Startups-Banken wie Revolut finden in kürzester Zeit mit wenig Aufwand Tausende Kunden in der Schweiz, neue Firmen ziehen nach. Müssen sich traditionelle Universalbanken Sorgen machen?
Die Frage ist, wann wir an einen Punkt kommen, wo sich das plötzlich beschleunigt. In anderen Branchen konnten wir das gut beobachten: Etwa im Detailhandel, als Zalando eine neue Value-Proposition einführte. Die sagten: Du kommst nicht mehr zu uns in den Laden, wir übernehmen alle Transportkosten. So etwas haben wir im Banking noch nicht.

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Was könnte einen solchen Wandel auslösen?
Auch im Banking gibt es verschiedene Value Propositions: Kundenzentrierte Beratung, Best Deal und Convenience. Und dazu kommt die Asset Protection. Die neuen Anbieter kommen aus den ersten drei Ecken. Revolut ist Convenience, Beratung ist das Vermögenszentrum. Für sich alleine skalieren diese Modelle aber zu wenig stark. Wenn ich das aber mit Asset Protection verbinde, kann sich das plötzlich schnell entwickeln.

Wie gut sind die Banken vorbereitet?
Unterschiedlich gut. Es gibt grosse Institute, die schon sehr lange darüber nachgedacht und auch investiert haben und genau wissen, was sie wann tun werden. Und es gibt sehr grosse Institute, die sich noch wenig damit beschäftigt haben, und momentan eher ihre Kundenschnittstellen optimieren. Es gibt Banken, die den Strukturwandel noch immer komplett infrage stellen und sich nicht betroffen fühlen. Und es gibt solche – auch kleinere wie die Hypo Lenzburg – die davon völlig überzeugt sind und voll auf den Wandel setzen.Tatsächlich wird es immer gefährlicher, sich nicht damit aus einander zu setzen. Der Strukturwandel hat nichts damit zu tun, irgendeine App auf das iPad zu bringen; vielmehr geht es darum, die Transformation des Geschäftsmodells zuzulassen.

Eine hübsche App. Ist es das, was viele Banken noch unter Digitalisierung verstehen?
Für 30 Prozent der Banken ist Digitalisierung noch immer eine Frage des Vertriebskanals. Aber das greift zu kurz. Das Denkparadigma einer Neo-Bank ist, kundenzentriert eine Value Proposition aufzubauen, die sie beschleunigt und ihr Möglichkeiten gibt, mehr für den Kunden zu tun – im Bewusstsein, dass das, was ich am Anfang tue, in fünf Jahren nicht mehr mein Geschäftsmodell ist. Sie starten mit einer Idee, und bauen rund herum immer wieder etwas Neues auf.

Die Schweizer Banken machen oft genau das Gegenteil. Sie haben alles und bringen einen Teil davon ins Netz.
Diese Banken haben ein Immunsystem. Angenommen, Sie arbeiten bei einer Bank und wollen auf einem weissen Blatt Papier die Bank der Zukunft zeichnen, dann ist die Unterstützung in diesen Organisationen sehr eingeschränkt. Das System schützt das heutige Geschäftsmodell, damit dieses stabil läuft. Sie können an einem Zwölfzylinder nicht einfach irgendwo eine Schraube ändern. Das hat Nebenwirkungen. Aber gleichzeitig muss man irgendwo mal etwas anders machen, sonst kommt man nicht weiter.

«Unlängst haben wir aber – und das war auch für mich ein Augenöffner – innerhalb von zehn Monaten für einen tiefen zweistelligen Millionenbetrag in Südafrika eine neue Bank auf die Beine gestellt»

Olaf Toepfer, Leiter Bankberatung EY Schweiz

Warum hat hierzulande noch keiner versucht, auf der grünen Wiese ein kleines Coupé zu bauen anstelle des Zwölfzylinders?
Weil das in der Vergangenheit zu teuer war. Eine neue Bank kostete bisher Hunderte von Millionen. Unlängst haben wir aber – und das war auch für mich ein Augenöffner – innerhalb von zehn Monaten für einen tiefen zweistelligen Millionenbetrag in Südafrika eine neue Bank auf die Beine gestellt, die Discovery Bank. Die läuft, das können Sie sich anschauen. Auch wir mussten viel einkaufen, denn wir kommen ja nicht aus dem Banking. Aber das geistige Eigentum dieser Bank gehört EY.

