Mindestens 160.000 Steuerbürger geniessen innerhalb der Europäischen Union (EU) einen Sonderstatus. Sie drücken ganz legal ihre Einkommensteuersätze oder zahlen sogar nur eine Pauschale an den Fiskus. Als die grössten Steuerparadiese innerhalb der EU weist eine Studie der Grünen im Europaparlament Grossbritannien und die Niederlande aus mit jeweils mehr als 50.000 Nutzniessern. Insgesamt werden zehn EU-Länder mit attraktiven Sonderregeln für vermögende Bürger genannt. Deutschland ist nicht dabei.

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Der Grüne-Europaabgeordnete Sven Giegold fordert Reaktionen der europäischen Länder: «Die Europäische Union muss nicht nur bei Unternehmensteuern, sondern auch bei Ausnahmen von der persönlichen Einkommensteuer den schädlichen Unterbietungswettbewerb stoppen», sagte er.

Einzelne EU-Mitgliedstaaten buhlten mit steuerlichen Extrawürsten um die Gunst reicher Privatpersonen, die Zeche zahle die grosse Mehrheit der Bürger. Nach Sonderregeln für Grossunternehmen wie AppleFacebook und Amazon lockten EU-Regierungen nun VIPs mit immer stärkerem Steuerdumping.

Ökonomen, wie der Chef des Ifo-Instituts Clemens Fuest, sind allerdings skeptisch, ob eine Abschaffung der Sonderregeln tatsächlich zu einem Ende des Unterbietungswettbewerbs innerhalb der Europäischen Union führen würde.

Der mehrfache Weltfussballer des Jahres Cristiano Ronaldo wird in der Studie als einer der berühmtesten und grössten Profiteure der unterschiedlichen Sonderregeln genannt – er feierte seine ersten grossen Erfolge in Grossbritannien, wechselte dann nach Spanien und vergangenes Jahr nach Italien. In allen Ländern gibt es Sonderrabatte für Hochverdiener.

Beliebte Wohnsitzregel

Besonders beliebt innerhalb der EU ist die Wohnsitzregel. Ein Ausländer in Grossbritannien, Irland und Malta muss Einkünfte, die er ausserhalb der Grenzen erzielt, in diesen Ländern nicht versteuern. Steuern fallen nur auf die Einkünfte an, die tatsächlich vor Ort erwirtschaftet werden oder aber dort auf Konten landen.

Aus diesem Grund ist beispielsweise London gerade bei Spitzensportlern und Musikern ein beliebter Wohnort. Im Ausland angefallene und verbuchte Lizenzeinnahmen müssen dort nicht versteuert werden.

Seinen Ursprung hatte diese Regelung bereits vor einigen Hundert Jahren. Nachdem England viele kleine Inseln in der Karibik annektiert hatte, gewährte das Königreich jedem Einwohner einen Steuernachlass, der sein Geld in die britischen Überseegebiete trug und so für das wirtschaftliche Überleben der Menschen in der Ferne sorgte.

Die Niederlande und Belgien lockten nach dem zweiten Weltkrieg mit Steuernachlässen hochqualifizierte Arbeiter aus dem Ausland an, bis heute erfreuen sich die beiden Benelux-Länder grosser Beliebtheit bei wohlhabenden Menschen.

Flat-Tax hilft Superreichen

In anderen Ländern gibt es eine Flat-Tax, um reiche Privatpersonen aus dem Ausland anzulocken. Bekanntestes Beispiel ist Italien: Dort gibt es seit gut zwei Jahren eine Pauschalsteuer auf Einkommen und Vermögen: Wer 100.000 Euro pro Jahr zahlt, muss keine Nachfragen des italienischen Fiskus fürchten.

Die Voraussetzungen sind: Er muss von den vergangenen zehn Jahren neun im Ausland gelebt haben und seinen Wohnsitz nach Italien verlegen. Das Ganze gilt für maximal 15 Jahre. Auch Frankreich führte nach der Brexit-Abstimmung 2016 Sonderegeln ein, um möglichst viele wohlhabende Banker von London nach Paris zu lotsen.

