Die Fülle des Lebens ist dem Manager vorbehalten. «Im Beruf vereinigt er die Vorzüge eines Eier legenden Wollmilchschweines und einer antibiotikaresistenten Kanalratte in sich. Er produziert ständig neue Ideen, ist belastbar, unsentimental und knochenhart.» Das mag noch angehen. «Im Privatleben ist der Manager voll Zärtlichkeit, Wärme und Einfühlsamkeit, vor allem nimmt er sich genügend Zeit für seine Familie: Er legt die Würde eines Adlers und den erzieherischen Scharfblick einer Eule an den Tag, die bergende Wärme einer Glucke und die helfende Art einer Meise. In seinem emotionalen Bedürfnis kommt er mit der Nahrung eines Kanarienvogels aus.» In Anlehnung an Brehms Tierleben haben der Berater Johannes Cwalina und der Banker Andreas Walker im Buch «Karriere ohne Sinn?» verdienstvoll und akkurat die Lebensbedingungen eines Managers gewürdigt.
Gottgleiche Geschöpfe dieser Art sind mit Geld nicht aufzuwiegen. Was bedeuten ein paar Millionen Franken pro Jahr gegenüber der unablässigen Selbstaufopferung, der sich unser aller Vorbilder unterziehen? Nur böse Menschen zählen nach, wie viel Honorar sich Manager als Entgelt für 365 Tage und Nächte Mühsal zugestehen. Und nur die ganz Missgünstigen ereifern sich, wenn sie an diese Zahlen nicht herankommen. Die Redaktoren des Wirtschaftsmagazins «Forbes» gehören dazu. «Very poor» sei die Informationspraxis beispielsweise der Credit Suisse, wenn es um die Saläre der Geschäftsleitung geht, stellen sie fest.
Tatsächlich wissen wir von CS-Chef Lukas Mühlemann – «Cash» sei Dank –, dass er sich ab und zu ein Einkaufskörbchen an den Arm hängt und sein Entrecôte selber einkauft. Ob er sich das teure Stück aber leisten kann, ist noch immer Gegenstand wilder Spekulationen. Marcel Ospel hingegen darf nicht nur geschäftlich in grossem Stil einkaufen, er kann auch jeden Abend mehrere Filetstücke zu sich nehmen, wenn ihn danach gelüsten sollte. Auf 6,7 Millionen Dollar schätzt «Forbes» das Einkommen des UBS-Obersten. Wäre Daniel Vasella eingeladen, der Novartis-Allgewaltige könnte den Château Margaux gleich kistenweise mitbringen und Nestlé-CEO Peter Brabeck den Liqueur im Zisternenwagen. Novartis zahlt dem Chef 1,4 Millionen Dollar pro Jahr, Nestlé 1,3 Millionen.
Wäre, hätte, könnte – Unsinn. «La grande bouffe» findet nicht statt. Manager haben erstens Asketen zu sein, weshalb sich Lukas Mühlemann nur unter Androhung des Fallbeils mit seiner geliebten Zigarre fotografieren lässt. Zweitens und drittens und viertens haben sie keine Zeit, sondern können glaubhaft dartun, dass sie kaum je unter eine 70-Stunden-Woche kommen. «Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit arbeitet die führende Schicht am meisten», bestätigt Bruno S. Frey, Wirtschaftsprofessor an der Universität Zürich (siehe auch Seite 194).
Die schrullige Madame Elisabeth de Meuron aus Bern hatte mit ihrer Frage «Sit dir öpper, oder zieht dir Lohn?» Zeugnis einer Epoche abgelegt, die wohl erst mit ihrem Tod 1980 unwiderruflich dahin war. Schliesslich wurde die Arbeit schon in der Antike gering geschätzt und wenn möglich den Sklaven aufgehalst. Der griechische Dichter Aristophanes spottete 400 vor Christus, nur derjenige arbeite, der es nötig habe. Was ein anständiger Bürger war, mühte sich lediglich mit Dingen ab, die dem Wohl des Staates dienten: diskutieren auf dem Marktplatz, Ämter bekleiden, Kriege führen, Feste abhalten oder Dramen aufführen. Die Musse, sagt Sokrates, ist die Schwester der Freiheit. Undenkbar für die Oberschicht des 21. Jahrhunderts: Sie dienen wohl auch dem Wohle des Staates, indem sie wenn auch nicht auf dem Marktplatz diskutieren, so doch ab und zu telegen in Abstimmungskämpfe eingreifen, Militärdienst leisten, am Sechseläuten mitreiten oder, statt Dramen aufzuführen, diese grosszügig unterstützen und mit ihrer Gegenwart beehren. Aber, und da unterscheiden sie sich von Sokrates und den Seinen, sie packen diese Pflichten auf ihre tägliche Arbeitslast obendrauf.