Das heisst: Eine Bank zu bauen kostet heute gleich viel wie die Wartung eines Legacy-Systems einer grossen Bank?
Sie geben für die Wartung einer Bank deutlich mehr aus als das. Da brauchen Sie zweihundert Leute, um an einer Schraube zu drehen. Und das ist genau der Punkt. Die Kosten sind langsam so tief, dass das Risiko neuer Neo-Banken, und das Risiko, dass sich etablierte Banken eine Neo-Bank hinstellen, immer grösser wird.

Aber dann müssten die Grossbanken dieser Welt doch alle am Bauen sein.
Sie experimentieren zumindest. UBS hat im Vermögensverwaltungsbereich in England etwas lanciert, aber wieder eingestellt. Das war ein Experiment. Aber eine Grossbank könnte auf die Idee kommen: Traditionelles Retail wollen wir eigentlich eh nicht, also machen wir das einfach digital.

Muss eine Bank diesen Schritt nicht so oder so gehen? Verliere ich nicht das Segment, wenn ich da nicht nachziehe?
Das ist eine gute Frage. Die Gretchenfrage ist, ob man Retail-Banking in Zukunft noch aus diesen grossen Maschinen heraus betreiben kann. Die Banken haben ja gar kein Interesse an einem Retailkunden, der viermal pro Jahr in die Filiale kommt. Das heisst, man muss das digitale Modell anwenden und man muss es bis ins tiefere Segment der hochvermögenden Kunden anwenden. Hören Sie auf, Kunden mit fünf Millionen Franken einmal pro Woche anzurufen! Das wird zu teuer.

Eine Bank sollte das Revolut-System bis ins hohe Private-Banking-Segment anwenden?
Nicht das Revolut-System, das ist zu spezifisch. Aber den Ansatz, uneingeschränkt kundenzentriert zu handeln. Was braucht der Kunde wirklich? Was ist bloss Ballast? Das braucht einen Paradigmen-Wechsel, denn Retail war immer Produkt-orientiert. Affluent war Lösungs-Getrieben und das Geschäft mit den High-Net-Worth war kundenzentriert. Aber seien wir ehrlich: Auch da wurden immer nur Anlageprodukte verkauft. Eine wirklich ganzheitliche Beratung bekommen sie erst ab 50 Millionen Franken.

Viele Banken verkaufen sich über ihre Beratungsqualität. Aber ist das wirklich immer ein Geschäftsmodell?
Das ungelöste Dilemma ist die Bereitwilligkeit der Kunden, für Dienstleistungen zu bezahlen. Finanzierungsberatung? Schwierig. Anlageberatung? Schwierig. Das ist nicht gelöst. Ich muss mich fragen, ob das Geschäftsmodell Beratung noch existiert, wenn ich den Kunden nicht Pakete verkaufen kann, in denen ich das quersubventionieren kann.

Bedeutet der Wandel eine Abkehr von den Paketlösungen?
Aus Bankensicht: Nein. Die wollen das nicht. Aber die Frage ist, wer das am Ende bestimmt. Der Einfluss der Kunden nimmt auf jeden Fall zu.

Weil der Kunde heute sagen kann, das Kreditkartenkonto kriege ich woanders billiger und das Vorsorgekonto auch?
Das ist genauso. Das grosse Potenzial der Banken bleibt die Rigidität der Kunden. Keiner interessiert sich für Vorsorge, also kapiert er auch nicht, wie viel er bei seinem 3a-Konto draufzahlt.

Gehen die Generationen, die digital aufgewachsen sind, noch in Modelle, wo sie dafür bezahlen, analoge Dienstleistungen beziehen zu können?
Das hat nichts mit der Generation zu tun, sondern mit psychografischen Profilen. Da gibt es durchaus auch Kundenprofile, die bereit sind, viel dafür zu bezahlen, Entscheide zu delegieren. Aber wir sind im Banking noch nicht gut darin, solche Profile zu erkennen und unsere Geschäftsmodelle auf diese auszurichten.

Michael Heim Handelszeitung
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