Solche Pauschalen lohnen sich nur für wenige – laut Studie wird sie in Italien bislang lediglich von 160 Menschen genutzt. Schliesslich muss das Jahreseinkommen die Marke von 300.000 Euro in jedem Fall überschreiten. Das zeigt eine einfache Rechnung: Wer 300'000 Euro verdient, kommt in Deutschland auf einen durchschnittlichen Steuersatz von knapp 40 Prozent. Die fällige Abgabe an den Fiskus läge hierzulande bei 119.000 Euro und damit über Italiens Steuerpauschale.

Unabhängig von Sonderregeln weisen die Autoren darauf hin, dass längst auch im Bereich der Einkommensteuer ein für alle schädigender Steuerwettbewerb laufe. Nach Zahlen der europäischen Statistikbehörde Eurostat sank der durchschnittliche Spitzensteuersatz der 28 EU-Staaten seit 1995 von 47 Prozent auf 39 Prozent.

Grosse Spannweite bei der Einkommensteuer in Europa

Während Rumänien mit nur zehn Prozent rechnet, sind es in Schweden immer noch 57 Prozent. Diese gewaltige Spanne plus die vielen Sonderregeln eröffneten wohlhabenden Menschen viele Möglichkeiten Steuerzahlungen zu vermeiden oder zumindest klein zu rechnen, heisst es in der Studie der Grünen. Die EU-Kommission müsse endlich aktiv werden.

Eine Abschaffung der Rabatte mag politisch erwünscht sein, Ökonomen weisen aber auf mögliche Wechselwirkungen hin: «Ohne Sonderregeln wird in den Ländern der Druck auf die allgemeinen Steuersätze steigen», sagt Clemens Fuest, Präsident des Münchner Ifo-Instituts. Um weiterhin attraktiv für Einkommensmillionäre zu sein, würden dann die Spitzensteuersätze gesenkt.

Dieses Phänomen habe sich bereits bei der Unternehmensteuer gezeigt, erinnert Fuest. Als Irland ein Sonderweg untersagt wurde, senkte das Land den allgemeinen Körperschaftsteuersatz und den übrigen EU-Ländern war auch nicht geholfen. «Am Ende kann es eine Illusion sein, dass man mit dem Verbot besonderer Regime tatsächlich die Steuereinnahmen innerhalb der Europäischen Union erhöht.»

Hinzu kommt, dass kleine Länder ohnehin Vorteile im Steuerwettbewerb haben – und immer haben werden. Der Grund ist einfach: Kleine Länder verlieren nicht so viele Steuereinnahmen, wenn sie die Sätze auf breiter Front senken – dann zahlen zwar alle weniger, aber es können ein paar zusätzlich angelockte Hochverdiener reichen, um unter dem Strich eine positive Steuerbilanz zu haben. «Dieser Vorteil wird durch die Abschaffung von Sonderregeln noch verstärkt», sagte Fuest.

Bundesregierung für fairen Steuerwettbewerb

Grundsätzlich stellt sich die Frage, auf welcher rechtlichen Grundlage die EU in die Besteuerung eingreifen will. Die Einkommensteuer ist Sache der Mitgliedsstaaten. In Berlin hielt man sich mit einer Reaktion auf die Grünen-Forderungen denn auch zurück und beliess es zunächst bei Allgemeinplätzen: «Die Bundesregierung setzt sich international und auf europäischer Ebene für fairen Steuerwettbewerb ein», teilte das Finanzministerium mit.

Dazu gehörten auch die Bewertung steuerlicher Sonderregelungen. Wirksame Massnahmen erforderten hier eine international beziehungsweise auf EU-Ebene abgestimmte Vorgehensweise. 

In Brüssel steht das Thema seit längerem auf der Agenda. Die EU-Kommission gab bereits eine Untersuchung in Auftrag, die zeigen soll, wie hoch die Steuerausfälle für die Mitgliedsländer durch Sonderregeln bei der Einkommensteuer tatsächlich sind. Die Ergebnisse sollen bald vorgestellt werden.

Dieser Artikel erschien zuerst in Die Welt unter dem Titel «Was hinter den Steuerrabatten für Superreiche steckt».