Die Schwerarbeiter an den Konzernspitzen halten es eher mit dem Apostel Paulus als mit Aristophanes: «Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen.» Des ersten Missionars menschenfeindliches Sprichwort konnte nicht verhindern, dass in den folgenden Jahrhunderten oft diejenigen am meisten zu essen hatten, die nicht im eigentlichen Sinn arbeiteten. Der Bauernstand nährte mit seinen Abgaben Klerus und Adel recht gut, die ihn als Gegenleistung mittels Gebet und Waffen vor höllischen und irdischen Feinden schützten. Auch die Arbeiter des letzten und vorletzten Jahrhunderts taten das Ihre, damit die Kapitalgeber nicht darben mussten. «Vergleichen wir die Lage eines freien Engländers von 1845 mit der eines leibeigenen Sachsen um 1145», schreibt Friedrich Engels. «Der Grundherr konnte den Leibeigenen nicht von der Scholle losreissen, ihn nicht ohne sie verkaufen; die moderne Bourgeoisie zwingt den Arbeiter, sich selbst zu verkaufen. Der Leibeigene hat eine Garantie für seine Existenz an der feudalen Gesellschaftsordnung, in der jeder seine Stelle hat; der freie Arbeiter hat gar keine Garantie, weil er nur dann eine Stelle in der Gesellschaft hat, wenn die Bourgeoisie ihn braucht. Der Leibeigene opfert sich seinem Herrn im Kriege – der Fabrikarbeiter im Frieden. Sklaven sind sie beide.»
«Der freie Arbeiter verkauft sich selbst, stückweise. Er versteigert einen Tag wie den anderen an den Meistbietenden», schreibt Karl Marx 1849. «Seine Lebenstätigkeit ist für ihn nur ein Mittel, um existieren zu können. (...) Die Produktionskosten der einfachen Arbeit belaufen sich also auf die Existenz- und Fortpflanzungskosten des Arbeiters.» Als Lebensinhalt ist die Arbeit, wie sie Marx und Engels sahen, untauglich. «Das Leben fängt da für den Arbeiter an, wo diese Tätigkeit aufhört: am Tisch, auf der Wirtshausbank, im Bett.»
Der fahrlässig verkürzte Streifzug durch die Geschichte der Arbeit mag auf den ersten Blick zum Lob der Gegenwart verleiten, auf den zweiten nachdenklich stimmen. Zwar ist – um Ernst Bloch zu bemühen – die Arbeitsfähigkeit heute, was die Genussfähigkeit in der Antike und die Glaubensfähigkeit im Mittelalter waren: das Zentrum gesellschaftlicher Erfordernisse und von daher nicht gering, sondern hoch geschätzt. Wer darf sich noch zuzugeben erlauben, dass er nicht Monate nicht bezogener Ferien aufgestockt hat und weniger als 60 Stunden pro Woche arbeitet? Arbeiten ist zum Wert an sich geworden. Parias sind, die nicht arbeiten können oder wollen. Grundfalsch aber wäre es anzunehmen, dass viel Arbeit zwingend viel Geld bringt. Wir hören zwar von den schwer arbeitenden Managern, deren Gehälter ins Unermessliche steigen. «Doch man sieht nur, die im Licht sind, die im Dunkeln sieht man nicht.» Dabei ist die Zweiteilung, die mit der Arbeitszeit nichts zu tun hat, offensichtlich. Von einer «riesigen Umverteilung» spricht Professor Bruno S. Frey und meint damit die Gelder, die von den Unternehmen zu deren Führungsschicht fliessen.
