Die Sache war hoch geheim. Im Labor hatten die Tests erstaunliche Werte ergeben: Nie zuvor war ein Fussball so rund. «Aber ob ein Ball wirklich gut ist, das merke ich erst auf dem Platz», sagt der studierte Werkstofftechniker Markus Dietrich, Laborleiter des Adidas-Forschungslabors in Scheinfeld, Deutschland. Also brachte er den Ball zum Kicken mit Kollegen mit uniweiss getarnt. Zuschauer sollten nicht bemerken, dass er statt aus den bekannten Fünf- und Sechsecken aus propellerförmigen Teilen zusammengesetzt war, geklebt, nicht genäht. So spielte Dietrich auf einem kleinen Rasenplatz im Steigerwald vor zwei Jahren zum ersten Mal den «besten Fussball meines Lebens».

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Doch der Ball ist nicht allein in der Heimatidylle von Scheinfeld entstanden. Das Spielgerät, das die Marketingstrategen von Adidas «Teamgeist» getauft haben, ist ein Paradebeispiel der Globalisierung. Der «Teamgeist», das ist Basarökonomie in Potenz. In Deutschland wird entwickelt, getestet und vermarktet. Die gesamte Produktion, einschliesslich des Baus der nötigen Maschinen, findet ausserhalb der Grenzen statt. Die Arbeiter für die Produktion des Balls sitzen in Indien, Vietnam und Thailand. Ein Grossteil der Ingenieure stammt aus Japan und Südkorea. Dänische und französische Spediteure sorgen für Transport und Logistik.

Scheinfeld, Deutschland:

Dietrich leitet das Adidas-Testlabor in Scheinfeld. Unter seiner Aufsicht werden Bälle in Waschmaschinen mit Sandpapier malträtiert, um deren Farbechtheit zu prüfen. Mit Spezialmaschinen misst er Rundheit, Luftdruck und Gewicht. Bevor ein neuer Ball in die Massenproduktion geht, müssen genaue Vorgaben erfüllt sein. Die Fifa verlangt zum Beispiel ein Gewicht zwischen 420 und 445 Gramm, schreibt vor, wie viel Wasser ein Ball aufsaugen und wie viel Druck während eines Spiels entweichen darf.

Haben die Forscher aus dem Scheinfelder Labor den Prototypen für gut befunden, läuft die weltweite Produktionsmaschine an. 10 Mio Bälle aus der «Teamgeist»-Familie will Adidas rund um die WM an die Fans bringen. Die Produktionskette für die Original-Spielbälle, die im Handel 110 Euro kosten, reicht von Deutschland über fünf asiatische Länder zurück nach Europa. Michael Hug, der deutsche Beschaffungschef für Bälle bei Adidas, und sein französischer Kollege Jean Jacques Bouteiller, Qualitätsmanager, kennen die Details. Ein Fussball, das ist längst nicht mehr ein «rundes Leder». Ein WM-Fussball verlangt Hochtechnologie, Design-Kunststoffe. Er wird auf Präzisionsmaschinen gefertigt, im Zusammenspiel der Nationen.

Neu-Delhi, Indien:

Am Anfang steht Kautschuk, gewonnen auf Gummibaumplantagen in Indien. In Blöcken wird es nach Neu-Delhi geliefert, dort auf heimischen Maschinen plattgewalzt und vulkanisiert. Unter Druck und Hitze wird die Blase geformt, die innere Haut des Fussballs.

Haiphong, Vietnam:

Maschinen spinnen ein Polyestergarn, das gewebt und auf grosse Rollen gerollt wird. Aus diesem Material wird später die «Karkasse» gemacht, die erste Aussenhülle für die Gummiblase.

Osaka, Japan:

Eine Farbfabrik produziert Gold, Schwarz und Grau, das in Kanistern nach Thailand verschifft wird. Mit kleinen Sieben drucken Arbeiterinnen dort per Hand das Design auf die Aussenhaut des Balls.

