Am schlimmsten sind die Ärzte: elitäre Arschlöcher», schrieb der Heidelberger Student Reinhard Karl 1978 aus dem Basislager der österreichischen Mount-Everest-Expedition an seine Freundin Eva. Damit meinte er unseren Chirurgen Raimund Margreiter und mich. «Für die bin ich ein hergelaufener Preusse, der Fotos machen soll»: Sein Urteil entsprach unserer Ansicht – auch wenn wir die 15 000 Mark schätzten, die seine Teilnahme unserer Expeditionskasse beschert hatte. Er war unser fünftes Rad am Wagen.

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Der sensible Kopfrevoluzzer bemühte sich nicht um Anpassung und versteckte seine Verletzlichkeit hinter Sticheleien, welche die innersten Fettnäpfchen der Empfindlichkeiten trafen. So auch die meinigen, und dementsprechend explodierte ich gelegentlich gegen den aufgeblasenen Preussen in hier nicht wiederzugebenden Verbalattacken.

Das Schicksal würfelte uns zusammen, als mein Everest-Traum fast zerbrach: Kurz vor der Gipfelbesteigung hatte ich mich durch ein Experiment selbst aus dem Rennen geworfen. Einen Liter Blut hatte ich mir abgenommen und durch Blutersatzflüssigkeit ersetzt, um Dickflüssigkeit des Blutes in der Höhe zu vermindern. Daraufhin wurde ich schwer krank und musste mich in tieferen Regionen erholen.

Hier trat am 1. Mai Reinhard in die Sherpahütte, in der ich am Feuer sass. Wir wussten, dass in einigen Tagen unsere einzige und zudem winzige Chance, den Gipfel der Welt zu besteigen, kommen würde, und einer von uns sagte: «Dann gehen wir halt zusammen.» Während vier Tagen kletterten wir seilfrei hintereinander. Am fünften Tag fanden wir auf dem 8750 Meter hohen Vorgipfel ein 15-Meter-Seil und banden uns erstmals zusammen. Wenige Meter unterhalb des Everest-Gipfels wartete ich, und gemeinsam machten wir die letzten Schritte. Wir zwei tapsigen Bären waren am Ziel unserer Wünsche, kurz unter dem Himmel, am erlösenden Endpunkt unbeschreiblicher Glücksgefühle. Wir umarmten uns. Als Reinhard vier Jahre später bei unserer nächsten gemeinsamen Expedition in einer Eislawine starb, war ich tieftraurig.

Das Rezept, elitäre Widerlinge und sensible Revoluzzer zusammenzuführen, funktioniert nicht immer. Ein anderes Paar, nämlich Messner und Habeler, die bei jener Expedition erstmals ikonoklastisch die Besteigung des Mount Everest ohne Flaschensauerstoff ertrotzten, waren sich nach diesem Höhepunkt für 20 Jahre spinnefeind. Aber immerhin herrschten klare Verhältnisse: Nachdem man sich zutiefst kennen gelernt hatte, ging man getrennte Wege.

Gemeinsames Abenteuer gilt auch als Rezept, um Wirtschaftsführer zum Zusammenspannen zu motivieren. Reinhold Messner bietet dafür eine Abenteuer-light-Version: Spitzenkräfte der deutschen Industrie müssen unter Leitung von Bergführern Schneefelder überschreiten, Grate erklettern und des Nachts weit weg von menschlicher Behausung kampieren, Hühner rupfen und braten. Dies kreiert zusammen mit Südtiroler Rotem zwar Harmonie, aber offensichtlich noch nicht genügend Effizienz, wie der nach wie vor beklagenswerte Zustand der deutschen Wirtschaft zeigt. Zweifelsfrei ist die Dosis Abenteuer zu niedrig.

Hier zu Lande könnte man Streithähnen, die eigentlich fürs Wohl des Volkes zusammenwirken sollten, eine Durchsteigung der Eigernordwand empfehlen. Da würden sie wohl merken, wie man sich gegenseitig braucht, und würden versuchen, die Schwächen des anderen nicht auszunützen, sondern zu kompensieren. Zu befürchten ist, dass die beiden Pastorensöhne, die solch einigendes Steingewitter am nötigsten hätten, dafür zu wenig Saft im Ranzen haben. Also würde ich die grossen Söhne des protestantischen Pfarrhauses, gut ausgerüstet und durch ein solides 30-Meter-Seil verbunden, über einen spaltenreichen Gletscher mit vielen einsturzbereiten Gletscherbrücken schicken. Wenn man solches Gehen beherrscht, so ist das Erlebnis zwar dramatisch, aber nicht wirklich gefährlich. So die Kooperation nicht funktioniert, stürzt einer in die Tiefe. Oder beide.

Nach einer solchen Gletscherdurchquerung kennt man sich wirklich und wirkt entweder voll zusammen – oder dann gar nicht. Und der eine oder der andere Weg würde unseren Staat der Fallen aus der Sozialstaats-, der Bauern-, der VCS- und all den übrigen Fallen, die es da noch so gibt, herausführen.