Damit hat es sich jedoch nicht, die Umverteilung geht in grösserem Stil vor sich: von den Nichtwissenden zu den Wissenden, von den herkömmlichen Berufen und Branchen zu IT und Finanz. Die Umverteilung von Mitarbeitern zu den Führungskräften lässt sich nur in Schätzungen ausdrücken. Gemäss Salärstudien sind die Löhne der Manager innerhalb des letzten Jahres um 4,3 Prozent gestiegen, der Durchschnittslohn der Erwerbs- tätigen jedoch um lediglich 0,9 Prozent. Das scheint ein beträchtlicher, aber kein exorbitanter Unterschied. Bis jemand zu rechnen beginnt: Firmenchefs erhielten 1999 durchschnittlich 243 000 Franken, das sind 4,9 Prozent mehr als im Jahr zuvor und macht gut 11 000 Franken aus. Der Durchschnittslohn der Erwerbstätigen betrug Ende 1998 gemäss eidgenössischer Statistik 66000 Franken. 1999 waren es, wie die «Handelszeitung»-Salärstudie zeigt, 0,9 Prozent mehr. Macht 594 Franken. Die Chefs trugen also pro Monat, bei 13 Löhnen, 846 Franken mehr nach Hause als im Vorjahr, die durchschnittlich Verdienenden 45 Franken – fast 20-mal weniger.
Wer gehört schon zum Durchschnitt? Vielleicht jene 250 000 Working Poors in der Schweiz, die gemäss Caritas trotz Erwerbstätigkeit nicht genug zum Leben haben? Vielleicht der «neue Geldadel», von dem «Blick» sprach und zu dem Roche-Finanzchef Henri B. Meier mit einem versteuerten Einkommen von 3,7 Millionen Franken ebenso gehört wie «Zürich»-Chef Rolf Hüppi mit geschätzten 7 Millionen? Vielleicht Silvia E., die dem «Beobachter» anvertraute, dass sie mit Nachtwache im Altersheim und mit Putzen zusammen auf 3300 Franken pro Monat kommt? Nach Abzug der Mietkosten von 1000 Franken bleiben ihr und den beiden Töchtern 2300 Franken zum Überleben.
Ist das die Gerechtigkeit, von der Papst Pius XI. 1931 in seiner Enzyklika «Quadrogesimo Anno» spricht? «Der eigentumslose Nurlohnarbeiter soll sich durch Fleiss und Sparsamkeit zu einer gewissen bescheidenen Wohlhabenheit emporarbeiten können», mahnt er und empfiehlt in gebotener Rücksicht gegenüber den Arbeitgebern «eine Annäherung des Lohnverhältnisses an ein Gesellschaftsverhältnis nach Massgabe des Tunlichen» – was immer das heissen mag. Auf jeden Fall aber soll «der Arbeitsverdienst der Familienväter zur angemessenen Bestreitung des gemeinsamen häuslichen Aufwandes ausreichen». Erfreuliche Anfänge seien bereits gemacht «zum beiderseitigen nicht geringen Vorteil der Arbeitnehmer wie der Produktionsmittelbesitzer». Ungerecht wäre aber «die Forderung übertriebener Löhne, die zum Zusammenbruch des Unternehmens mit allen sich daraus ergebenden bösen Folgen für die Belegschaften selbst führen müssten.» Sind «existenzsichernde Mindestlöhne von 3000 Franken brutto pro Monat», wie sie Gewerkschaften und Sozialwerke fordern, übertrieben und führen sie tatsächlich zu Entlassungen, wie Arbeitgeberdirektor Peter Hasler fürchtet? Sind staatliche Einkommenszuschüsse, wie sie die OECD ihren Mitgliedländern empfiehlt, unumgänglich? Und was ist das für eine Wirtschaft, die einem Teil ihrer zu 100 Prozent Beschäftigten nicht einmal mehr das zahlen kann, was Karl Marx als «Existenz- und Fortpflanzungskosten des Arbeiters» bezeichnete?
Immer diese Verallgemeinerungen! Selbstverständlich geht es der grossen Mehrheit in der Schweiz gut. Aber sind jene zehn Prozent der Erwerbstätigen, die sich nach Aussage von Walter Schmid, Präsident der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe, «mit einem Hungerlohn durchschlagen» müssen, eine Randgruppe? Die Bauern machen schliesslich auch keine zehn Prozent der Bevölkerung aus, und niemandem würde es einfallen, sie als Randgruppe zu bezeichnen. Ein Spitzenmanager mit einer Million Franken Einkommen verdient in einem Jahr so viel wie der Mindestlohnempfänger in 25 Jahren. Für das Jahressalär des UBS-Chefs müssten sechs Kioskfrauen ein Leben lang schuften. Von den amerikanischen Managern ganz zu schweigen, die pro Jahr Dutzende von Millionen einstreichen. Lassen sich solche Unterschiede durch irgendetwas rechtfertigen?