Leverkusen, Deutschland:

Aus der Chemiefabrik am Rhein kommen spezielle Polyurethane, die gleich zwei Mal im fertigen Ball zu finden sind. Sie sind das Basismaterial für die charakteristischen Propellerteile. Und sie bilden den Überzug für den gesamten Ball, die allerletzte Schicht, die Ronaldinho & Co. mit ihren Füssen treten werden.

«Der Ball wird sich perfekt an den Fuss anschmiegen», schwärmt Thomas Michaelis, den sie bei Bayer «Mr. WM-Ball» nennen. Der Mann vom Marketing hat selbst im Labor gestanden, um die neuen Kunststoffverbindungen zu testen. Demnächst fliegt er zu Verkaufsgesprächen nach Südkorea. Jetzt sitzt er in einem Ausflugslokal am Rhein und schaut durch eine Scheibe auf das Bayer-Werk. Stolz berichtet er vom «Hinter-Glas-Effekt» beim «Teamgeist». Seine Folie lege sich wie eine Scheibe über den Design-Druck, schütze ihn vorm Abreiben und gebe dem Ball seinen speziellen Glanz.

Suwaon, Südkorea:

Der neue Kunststoff aus Leverkusen kommt als Granulat in Fässern in einer Fabrik in Südkorea an. In einem Gerät, das einem Betonmischer ähnelt, wird er mit anderen Zutaten zu einer Masse verarbeitet, die in eine etwa 100 m lange Kalandar-Maschine fliesst. Die Maschine walzt das Material, trocknet es in Wärmekanälen heraus kommt eine Folie, aus der später die propellerförmigen Ballteile gestanzt werden. Die Folie wird, genau wie alle anderen Vorprodukte, zur grossen Ballfabrik in Thailand geliefert.

Sriracha, Thailand:

180 angelernte Arbeiter sind an der Produktionslinie des «Teamgeist» beschäftigt. Sie arbeiten in zwei Schichten. Die Fabrik gehört der japanischen Firma Molton. Die grosse Halle steht voller Maschinen. Es gibt Stanzen und Trockentunnel aus Thailand, Walzen aus Italien, Roboter und Computer aus Japan. Bei Molton werden alle Vorprodukte zusammengesetzt, verklebt, mit Druck und Hitze in die richtige Form gebracht. Heraus kommt ein Ball, dessen Oberfläche nur noch aus 14 statt wie früher aus 32 Einzelteilen zusammengesetzt ist. Das macht ihn, sagen die Marketingstrategen, so rund und so präzise zu spielen wie keinen Ball zuvor.

Bangkok, Thailand:

Dänische und französische Reedereien verschiffen die Bälle in Kisten zu je fünf Stück vom Hafen Bangkok nach Europa. Per Bahn oder Lastwagen geht es weiter zum Adidas-Zentrallager in Uffenheim.

Uffenheim, Deutschland:

Sämtliche Adidas-Produkte, die in acht europäischen Ländern verkauft werden, machen einen Umweg über das entlegene Städtchen im Steigerwald. Hier herrscht Diplom-Wirtschaftsingenieur Thomas Raber über ein computergesteuertes Hochregallager mit Platz für genau 362 304 Kartons. Die Atmosphäre ist gespenstisch. Ferngesteuert sausen menschenlose Gabelstapler durch dunkle Gänge.

In der Halle nebenan arbeiten Menschen wie Renate Jung. Sie schiebt ein Wägelchen mit einem Metallkorb über einen offenen Gitterrost. Durch den Rost kann man eine Frau sehen, die ein Stockwerk tiefer genau so ein Wägelchen schiebt. Renate Jung macht immer wieder Halt, nimmt einzelne T-Shirts, Trainingshemden oder Baseballkappen aus aufgerissenen Kartons in Metallregalen und legt sie in ihren Korb. Sie sucht Artikel für kleinere Kunden zusammen, die nicht ganze Kartons von einer Ware abnehmen. Mehr als 300 Teile in der Stunde sollte sie schaffen.

