Vergangenes Jahr flossen Gelder im Umfang von 6 Millionen Franken von der Pharmaindustrie an Schweizer Ärzte und Ärztinnen. Das ist ein Rückgang auf fast die Hälfte gegenüber dem Vorjahr, als sich die Zuwendungen für Kongressgebühren, Beratungshonorare und Spesen noch auf 11,3  Millionen Franken beliefen. Und es ist der tiefste Wert seit dem Start der Transparenzinitiative der Branche im Jahr 2015. Grund für den Rückgang dürfte sein, dass im Corona-Jahr 2020 viele Ärztekongresse gar nicht oder nur virtuell durchgeführt wurden.

Das zeigt die jährliche Auswertung von 60 Pharmaunternehmen in der Schweiz durch das «Ringier Axel Springer Research Network». An der Datenauswertung beteiligten sich der «Beobachter», die «Handelszeitung» und der «Blick».

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Welcher Arzt oder welche Ärztin wie viel Geld von welchem Pharmaunternehmen erhalten hat, wird auf www.pharmagelder.ch detailliert offengelegt. Die Top Ten hat die «Handelszeitung» hier zusammengestellt. Und hier können Sie ganz einfach nach Ihrem Arzt suchen

Novartis, Roche, Pfizer

Direkte Zahlungen an Ärztinnen und Ärzte machen nur einen kleinen Teil der Pharmagelder aus. Daneben fliesst auch Geld an Gesundheitsorganisationen oder in Partnerschaften für Forschung und Entwicklung (F&E).

Insgesamt beliefen sich die Zahlungen im Jahr 2020 auf rund 182 Millionen Franken. Das ist nur leicht weniger als im Vorjahr (187,1 Millionen Franken). Am meisten Geld überwiesen die drei Grosskonzerne Novartis (29,3 Millionen Franken), Roche (26,6 Millionen Franken) und Pfizer (19,3 Millionen Franken), wie die Grafik weiter unten zeigt. Die höheren Forschungsausgaben haben dazu geführt, dass die Beträge bei den beiden Spitzenreitern zunahmen, anders als bei vielen anderen Unternehmen.

Auch die Gesundheitsorganisationen erhielten etwas weniger finanzielle Zuwendungen, nämlich 93,4 Millionen Franken (13,0 Millionen Franken weniger als im Vorjahr). Am meisten Geld floss an Spitäler und ärztliche Fachgesellschaften. Auch hier dürfte der Rückgang damit zusammenhängen, dass viele Veranstaltungen wegen der Pandemie nicht oder nur virtuell durchgeführt wurden.

Stark angestiegen sind dafür die Zuwendungen für Forschung und Entwicklung (F&E). Sie beliefen sich 2020 auf 82,7 Millionen Franken. Im Vorjahr waren es noch 68,9 Millionen Franken gewesen. An der Spitze der Geldgeber stehen die beiden Schweizer Pharmakonzerne Roche und Novartis.

Allein Roche bezahlte 20,6 Millionen für F&E-Kooperationen – nach gut 11 Millionen Franken im Vorjahr. Bei Novartis stiegen die Zuwendungen von 6,75 im Jahr 2019 auf 17,35 Millionen Franken im Jahr 2020. . 

Die Schwankungen bei F&E gebe es deshalb, weil die Zahl durchgeführter klinischer Studien oder finanziell unterstützter Forschungsprojekte und -kollaborationen von Jahr zu Jahr wechsle, schreibt Novartis. Weitere Informationen würden nicht veröffentlicht. Bei klinischen Studien geht es darum, neue Wirkstoffe an Patienten und Patientinnen zu testen.

Roche schreibt, Haupttreiber der F&E-Ausgaben von 2020 seien neue Projekte von Stiftungen und Institutionen, die europaweite Studien verwalteten und zusätzliche Forschungsprojekte in den Bereichen Krebs, Tumor-Profiling, Zellforschung und Neurowissenschaften. Ein Beispiel dafür sei die Kooperation mit dem Research Center for Clinical Neuroimmunology and Neuroscience Basel. 

Blackbox-Forschung – wie lange noch?

An wen diese Forschungsgelder fliessen, ist nicht bekannt. Die Ausgaben für F&E werden von den Unternehmen nur pauschal angegeben. Die Industrie lehnt es mit Verweis auf das Forschungsgeheimnis ab, die Ausgaben aufzuschlüsseln. Doch der Druck, auch in diesem Punkt transparenter zu werden, nimmt zu.

«Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung sind in den vergangenen Jahren gestiegen», sagt Jürg Granwehr. Er ist Bereichsleiter Pharma und Recht bei Scienceindustries, dem Verband der chemischen und pharmazeutischen Industrie, und Sekretär des Pharma-Kodexes, der 2015 lanciert wurde und die Basis für die Offenlegungen bildet. Er könne deshalb nachvollziehen, dass die «gewisse Intransparenz bei dieser Position» teilweise kritisch gesehen werde.

Roche und Novartis zeigten sich schon im vergangenen Jahr offen für mehr Transparenz bei den Forschungsaufwenden.

Als Blaupause könnten die USA dienen: Die amerikanische Regelung, der sogenannte Sunshine Act, sieht vor, dass Forschungsaufwendungen mit einer Verzögerung von einigen Jahren so offengelegt werden, dass sie individuellen Personen oder Einrichtungen zugeordnet werden können.

Scienceindustries befürworte mehr Transparenz bei F&E, sagt Granwehr; wobei den Besonderheiten im Forschungsbereich Rechnung getragen werden müsse. Entsprechende Bestrebungen auf europäischer Ebene unterstütze man deshalb seit längerer Zeit.

Doch auch bei der Transparenz der Zuwendungen an die Ärztinnen, Ärzte und Gesundheitsorganisationen gibt es noch Luft nach oben. Bei den Ärzten und Ärztinnen lag die Offenlegungsquote 2020 bei 87,8 Prozent. Das entspricht einer Steigerung von 3,3 Prozentpunkten gegenüber dem Vorjahr. Der Medianwert lag bei 93 Prozent – das heisst, mehr als die Hälfte der Unternehmen hatte eine Offenlegungsquote von 93 Prozent oder mehr. Der im Vergleich etwas höhere Medianwert zeige, dass es ein paar Ausreisser nach unten geben, so Granwehr.

Auch hier ist der Druck in den vergangenen Jahren gewachsen. Führende Unternehmen wie Roche und Novartis schliessen keine Verträge mit Ärztinnen und Ärzten mehr ab, die nicht einwilligen, dass die Zahlungen offengelegt werden. «Unser Ziel ist es, die individuelle Offenlegungsquote weiter zu steigern, wobei wir einen Durchschnitt von mindestens 95 Prozent anvisieren», sagt Granwehr. 

Schwarze Schafe werden angeprangert

Die Namen von Unternehmen, die Einwilligungsraten von weniger als 80 Prozent haben, werden von Scienceindustries publiziert. Dazu zählten 2020 unter anderem der deutsche Pharmakonzern Boehringer Ingelheim, die französische Sanofi-Aventis und Janssen-Cilag, die Pharmaeinheit von Johnson & Johnson. Bei den Gesundheitsorganisationen liegt die Einwilligungsrate inzwischen bei 94,9 Prozent, der Median bei 100 Prozent. 

Seit die Pharmaindustrie ihre geldwerten Leistungen an Gesundheitspersonal, Organisationen und Institutionen des Gesundheitssektors offenlegt (2015), sind in der Schweiz 1,009 Milliarden Franken an Ärzte, Ärztinnen, Spitäler, Fachgesellschaften und Patientengruppen geflossen. Allein bei Spitzenreiter Novartis summieren sich die Aufwendungen auf 140,8 Millionen Franken.

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Quelle: RASCH
Pharmagelder: Wer bezahlt wen und wofür?

Recherche Sehen Sie selbst, welche Leistungen die Pharmaindustrie Ärzten, Spitälern und anderen Institutionen der Gesundheitsbranche zukommen liess: Auf www.pharmagelder.ch machen die Schweizer Medien des Ringier Axel Springer Research Network die Daten zugänglich und durchsuchbar. Die Daten zu Tausenden Einzelzahlungen stammen von 60 Pharmafirmen, die sie gemäss Pharma-Kooperations-Kodex des Verbands Scienceindustries offengelegt haben.

Netzwerk «Pharmagelder Schweiz» ist ein Projekt des Ringier Axel Springer Research Network. Im Netzwerk arbeiten Journalisten  verschiedener Medien bei transnationalen, datengetriebenen oder investigativen Projekten zusammen. Teil davon sind: «Beobachter», «Blick»- Gruppe und «Handelszeitung» (Schweiz), «Welt» und «Bild» (Deutschland), «Pulse» (Nigeria), «Politico» (Belgien), «Onet» (Polen), «Business Insider» (Vereinigtes Königreich), «Aktuality. sk» (Slowakei), «Libertatea» (Rumänien), «Blic» (Serbien), «Blikk» (Ungarn).

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Redaktor Otto Hostettler
Otto Hostettlerist beim Beobachter als Redaktor/Reporter tätig. Seine Schwerpunkte sind investigative Recherchen im Bereich Pharma, Energie, Konsum, Cybercrime und Lobbyismus.Mehr erfahren