Es ist ein alljährliches Ritual. Immer Anfang Jahr laden die Schweizer Unternehmen zur Bilanzmedienkonferenz. Die Chefs und Chefinnen präsentieren ihre Zahlen, blicken zurück und nach vorne und machen wie der ehemalige Roche-Konzernchef Severin Schwan gerne auch mal ihrem Ärger über regulatorischen Übereifer und politische Versäumnisse Luft.

Bei den meisten Unternehmen ist der Termin Chefsache, Monate im Voraus festgelegt und dick in der Agenda eingetragen. Nicht aber bei Novartis. Hier überlässt der Konzernchef das Terrain seinem Finanzchef. Vas Narasimhan selbst beschränkt sich darauf, «den Tag hindurch mit den Medien in Kontakt zu treten», wie die Medienstelle auf Anfrage schreibt. Etwas weniger vornehm formuliert: Der Konzernchef pflückt sich die Journalistinnen und Journalisten raus, mit denen er sprechen will. 

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An der Bilanzmedienkonferenz muss der Chef ran

Eine solche Top-down-Kommunikationspolitik ist befremdlich. Wenn es der Konzernchef des drittgrössten Unternehmens der Schweiz nicht schafft, einmal im Jahr allen Journalisten und Journalistinnen für Fragen zur Verfügung zu stehen, die sich regelmässig mit dem Unternehmen befassen, dann ist das ein Problem. Und unklug.

Unternehmen wie Novartis verlassen sich zu Recht darauf, dass die Gesellschaft dafür sorgt, dass sie weitgehend ungestört forschen und operieren können; dass die Infrastruktur funktioniert, dass sie die Arbeitskräfte rekrutieren können, die sie brauchen, und dass das Steuerklima stimmt. Doch das Verhältnis zwischen der Gesellschaft und der Wirtschaft ist keine Einbahnstrasse. Auch die Chefs und Chefinnen stehen in der Pflicht; vor allem, wenn sie, wie Vas Narasimhan, Verantwortung in einem Unternehmen tragen, an dem ein substantieller Teil der Schweizer Wirtschaftsleistung hängt. Absentismus bei der Bilanzmedienkonferenz liegt bei einem Unternehmen wie Novartis ganz einfach nicht drin. 

Es geht nicht ums Ego einiger Journalisten

Damit wir uns richtig verstehen: Es geht hier nicht um das Ego einiger Journalisten und Journalistinnen. Es geht darum, dafür Sorge zu tragen, dass das ohnehin schon fragile Verhältnis zwischen der Gesellschaft und der Wirtschaft nicht noch mehr Schaden nimmt. Wenn das gesellschaftliche Klima so ist, dass eine abstruse und schädliche Konzernverantwortungsinitiative nur haarscharf an einem Ja vorbeischrammt, wenn unternehmerischer und finanzieller Erfolg wie jüngst beim Sportschuhhersteller On per se als Übervorteilung und damit als suspekt dargestellt wird, dann reicht es nicht, das Feld den wenigen wirtschaftsfreundlichen Politikern und Politikerinnen zu überlassen. Dann müssen sich die Chefs und Chefinnen schon selbst ins Zeug legen und der Öffentlichkeit klarmachen, dass wirtschaftliches Gedeihen kein Selbstläufer ist, sondern jeden Tag hart erarbeitet werden muss. 

Dass das möglich ist, beweisen die Konzernchefs von Roche und Nestlé, die sich regelmässig allen interessierten Journalisten und Journalistinnen für Fragen zur Verfügung stellen, intensiv, authentisch. Zudem war es Vas Narasimhan selbst, der vor sechs Jahren an seiner ersten, damals noch physisch durchgeführten Bilanzmedienkonferenz den Massstab für sich und sein Unternehmen setzte. Er wolle Novartis zum «verlässlichsten Partner» für die Gesellschaft machen und sein Bestes tun, um das Vertrauen der Gesellschaft in die Pharmaindustrie wiederherzustellen.

So gesehen ist die aktuelle Kommunikationspolitik von Novartis auch eine Absage an die eigenen Ambitionen.