Goldman Sachs, Apple, Reddit. Die Liste der Firmen, die gewisse Nachteile für Homeoffice-Mitarbeitende toleriert oder sogar bewusst einführt, ist eindrucksvoll. Es scheint, als hätten sich viele Firmen noch nicht damit abgefunden, dass sie ihre Mitarbeitenden auf Dauer nicht mehr im Büro wiedersehen werden.

Das führt zu verschiedenen Massnahmen und Ideen, mit denen Homeoffice-Mitarbeitende diskriminiert oder, wie es im Firmensprech heisst, «angemessener» behandelt werden sollen.

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Der Überblick:

Einschnitte beim Salär

Mitarbeitende des US-Technologiekonzerns Google könnten die Arbeit vom heimischen Schreibtisch jedenfalls empfindlich im Portemonnaie zu spüren bekommen. Sollten Beschäftigte dauerhaft von zu Hause aus arbeiten, könnte sich das Gehalt reduzieren, geht aus einem firmeninternen Lohnrechner hervor. Der Rechner ermöglicht es jedem und jeder Mitarbeitenden, die Auswirkungen des Homeoffice auf die eigenen Finanzen zu überprüfen.

Demzufolge trifft es vor allem Personen, die bisher lange Pendelzeiten hatten. «Das Gehalt unterscheidet sich von Stadt zu Stadt und von Bundesstaat zu Bundesstaat», sagte eine Unternehmenssprecherin, ohne ins Detail zu gehen. Facebook und Twitter haben bereits an der Stellschraube gedreht und die Gehälter von Mitarbeitenden gekürzt, die in weniger teure Wohngegenden gezogen sind.

Kleinere Firmen wie die Online-Plattform Reddit oder das Immobilienportal Zillow haben inzwischen ortsabhängige Lohnmodelle eingeführt.

Ein Google-Mitarbeiter beispielsweise pendelt gemäss US-Medien in der Regel von einem nahe gelegenen Bezirk zum Büro in Seattle und würde wahrscheinlich eine Gehaltskürzung von etwa 10 Prozent hinnehmen müssen, wenn er in Vollzeit von zu Hause aus arbeiten würde. So die Schätzungen des Work Location Tool des Unternehmens.

Das würde bei einem Softwareingenieur, der beim Internetgiganten auf bis zu 350 000 Dollar Jahressalär kommen kann, 35 000 Dollar weniger ausmachen. Der Google-Lohnrechner prognostiziert aber noch stärkere Einbussen: Wer zum Beispiel eine Stunde Zugfahrt von New York City entfernt wohnt, muss mit 15 Prozent weniger Gehalt rechnen.

Die Schätzungen dazu, wie stark die Lohneinbussen sind, bewegen sich nach Angaben von Google-Mitarbeitenden zwischen 5 und 25 Prozent.

Homeoffice- Strafsteuer

Die Deutsche Bank lancierte die Idee, dass Mitarbeitende, die grossteils im Homeoffice arbeiten, mehr Steuern zahlen sollen. Die solle in Deutschland immerhin fast 8 Euro pro Tag betragen.

Es gehe um die gerechte Verteilung der volkswirtschaftlichen Lasten, schreibt Luke Templeman, Ökonom bei der Deutschen Bank, in seinem Konzeptpapier «What We Must Do to Rebuild» (Was wir für den Wiederaufbau tun müssen). Für die Wirtschaft sei die Arbeit Tausender Menschen im Homeoffice ein schwerer Verlust.

Über lange Zeit hätten sich Wirtschaftszweige wie der Einzelhandel sowie Infrastrukturen rund um die Arbeit im Büro entwickelt. Falle diese weg, verschärften sich die ökonomischen Probleme weiter.

Vom Mittagessen oder dem Pausenkaffee hingen eben auch Arbeitsplätze und Unternehmen ab, lautet das Argument. Daher müssten Menschen, die lieber von der Küche aus arbeiten, ihren solidarischen Beitrag leisten und die Homeoffice-Strafsteuer entrichten.

Erhoben werden soll die Steuer übrigens nur an jenen Tagen, an denen man auch wirklich im Homeoffice sitzt. Eine solche Massnahme könnte in den Vereinigten Staaten jährlich 48 Milliarden Dollar und in Deutschland rund 16 Milliarden Euro einbringen.

Informationssilos schaffen

Eine Voraussetzung für erfolgreiches Arbeiten im Homeoffice ist, dass Mitarbeitende zu Hause und im Büro über den gleichen Zugang zu Informationen verfügen und dass alle Entscheidungsprozesse digital nachvollziehbar sind. Wenn Vorgesetzte Informationssilos im Büro schaffen, also Wissen von ausserhalb der Firma nicht zugänglich oder nicht nachvollziehbar machen, können die Kollegen und Kolleginnen im Homeoffice nur scheitern.

Offiziell darf es solche Ungleichgewichte nicht geben. Mitarbeitende können sich dabei auf den Gleichbehandlungsgrundsatz berufen, der für sie gilt. Wenn eine Firma aber damit beginnt, digitale Tools wieder abzubauen, Info- und Wissensdokumente aus der Cloud zu nehmen und immer weniger Sitzungen über Video für alle einsehbar streamt, sind die Nachteile für Homeoffice-Mitarbeitende evident.

Umso stärker sollen sie darauf pochen, dass weiterhin alle Infos und Entscheidungsprozesse auch remote nachvollziehbar sind.
 