«Man darf nicht immer wieder die obersten zehn Prozent mit Lohnerhöhungen beglücken, sonst fällt das System auseinander», sagte Peter Hasler kürzlich der «Aargauer Zeitung». «Das Lohnsystem muss gelegentlich auch für die Übrigen angepasst werden.» Eigentlich beglückt sich die Führungsschicht selber. Nachdem in Grossbritannien Vodafone-Chef Chris Gent zehn Millionen Pfund für die Übernahme von Mannesmann kassiert und der eiligst verabschiedete British-Airways-Chef Bob Ayling Aktien im Wert von 1,9 Millionen Pfund hatte mitnehmen dürfen, ging ein Sturm der Entrüstung durch Bevölkerung und Presse. Manager hängten nur mehr «ihre Schnauze in den Trog». Die Stimmung wurde nicht besser, als der «Guardian» eine Studie veröffentlichte, nach der gut 100 Manager in den grössten 100 Unternehmen je über eine Million Pfund als Grundgehalt kassieren, 16,5 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Für besonders störend hält die öffentliche Meinung die Art, wie diese «Stratosphärengehälter» zu Stande kommen: Die Manager lassen sich von Besoldungsausschüssen ihre Saläre festlegen und bestimmen im Gegenzug deren Bezüge.
In der Schweiz legt in der Regel der Verwaltungsrat das Salär des Chief Executive fest. Nur sitzt der häufig selber in diesem Gremium. Wo er selbstverständlich in den Ausstand tritt, wenn es um sein eigenes finanzielles Wohl geht, das mit Grundgehalt und Incentives aller Art noch längst nicht ausreichend gesichert scheint. Erstaunlich wenig haben sich die Aktionäre und als deren gesetzliche Vertreter die Verwaltungsräte um das gekümmert, was ein viel grösseres Ärgernis ist als die Gehälter – die Stock-Options (siehe Kasten auf Seite 184). Über 100 börsenkotierte Unternehmen haben in der Schweiz einen Stock-Options-Plan. Wie diese ausgestaltet sind, bleibt auch nach Jahren intensiver Diskussion um den Shareholder-Value im Dunkeln. Die Pläne gehören zu den bestgehüteten Geheimnissen der Lohnpolitik. Dabei hätten die Aktionäre nach den Exzessen in den USA allen Grund, auf die Unternehmen Druck auszuüben. Denn nur, wenn die Mitarbeiter, sprich: Manager, im Optionsprogramm ein angemessenes Risiko mittragen, handeln sie im Interesse der Aktionäre.
Sofern sie das überhaupt können. Professor Bruno S. Frey betont zu Recht, der Einfluss einzelner Manager auf die Aktienkurse werde wohl überschätzt, weil sich zu viele gesamtwirtschaftliche Faktoren auf die Kurse auswirkten. Warum dann Optionspläne? Die Mutmassung, durch Stock-Options würde das ohnehin beträchtliche Gehalt aufgestockt, ohne es als solches in der Unternehmensrechnung ausweisen zu müssen, ist angesichts der Heimlichtuerei der Schweizer Firmen nicht von vornherein bösartig. Dass die Interessen der Eigentümer und der Mitarbeiter zusammenfinden, ist ebenso wenig garantiert. Um die Verpflichtungen der Optionspläne für Manager zu decken, werden nämlich so viele Aktien ausgegeben, dass die bisherigen Aktionäre eine Verwässerung hinnehmen müssen. Dank dem Boom und der positiven Aufnahme von Optionsplänen an der Börse haben sich die Proteste der Aktionäre in der Schweiz bisher in engen Grenzen gehalten. Es ist nicht bekannt, dass die 2000 Optionen von Nestlé-Chef Peter Brabeck, die 2500 von Daniel Vasella (Novartis), nicht einmal die 250 000 Optionen von UBS-Topbanker Marcel Ospel einen Aufschrei an der Börse verursacht hätten. Schon gar nicht jene von CS-Chef Lukas Mühlemann, denn: «Oh wie gut, dass niemand weiss …»
