am Klimaschutz orientierte Strategien in der Krise noch Beachtung?
Natürlich finden sie das! Es ist ein zusätzlicher Grund für die strukturell tieferen Bewertungen der Energiebranche oder auch der Rüstungsindustrie.

epa07644933 (L-R) Yi Huiman, Chairman of China Securities Regulatory Commission, Liu He, Vice Premier, Li Qiang, top Party official of Shanghai, and Ying Yong, Shanghai's mayor, celebrate the launch of the SSE STAR Market, previously referred to as the Shanghai Stock Exchange science and technology innovation board, in Shanghai, China, 13 June 2019. The board will commence trading within two months. EPA/FEATURECHINA CHINA OUT

Star Market: Vor gut einem Jahr ist Chinas Technologiebörse gestartet.

Quelle: Keystone

Letzten Sommer ist in China die neue Technologiebörse «Star Market» gestartet. Sie bezeichneten sie als interessant für Schweizer Anleger. Sind Sie nach knapp einem Jahr immer noch dieser Meinung?
Ja. Der Markt ist erfolgreich gestartet, seine Kapitalisierung liegt aktuell immer noch etwa 25 Prozent höher als zu Beginn im letzten Jahr. Die Börse profitiert insbesondere von den Spannungen zwischen den USA und China. Chinesische Technologie-Unternehmen ziehen aktuell und wohl auch in Zukunft ein IPO am heimischen «Star Market» gegenüber einem Listing in den USA vor. Vergessen wir nicht, dass China und Asien der potenziell grösste Markt der Welt für viele Technologie-Unternehmen ist.

Exchange Traded Funds (ETF) werden immer beliebter. Hat es sich während der Corona-Krise bewährt, auf solche passive Anlageinstrumente zu setzen – oder liessen sich mit aktiven Anlagestrategien bessere Renditen erzielen? 
Ich denke, dass aktive Anlagen aktuell wieder attraktiver sind. Schauen Sie nur zwei Beispiele anhand des S&P 500 an: 25 Prozent seiner Kapitalisierung stammen von nur fünf Unternehmen. Und die höchsten Bewertungen geniessen aktuell die Unternehmen mit den tiefsten Gewinnen: Kasinos, Fluggesellschaften und Hotels. Dies schafft viel Platz und Raum für abweichende Meinungen und aktive Vermögensverwaltung.

Das Interview wurde schriftlich geführt.