Die Nato steckt in einem bizarren Dilemma: Einerseits verleiht die Eiszeit mit Russland dem Militärbündnis eine so grosse Bedeutung wie nie seit dem Ende des Kalten Krieges. Andererseits kämpft die Allianz ausgerechnet jetzt mit deutlichen Verschleisserscheinungen. Die scharfe Kritik des neuen US-Präsidenten Donald Trump zehrt an dem Bündnis. Seine Forderung nach einer stärkeren Rolle der Allianz im Kampf gegen die Extremistenmiliz IS - womöglich Seite an Seite mit Russland - könnte die Nato vor eine Zerreissprobe stellen.

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Der wichtige Bündnispartner Türkei driftet unterdessen politisch und militärisch immer weiter von der Allianz weg: Es gibt Ärger bei der Nutzung des Stützpunkts Incirlik, beim gemeinsamen Einsatz in der Ägäis. In Syrien bekämpft das türkische Militär zudem die Kurden-Miliz YPG und damit genau die Rebelleneinheit, die dort der schlagkräftigste Verbündete des Westens gegen den IS ist.

Drastische Worte

Trump zeigte bereits vor seinem Amtsantritt klare Kante. «Die Nato hat Probleme. Sie ist obsolet, weil sie erstens vor vielen, vielen Jahren entworfen wurde. Zweitens zahlen die Länder nicht, was sie zahlen müssten», sagte er der «Bild»-Zeitung. Die Ansage kam zu einem Zeitpunkt, als sich die meisten Länder ohnehin schon darauf eingestellt hatten, für ihre Verteidigung tiefer in die Tasche greifen zu müssen. Die US-Forderung nach einer gerechteren Lastenverteilung ist nicht neu, wenngleich Trumps Vorgänger weniger drastische Worte wählten.

Zudem schreckte Russlands Vorgehen in der Ukraine-Krise gerade die osteuropäischen Staaten und nicht zuletzt Deutschland auf. So steigerte die Bundesregierung die Rüstungsausgaben bereits 2016 um über zehn Prozent. Auch militärisch übernimmt Deutschland eine stärkere Rolle: Die Bundeswehr führt eines der vier Nato-Kampfbataillone, die Russland wie ein Stolperdraht von einem Angriff auf Polen und die baltischen Staaten abhalten sollen. Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen besuchte die deutschen Soldaten am Dienstag in Litauen.

Finanzielle Forderungen der USA eingepreist

Während die finanziellen Forderungen der USA bereits weitgehend eingepreist sind, könnte eine Nato-Mission gegen den IS für grösseren Ärger innerhalb der Allianz sorgen. Die transatlantische Verteidigungsgemeinschaft sei auch deshalb «obsolet, weil sie sich nicht um den Terrorismus gekümmert hat», wetterte Trump im «Bild»-Interview.

Schon in der Vergangenheit hatten die USA auf eine stärkere Rolle des Bündnisses im Nahen Osten gedrungen. Kritiker dagegen warnten davor, ausgerechnet die von den USA geführte und westlich dominierte Militärallianz in Syrien oder dem Irak einzusetzen und damit womöglich die Muslime in der Region zu provozieren. Als Konsequenz wurde 2014 am Rande des Nato-Gipfels in Wales eine breite Anti-IS-Koalition aus mehr als 60 Ländern gebildet, die auch etliche muslimische Staaten wie Jordanien, Saudi-Arabien, Katar, Bahrain und die Vereinigten Arabischen Emirate umfasst.

Einsatz nur als Deckmantel nutzen

Eine direkte Nato-Mission gegen den IS dürfte seit der militärischen Intervention Russlands und der Türkei in Syrien sogar noch umstrittener sein als in der Vergangenheit. Kritiker fürchten, die Türkei könne einen solchen Einsatz als Deckmantel nutzen, um noch schärfer gegen die Kurden in der Region vorzugehen. Schwer vorstellbar auch, wie die Nato sich auf die Miliz abstützen könnte, während sie von der Türkei beschossen wird. Schon jetzt verfolgt die Regierung in Ankara jede Stärkung der YPG voll Argwohn. Der türkische Verteidigungsminister Fikri Isik forderte Trump noch vor dessen Amtsantritt auf, mit der Miliz zu brechen. Die Türkei betrachtet die YPG, die die syrischen Kurdengebiete entlang der türkischen Grenze militärisch hält, als Ableger der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei PKK.

Die Nato wiederum dürfte trotz aller Probleme mit der Regierung in Ankara wenig Interesse daran haben, es sich mit dieser zu verderben: Das Land am Bosporus bildet als einziges muslimisches Mitglied der Allianz eine Brücke zum Islam, seine Lage macht es zum idealen Sprungbrett für Militäreinsätze wie derzeit in Syrien und dem Irak.

Kooperation mit Russland könnte Belastungsprobe werden

Auch eine Zusammenarbeit mit Russland im Anti-Terror-Kampf, wie Trump sie anstrebt und die auch Syriens Präsident Baschar al-Assad zuletzt als erstrebenswert bezeichnete, könnte zu einer Belastungsprobe für die Nato werden: Russland unterstützt die syrische Regierung militärisch und wandte durch seine Intervention in dem Krieg nach Einschätzung von Beobachtern Assads Niederlage ab. Der Westen und Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg warfen der Regierung in Moskau immer wieder vor, sie greife in Syrien vor allem Regierungsgegner an, um Assad zu stabilisieren, und viel seltener Stellungen der Extremistenmiliz IS.

Russland bestreitet dies. Dennoch vermieden die USA unter Trumps Vorgänger Barack Obama sehr sorgfältig eine engere militärische Abstimmung mit dem russischen Militär, soweit sie nicht der Vermeidung von Flugunfällen zwischen den Kampfjets beider Staaten über Syrien dient. Ein gemeinsamer Militäreinsatz gegen den IS würde eine völlige Kehrtwende der USA in der Syrien- ebenso wie der Russland-Politik bedeuten und vermutlich auf Bedenken anderer Nato-Partner stossen. Dies dürfte spätestens beim Nato-Gipfel im Mai für heftige Diskussionen sorgen. Trump jedenfalls will sich der Debatte mit den irritierten Bündnispartnern stellen: Er sagte seine Teilnahme an dem Treffen inzwischen zu.

(reuters/ccr)