Immerhin tragen die Empfänger der Stock-Options gewisse Risiken mit und sollen dafür auch belohnt werden. Das ist eine Legende, mehr nicht. Gewiss, ursprünglich und besonders in den Start-up-Firmen im Silicon Valley bildeten die Optionen einen Bestandteil des Lohnpakets, der «total compensation». Das bekam im Nachhinein vor allem den Mitarbeitern der so genannten Dotcom-Unternehmen schlecht. Nachdem die Kurse im Frühjahr unter den Ausübungspreis gefallen waren, standen Tausende von ihnen plötzlich am Rand des Existenzminimums. Damit sie nicht in Scharen davonliefen, scheuten sich viele Firmen nicht, die Optionenidee mit einem Repricing zu pervertieren. Der Basispreis wurde so weit gesenkt, dass er wieder unter dem Börsenkurs lag. In der Schweiz hat die UBS auf diese Weise die ursprüngliche Idee torpediert, in den USA griffen so bekannte Firmen wie Apple und Oracle zu diesem infamen Mittel. Noch findigere Firmen geben einfach neue Optionspläne mit tieferen Ausübungspreisen aus und lassen die alten stehen – mit dem Risiko, dass bei einem Schub im Aktienkurs gleich beide Optionen mit Gewinn fällig werden. Geschädigt werden dadurch die Investoren. Weil Microsoft seinen Mitarbeitern neue Optionen ausgegeben hat, könnten bei einer jährlichen Durchschnittsperformance von 14 Prozent in fünf Jahren 3,9 Milliarden Dollar nötig werden, um die Aktien zu kaufen. Das ist fast der halbe Jahresgewinn von 1999. SAP hat die Aktionäre mit der Einführung eines Mitarbeiterprogramms bestraft, das die Erfolgsrechnung mit 400 Millionen Franken belastete.
Trotzdem schreien die Mitarbeiter der amerikanischen Internetfirmen jetzt nach höheren Basissalären. Die Generation der Gründer tritt ab, Strukturierer sind jetzt gefragt, und die sind nicht mehr bereit, derart hohe Risiken einzugehen.
In der Schweiz sind die Stock-Options ohnehin kaum mit einem schwer wiegenden Risiko belastet, wie Executive-Search-Berater versichern. Roger Rytz von Spencer Stuart beispielsweise erlebt es kaum, dass Optionen wirklich Teil des Lohnpakets sind. Sie werden vielmehr auf die Besoldung samt Boni draufgeschlagen. Was die behagliche Sicherheit gibt, die Option erst dann auszuüben, wenn der Kurs wieder gestiegen ist. Darben muss deswegen niemand. Das Menü samt Dessert ist gesichert, verzichten muss man im schlimmsten Fall auf den Liqueur zum Kaffee.
Weder die Idee vom Risiko, das Aktionäre und Führungskräfte gemeinsam tragen, stimmt also wirklich noch jene, dass der Börsenwert ein taugliches Messinstrument für den Erfolg sei. In wirtschaftlichen Blütezeiten kassiert ein Manager auch dann, wenn sich der Börsenwert seines Unternehmens weniger aufschwingt als jener der Konkurrenz. Der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Alfred Rappaport empfiehlt deshalb, den Massstab für den Basispreis an den Branchenindex zu binden. So wird nur derjenige wirklich belohnt, der mehr als das Übliche leistet – sofern man die Verbindung zwischen persönlicher Leistung und Aktienkurs überhaupt akzeptieren will, was Bruno S. Frey bezweifelt: «Mir ist schleierhaft, in welchem Sinn das ein Leistungslohn sein soll.»
Ebenso wenig gewährleisten Stock-Options die Loyalität gegenüber Unternehmen. In London werden, wie Stan Novakovic von Ascher Consulting Partners erfahren hat, bereits gigantische Ablösesummen für Mitarbeiter bezahlt, die in Stock-Options-Plänen feststecken, weil die laufenden Optionen normalerweise bei einer Kündigung nicht ausbezahlt werden. Auch CS und UBS sollen im Hinblick auf die Übernahme der amerikanischen Geldhäuser Milliarden für derartige Transfers bereitgestellt haben.
