Das «Expressive» der kraftvolle Protest der Künstler gegen die Mechanisierung des Lebens und die Unmenschlichkeit zieht sich wie eine Schneise durch die Kunstgeschichte der Moderne bis in die Gegenwart. Die Fondation Beyeler hat dieses grundlegende Thema des 20. Jahrhunderts zum Inhalt ihrer rund 200 Gemälde, Skulpturen und Grafiken umfassenden Ausstellung «Expressiv!» gemacht, mit Kunstwerken, die mehr oder weniger heftige Gefühle und seelische Grenzsituationen widerspiegeln. Das Ziel der Ausstellung ist es nicht, das historische Phänomen des Expressionismus zu beleuchten, sondern vielmehr einen Zeitraum auf Spuren des Expressiven abzusuchen, der vom 16. Jahrhundert bis in unsere Tage hineinreicht.

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Den Kern der Ausstellung bilden Werke der 1905 in Dresden gegründeten Künstler-Vereinigung «Brücke» (Kirchner, Heckel, Nolde), der Künstlervereinigung «Blauer Reiter» in München (Marc, Kandinsky, Jawlensky) sowie des österreichischen Frühexpressionismus (Kokoschka, Schiele). Doch blendet die Ausstellung auch zu den Vorläufern zurück, bis ins 16. Jahrhundert zu El Greco, dann zu van Gogh, Gauguin über Munch, Ensor und Modersohn-Becker bis zu den französischen Fauves wie Derain und Matisse.

Doch auch die Nachfolger der klassischen Expressionisten aus der Zwischenkriegszeit (Beckmann, Soutine, Picasso) sind ebenso vertreten wie diejenigen der Nachkriegszeit (Dubuffet, de Kooning, Bacon). Der Bogen wird weitergespannt über den Neoexpressionismus (Baselitz, Lüpert, Lassnig) bis zur Malerei der Neuen Wilden der 80er Jahre (Clemente, Basquiat, Disler) und endet schliesslich bei Louise Bourgeois und einer Videoinstallation von Bruce Nauman aus dem Jahr 1992.

Von andauernder Ausdrucksstärke

Die Stilmittel der expressiven Künstler haben sich im Laufe der Jahrzehnte verändert, ihre Ausdrucksstärke aufwühlend, kompromisslos, radikal ist jedoch geblieben.

Mit dem Expressionismus machte eine Kunstbewegung weltweit Furore, die ihre stärkste Ausprägung in Deutschland fand. Auch wenn die Entwicklungszeit seiner fulminanten Phase relativ kurz war, konnte er in den beiden ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts eine Wirkung entfalten, die bis zum ausgehenden Jahrhundert wirksam war und immer noch ist. Die Expressionisten protestierten nicht nur gegen eine Welt, die den Menschen in technische Abläufe einspannt und ihn zum reinen Funktionsträger degradiert, sondern auch gegen eine Kunst, die beschönigt und verklärt. Sie grenzten sich ab von der impressionistischen Malerei, deren Werke häufig von einer idyllischen Atmosphäre durchdrungen sind, und brachten die inneren Empfindungen ans Licht. Die Expressionisten wollten zeigen, dass auch Not, Ungleichgewicht und seelische Grenzsituationen zum menschlichen Leben gehören und waren der Überzeugung, dass sich das eigentliche Menschsein in Krisen offenbart.

Die klassischen Expressionisten haben einige Vorläufer und noch mehr Nachfolger, die sich des Mittels des Schockierens (oder zumindest des Irritierens) bedienten, um den Betrachter unmittelbar anzusprechen. Als Ahnherr der expressiven Malerei gilt El Greco, der in der Ausstellung mit einer turbulenten «Verkündigung» (15961600) vertreten ist und der mit seinen Werken schon seine Zeitgenossen irritierte.

DAS PRIMITIVE ALS QUELLE DER LEBENSKRAFT

Fast 300 Jahre später eröffnete Gauguin dem Expressionismus die Perspektive auf das Primitive, das ihn während seines Aufenthalts auf der Südseeinsel Tahiti in seinen Bann schlug. Die urtümliche Ausdruckskraft der Naturvölker galt den Expressionisten als Quelle der existenziellen Lebenskraft, und allen voran die Brücke-Künstler stilisierten sich als die Wilden in einer durchreglementierten Gesellschaft. Als eigentlicher Erbe des Expressionismus gilt Max Beckmann, der wie Otto Dix und Georg Grosz ernüchtert aus dem Ersten Weltkrieg zurückgekehrt war und wie diese, geheilt vom weltverbesserischen Pathos der Brücke-Künstler einen beissenden Verismus in seinen kraftvollen Bildern zum Ausdruck brachte. Ebenso wie das Expressive in Deutschland ins Realistische hinüberspielte, interferierte das Expressive in der Zwischenkriegszeit in Frankreich auch mit dem Surrealismus (Max Ernst, Pablo Picasso).

Bewusst spart die Ausstellung die direkte Fortsetzung im Abstrakten Expressionismus der Nachkriegszeit aus, da in der Präsentation das Figürliche im Zentrum steht. Denn in der Auseinandersetzung zwischen der reinen Gestik und der Figur, dem Konflikt zwischen Farbe und Gegenstand wird die Ausdrucksstärke am unmittelbarsten sichtbar.

Fondation Beyeler, Baselstrasse 77 in Riehen/Basel, bis 10. August 2003.