Rigide Zeit- und Aktivitätskontrolle

Viele Mitarbeitende in den Homeoffices haben es mit Software zu tun, die ihre Aktivitäten, Telefonanrufe oder die Nutzung des Mailprogramms überwacht. «Wir nutzen Arbeitsplatz-Analytics», sagt etwa Novartis-Personalchef Steven Baert. «Damit können wir messen, ob die Mitarbeitenden telefonieren, E-Mails schreiben oder in digitalen Meetings sind», so der HR-Boss.

Dass die Mitarbeitenden dabei kontrolliert würden, will er nicht gelten lassen. Die Mitarbeitenden müssten «bei dieser Datenerhebung nicht mitmachen, sie können sie ablehnen», so Baert. Ihm zufolge haben nur 3 Prozent der Belegschaft ihre Zustimmung zur Datenerfassung verweigert. Auch andere Firmen bis hin zu überschaubaren Agenturen nutzen Tools, die die Arbeitszeit von Mitarbeitenden genau erfassen.

Dies aber mit dem Ziel, die Mitarbeitenden vor Überlastung zu bewahren, erzählt etwa die Mitgründerin der Digitalagentur Liip, Nadja Perroulaz: «Für die Abrechnung bei unseren Kunden und Kundinnen führen wir Buch über unsere Arbeitsstunden. In unserem selbst entwickelten Tool dafür sehen unsere Mitarbeitenden auch direkt, wie viel ihrer Arbeitszeit sie schon geleistet haben.»

Überstunden sind so für Mitarbeitende und Chefs transparent sichtbar. Bei sehr ungewöhnlichen Arbeitszeiten oder sehr vielen Überstunden schlägt das System dann Alarm: «Unsere Mitarbeitenden können nur in Ausnahmefällen Stunden fürs Wochenende eintragen», sagt Perroulaz. Damit sollen sie vor Überlastung geschützt werden.
 

Keine Perspektive für einen Aufstieg

Für Mitarbeitende im Homeoffice ist die Kommunikation mit ihren Vorgesetzten noch viel entscheidender als für jene, die im Büro sitzen. Regelmässige Lunches oder längere Online-Sitzungen sind Pflicht, wenn man weiterhin auf dem Radar des Vorgesetzten sein will und vor allem seine Karriereentwicklung mit ihm besprechen möchte.
 

«Sichtbarkeit spielt eine sehr wichtige Rolle bei der Art und Weise, wie wir vorankommen.»

Die Tendenz, jemanden zu vergessen, den man nicht ständig sieht, ist eine Art «Unconscious Bias» sagte dazu die Zürcher Expertin für Telearbeit, Ioana C. Cristea, gegenüber der BBC: «Die Leute machen das nicht unbedingt mit Absicht, aber obwohl ich auf einer gewissen Ebene weiss, dass die Person zu Hause genauso hart arbeitet wie die Person im Büro, habe ich den Namen des Remote-Mitarbeiters nicht im Kopf, wenn ich eine Entscheidung darüber treffe, wer befördert wird.

«Sichtbarkeit spielt eine sehr wichtige Rolle bei der Art und Weise, wie wir vorankommen.» Eine Arbeit aus dem Jahr 2019, die Cristea während ihrer Zeit an der University of California, Santa Barbara, mitverfasst hat, zeigt, dass es sich positiv auf die Mitarbeitenden auswirkt, wenn sie bei der Arbeit von anderen beobachtet werden, «weil dies ein starkes Signal für ihr Engagement für ihre Arbeit, ihr Team und ihr Unternehmen ist».

Aufrüstung der Kantine

Unternehmen von der Goldman Sachs Group bis zu Havas versuchen mit der Aufrüstung ihrer Kantinen und Investitionen in die Qualität ihrer Kaffees und Menus, Mitarbeitende aus dem Homeoffice zu locken.

«Der Fantasie sind beim Versuch, Mitarbeitende mit Essen ins Büro zu locken, keine Grenzen gesetzt»

Bei Goldman Sachs gehören das kostenlose Frühstück, Mittagessen und Eiscreme zu den Massnahmen, mit denen die britischen Mitarbeitenden davon überzeugt werden sollen, die Bequemlichkeit ihres Zuhauses zu verlassen, wo einige seit März 2020 gearbeitet haben, als die Pandemie ausbrach.

Goldman Sachs gehört zu den stärksten Befürwortern einer Rückkehr aus den Homeoffices und erlaubt es Angestellten neuerdings sogar, ihre Mahlzeiten auf dem begrünten Dachgarten von Plumtree Court einzunehmen. Dieser war früher nur wichtigen Kunden oder Mitgliedern der königlichen Familie vorbehalten.

«Das Essen spielt im Büroalltag eine viel zentralere Rolle – und die Unternehmen versuchen, mit ihren Essensangeboten das Verhalten zu beeinflussen», so Robin Mills, Geschäftsführer des Catering-Unternehmens Compass Group.
«Wir sind jetzt Teil dieser Gespräche über die Wiedereröffnung und Teil dieser neuen Welt, in der die Unternehmen darüber nachdenken, wie sie ihre Angestellten zum Wiederkommen bewegen können.

Der Fantasie sind beim Versuch, Mitarbeitende mit Essen ins Büro zu locken, keine Grenzen gesetzt», so die Catering-Firma.

Einige bieten zum Beispiel montags und freitags, wenn weniger Leute ins Büro kommen, eine grössere Auswahl an Speisen an, zum Teil ein Drei-Gang-Menu. Andere bieten zwischen 18.00 und 21.00 Uhr Dinneroptionen an, um denjenigen entgegenzukommen, die weniger Tage in der Woche kommen, dafür aber länger arbeiten.

Stefan Mair
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