Besonders anfällig für Stock-Options-Pläne sind die IT- und die Finanzbranche, die ihre Spitzenkräfte nur mehr dank diesem zweifelhaften Anreiz finden. «Je näher am Geld eine Branche ist, desto wichtiger und höher ist das Salär», hat Roger Rytz erfahren. Ein Freipass für Abzockerei dürfte auch das nicht sein. Stock-Options gehören wenn überhaupt, dann als fester jährlicher Bestandteil ins Lohnsystem und nicht als Zückerchen oder Zuckerstock obendrauf. Das würde erstens die völlig undurchsichtige Zuteilungspraxis erhellen, zweitens die Empfänger vielleicht auf mancherlei Tücken aufmerksam machen. Steuerlich werden Stock-Options nämlich als verbilligter Aktienbezug behandelt. Die Differenz zwischen dem Marktwert und dem Basispreis fällt unter die Einkommenssteuer. Sie ist auch mit den Sozialversicherungen abzurechnen und im Lohnausweis zu deklarieren. Sperrfristen bewirken lediglich eine Reduktion der Steuerlast. Ist die Option aber nicht bewertbar, weil die Laufzeit mehr als zehn Jahre, die Sperrfrist über fünf Jahre beträgt und die Volatilität nicht zu berechnen ist, wird die Differenz zwischen Ausübungspreis und Marktwert erst bei der Ausübung versteuert.
Wer kümmert sich schon um solchen Kleinkram, wenn das grosse Geld lockt, ohne dass dadurch jemand ersichtlich zu Schaden kommt? Jedenfalls nicht, solange die Aktionäre nicht merken, was da mit ihnen gespielt wird. Insofern sind die Leute des amerikanischen Wirtschaftsmagazins «Forbes» halt doch nicht so böse, wenn sie partout an die Vergütungspraxis der börsenkotierten Unternehmen herankommen wollen. Wahrscheinlich hätten sie ihre Freude an der kleinen Zürcher Firma Ergon Informatik. Die ist zwar nicht an der Börse, aber zumindest gegen innen ist sie ein Vorbild an Transparenz. Schon fast basisdemokratisch mutet es an, wenn die Mitarbeiter die Vorschläge der Geschäftsleitung diskutieren und nötigenfalls an den Verwaltungsrat zurückweisen können. Sie bestimmen auch mit, wie viel vom jährlichen Cashflow an die Aktionäre, wie viel an die Mitarbeiter geht. Optionen erhalten sie keine, dafür findet im Intranet ein interner Aktienmarkt statt. Vom ausgehandelten Lohn sind nur 80 Prozent garantiert. Der Rest wird fällig, wenn die gemeinsam vereinbarten Ziele erreicht sind. Dazu gibt es Boni für den Erfolg des Einzelnen, des Teams und des Unternehmens.
Selbstverständlich mag Teddy Graf, Mitglied der Geschäftsleitung, gutschweizerischer Tradition folgend, nicht über die Lohnhöhe reden. «Aber sie liegen nach meiner Meinung über dem Branchendurchschnitt.» Zudem, sagt er, sei Geld nicht alles. Was im Falle von Ergon zu stimmen scheint. Über 50 Informatikingenieure beschäftigt die Firma, aber noch nie musste sie eine Stellenanzeige aufgeben oder einen Personalvermittler beiziehen. Was sich herumspricht, sind eben nicht die Löhne – auch bei anderen Firmen verdienen IT-Spezialisten nicht schlecht –, sondern die projektbezogene Arbeit, die auf die Fähigkeiten des Einzelnen zugeschnitten ist, der grosse Freiraum und was der nicht monetären Incentives mehr sind. Geld gibt es überall. Wer nur um des Geldes willen anheuert, ist schon auf dem Absprung zum besser Zahlenden, bevor er angefangen hat. Bruno S. Frey findet es zum Beispiel absurd, dass Leistung, die für jeden Manager selbstverständlich und ganz normaler Teil seiner Arbeit ist, zunehmend mit Extrazahlungen abgegolten wird. Wer also eine Unternehmenskultur schafft, die allein auf Geld gründet, braucht sich über eine hohe Fluktuation nicht zu wundern. Übrigens: Bei Ergon – abgesehen von einer Hand voll, die sich in den letzten Jahren selbstständig machten – liegt die Fluktuationsrate bei null.

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