Unter den Wirtschaftsingenieuren, Werkstofftechnikern und Marketingspezialisten, die hierzulande mit dem WM-Ball beschäftigt sind, ist die Hilfskraft Renate Jung die Ausnahme. In der globalen Produktionskette übernehmen Deutsche fast nur noch die hoch bezahlten Posten.

Herzogenaurach, Deutschland:

René Skyett ist in der Abteilung beschäftigt, die bei Adidas besonders viel Wert schafft: Das Marketing. Er trägt Jeans und einen langen Pony mit blonden Strähnen drin und nennt den Fussball seine «grosse Leidenschaft». Das sagt er auf englisch, denn Skyett ist Däne. Vor drei Monaten hat er bei Adidas im fränkischen Herzogenaurach angeheuert und verantwortet dort den Bereich «Footballs, Hardware».

Wie hoch der Preis für den Markennamen Adidas auf dem fertigen WM-Ball ist, der im Laden 110 Euro kostet, will er nicht verraten. Nur so viel: Im Durchschnitt aller Adidas-Produkte machen die Kosten für die Produktion und Beschaffung knapp 55% der Umsätze aus.

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Fussball für jede WM: Von der Schweinsblase zum Hightech-Gerät

Die Normen

Ein Fussball ist dann regelkonform, wenn er kugelförmig ist, aus Leder oder einem anderen geeigneten Material gefertigt ist, einen Umfang von 68 bis 70 cm hat, zu Spielbeginn zwischen 410 und 450 g wiegt und einen Luftdruck von 0,6 bis 1,1 Atmosphären hat.

Offizielle Spielbälle

Seit 1970 hat jede Fifa-Fussballweltmeisterschaft ihren eigenen Fussball. Mit jeder Weltmeisterschaft verbesserten sich die Sportgeräte. Bis Ende der 60er Jahre bestand der Fussball aus Leder und war mit einer Schweinsblase gefüllt. Die Blase mit Ventil wurde in den 30er Jahren erfunden; zuvor hatte ein Netz den Ball zusammengehalten. Nachteil des Lederballs: Er saugt sich bei Regen mit Wasser voll.

«Telstar» (Mexiko, 1970) Der Fussball bestand ursprünglich aus Lederstreifen. In Mexiko wurde der Ball mit Fünf- und Sechsecken geboren, ebenfalls komplett aus Leder.

«Tango»

(Argentinien, 1978) Das Design erlebte eine optische Entwicklung. 20 gleiche Triaden vermittelten den Eindruck von 12 identischen Kreisen. Die Fussbälle der nächsten fünf Weltmeisterschaften basierten auf diesem Design.

«Tango Espa–a»

(Spanien, 1982) Erstmals kamen wasserdicht versiegelte Nähte zur Anwendung.

«Azteca»

(Mexiko, 1986) Ein wichtiger Evolutionsschritt: Statt aus Leder wurde der Fussball erstmals aus Kunststoff fabriziert. Somit wurde der Ball unempfindlich gegen Nässe, behielt sein anfängliches Gewicht und trumpfte mit unerreichten Eigenschaften auf bei harten Böden, feuchtem Klima und in Höhenlagen.

«Etrusco Unico»

(Italien, 1990) Erster Spielball mit einer inneren Schicht aus schwarzem Polyurethan-Schaum, womit das Sportgerät vollkommen wasserabweisend ist.

«Fevernova»

(Südkorea und Japan, 2002) Das bunte Design wurde von der asiatischen Kultur geprägt. Das dreilagige Gewebe sorgte für eine präzisere und besser berechenbare Flugbahn des Balls bei jedem Schuss.

«Teamgeist»

(Deutschland, 2006) Durch eine neuartige Anordnung von 14 Panels wird eine insgesamt rundere Struktur erreicht. Sie sind nicht mehr miteinander vernäht, sondern verklebt.