Ronald Pofalla ist kein Freund bescheidener Worte. Auch bei der Vorstellung des jüngsten Jahreswirtschaftsberichts der Bundesregierung in Berlin gab sich der Generalsekretär der CDU Deutschlands gewohnt vollmundig: «Der Aufschwung in Deutschland hat einen Namen: Angela Merkel», jubelte er mit geschwellter Brust.

Der Ifo-Geschäftsklima-Index für die gewerbliche Wirtschaft stieg Anfang Januar unerwartet deutlich von 99,7 auf 102 Punkte. Der Indikator zeigte damit im fünften Monat in Folge nach oben. Die DekaBank schwärmt angesichts der neu erwachten Investitionsbereitschaft der Firmen von einem «robusten Aufschwung» und wird dann schon fast poetisch: «Die Lokomotive Deutschland 2006 rollt.»

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Jetzt sei der Aufschwung in Deutschland kein frommer Wunsch mehr, stimmt auch Gerhard Kohls von Adecco in den Chor der Optimisten ein. Firmen wie der Schweizer Weltmarktführer für Personaldienstleistungen gelten als Frühindikator für die Konjunktur. «Wir bemerken derzeit in Deutschland eine verstärkte Nachfrage nach Ingenieuren und Technikern aller Fachrichtungen, die zum Beispiel von Airbus-Zulieferern und Unternehmen der Elektronik- und Automobilindustrie benötigt werden», stellt Kohls erfreut fest.

Eines ist klar: Der vermeintliche Merkel-Aufschwung steht und fällt mit den privaten Verbrauchern. Jahrelang hatten sich diese zwischen Rhein und Oder in hartnäckiger Konsumverweigerung geübt.

«Die Steuerentlastungen der Regierung Schröder haben die Menschen nicht in den Konsum, sondern in ihre Ersparnisse gesteckt», sagt Matthias Rubisch von der Commerzbank. Das Geldvermögen stieg nach Angaben der Deutschen Bundesbank 2004 auf den Rekordstand von 4067 Milliarden Euro auf Bankkonten, in Wertpapieren und Versicherungen.

Der Schock der hohen Arbeitslosigkeit drückte auf die Psyche der Konsumenten. Doch auch hier scheint der Merkel-Faktor zu wirken. Zum ersten Mal seit fünf Jahren wird die Arbeitslosenzahl nach Einschätzung der meisten Experten im Jahresdurchschnitt sinken.

Gleichzeitig zieht der private Konsum erstmals seit Jahren wieder leicht an. Dass die allgemeinen Rahmenbedingungen für den Aufschwung stimmen, daran glauben viele. Marco Bargel, Chefökonom der Deutschen Postbank, ist überzeugt davon, dass deutsche Unternehmen dank verbesserten Erträgen über einen ausreichenden Finanzierungsspielraum verfügen, um kräftig zu investieren. Darüber hinaus werde der Aussenhandel der Konjunktur weiterhin deutliche Wachstumsimpulse geben. «Wichtige Handelspartner wie die USA und die Staaten Südostasiens wachsen ungebremst, und die Weltkonjunktur zeigt sich robust.» Bereits 2005 meldete Deutschland mit 786,1 Milliarden Euro einen neuen Exportrekord. Hinzu kommt in diesem Jahr der Fussball-WM-Effekt. «Dann dürften wir ein Wachstum von zwei Prozent bekommen. Das kann sich sehen lassen.»

Mit Volldampf voraus also? Manche Beobachter sind noch keineswegs von einem nachhaltigen Turnaround überzeugt. Vor allem die Mehrwertsteuererhöhung auf 19 Prozent hält Michael Heise, Chefökonom von Dresdner Bank und Allianz, für einen echten Wachstumskiller.

«Das wird den Konsum mittelfristig empfindlich treffen.» Eine andere Gefahr stellen laut Heise auch die rekordhohen Ölpreise dar. «Die höhere Rechnung für Gas, Öl und Strom wird Deutschland bis zu 20 Milliarden Euro Kaufkraft entziehen. Das ist ein enormer Bremsfaktor.»

Der Immobilieninvestor Jürgen Henning hält die Hoffnung auf eine radikale Wende zum Besseren ebenfalls für verfrüht. Seit Jahren verfolgt er die Entwicklung in seinem Heimatland vom sonnigen Florida aus. «Wenn ich sehe, dass Frank Bsirske und seine Gewerkschaft Verdi angesichts von fünf Millionen Arbeitslosen zum Streik im öffentlichen Dienst aufrufen – und das wegen 18 Minuten Mehrarbeit pro Tag –, habe ich dafür kein Verständnis. Wie gerne würden diese fünf Millionen wohl ohne Lohnausgleich 40 Wochenstunden arbeiten? Oder sogar 60 Stunden? Aber sie dürfen nicht.»

Fast schon amüsiert habe ihn jüngst die Nachricht, dass viele Selbständige in Deutschland inzwischen Tankbelege bei Ebay ersteigern, um so an Steuerersparnisse zu kommen. «Wenn sich ein Land solch einen verwaltungstechnischen Schwachsinn erlaubt, darf es sich nicht wundern, wenn es wirtschaftlich nicht auf die Füsse kommt.» Strukturelle Reformen am Arbeitsmarkt und bei den Steuern hätten irgendwann ja auch in England gegriffen, in Dänemark oder Neuseeland. «Aber die Deutschen müssen sich unbedingt von dieser ‹Room-Service-Mentalität im Luxushotel› verabschieden, die sie sich in den fetten Jahren angewöhnt haben.»

Auch Thomas Borer-Fielding, ehemals Botschafter der Schweiz in Berlin und heute Unternehmensberater, hegt Zweifel an einer schnellen Genesung des Patienten Deutschland. «So sehnlichst wir uns das als Schweizer auch wünschen, dass unser wichtigster Aussenhandelspartner wieder in Schwung kommt – ich bin da eher skeptisch.» Von ihrem Potenzial her müsste die deutsche Wirtschaft laut Borer eigentlich heute schon um mindestens zweieinhalb Prozent wachsen. Aber die Mehrwertsteuererhöhung und mangelnde Flexibilität dürften auch in Zukunft als Hemmschuh wirken. «Die politischen Flitterwochen nach der gelungenen Regierungsbildung sind bald vorbei, dann wird die graue Realität eintreten.»

Borer glaubt zu wissen, was Firmeninhaber, Handwerker und Selbständige in Deutschland oft an den Rand der Verzweiflung bringt: endlose Vorschriften und Verordnungen, die jede Initiative im Keim erstickten.

Immerhin: Für die Schweiz wäre eine andauernde Schwäche der deutschen Wirtschaft zwar unerfreulich, aber auch nicht mehr so tragisch wie vielleicht noch vor einigen Jahrzehnten. Denn die totale Abhängigkeit vom grossen Nachbarn besteht laut Borer längst nicht mehr. «Die Schweizer Unternehmen haben ihre Hausaufgaben gemacht. Unsere Exportfirmen sind mit Qualitätsprodukten überall auf der Welt erfolgreich, die ertragsstarken Finanzdienstleister allesamt global aufgestellt.» Und so würde die Schweiz nicht gleich wieder mit ins Tal schlittern, sollte die derzeitige Hoffnung auf den Merkel-Aufschwung am Ende doch wieder mal in die Stagnation münden.