Die Technik für die Steuerung und Kontrolle des Eisenbahnverkehrs erfährt derzeit einen wichtigen Entwicklungsschub. Das Stichwort heisst GSM-R (R wie Rail) und bezeichnet ein drahtloses Sprach- und Datenkommunikationssystem, das eng mit dem verbreiteten Mobiltelefoniestandard GSM verwandt ist. GSM-R ist unter anderem Bestandteil der unter dem Kürzel ETCS bekannten signallosen Zugsicherung (Führerstandssignalisierung) und bewährt sich bei den schwedischen Eisenbahnen seit vier Jahren bestens. In Grossbritannien, den Niederlanden und Deutschland wird es derzeit eingeführt, Italien und Frankreich betreiben Versuchsanlagen, und auch alle anderen europäischen Staaten mit Ausnahme von Griechenland, Albanien, Luxemburg und Irland haben sich für GSM-R als künftigen internationalen Standard für die mobile Telekommunikation bei den Bahnen entschieden. In diesem Sinne wollen auch die SBB noch dieses Jahr den industriellen Partner für die Lieferung und Realisierung bestimmen. Das Geschäft ist Bestandteil der mit dem Bund abgeschlossenen Leistungsvereinbarung; die erforderlichen Mittel sind vorhanden.

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Ersatzteile nicht mehr erhältlich

GSM-R ist zwar eine unabdingbare Voraussetzung für die Führerstandssignalisierung, aber darüber hinaus als standardisierte und universelle Kommunikationsplattform auch sonst für die Zukunft des Eisenbahnverkehrs von entscheidender Bedeutung. Die heute von den Bahnen eingesetzten Funksysteme funktionieren ausnahmslos mit analoger Technik und stehen kurz vor dem Ende ihrer Lebensdauer. Ersatzteile sind teilweise bereits nicht mehr erhältlich, und die Nutzung der entsprechenden Frequenzen ist nur noch bis 2010 gesichert. Die Schweizer Bahnen stehen also unter dem gleichen Zwang wie vor einiger Zeit die Swisscom, als diese das analoge Natel-C-Netz einstellen und vollständig zum digitalen GSM-Standard wechseln musste. Wie im privaten Bereich eröffnet der Technologiesprung jedoch auch für die Bahnen neue qualitative Horizonte. Davon werden sowohl das Betriebspersonal wie auch die Fahrgäste profitieren.

Die wichtigsten Vorteile von GSM-R bestehen darin, dass das System alle bisherigen drahtlosen Kommunikationssysteme der Bahnen ersetzen, breitere Einsatzmöglichkeiten bieten und auf einem europäisch einheitlichen Standard basieren wird. Lokführer, Zugführer, Equipen des Baudienstes, Einsatzleitstellen, Kundendienst-Mitarbeiter, Sicherheits- und Rangierpersonal kurz: Sämtliche Bahnangestellten werden basistechnisch identische Geräte verwenden und somit direkt miteinander kommunizieren können.

Da sich GSM-R für die Grunddienste im Wesentlichen nur durch die benützten Frequenzen vom öffentlichen GSM-Mobiltelefonnetz unterscheidet, ist mit entsprechenden Mehrfrequenzgeräten der Zugang zu beiden Netzen möglich. In der Praxis bedeutet dies zum Beispiel, dass ein mit einer Krisensituation (zum Beispiel einer Schlägerei) konfrontierter Zugführer mit seinem Handy nicht nur den Lokführer zu einem unplanmässigen Halt an der nächsten Station auffordern, sondern (alternativ über das öffentliche Netz) gleich auch noch die Polizei avisieren kann. Heute muss er dazu von einem der in die Wagen eingebauten Diensttelefone aus den Lokführer und gegebenenfalls separat mit seinem handelsüblichen Mobiltelefon die Polizei anrufen.

Offensichtlich vorteilhaft für die Sicherheit ist auch die Tatsache, dass mit GSM-R erstmals das Fahrpersonal und die Mitarbeiter des Baudienstes ohne Einschränkungen direkt miteinander kommunizieren können. Ähnliches gilt für alle anderen Mitarbeiter der Bahn. Dank Prioritätsschaltungen für Notrufe, wie sie auch bei den Funksystemen der Sicherheitsdienste vorhanden sind, ist in dringenden Fällen die sofortige Verbindungsaufnahme mit dem Gesprächspartner sichergestellt, auch wenn dieser gerade mit einem anderen Partner telefoniert.

Gezielte Durchsagen per Lautsprecher

Fahrgäste werden es schätzen, dass nunmehr die Möglichkeit besteht, von der Leitstelle aus über GSM-R landesweit die Wagen einzelner Züge gezielt mit Lautsprecherdurchsagen zu versorgen, etwa mit «massgeschneiderten» Umsteige-Instruktionen bei Betriebsstörungen. Bisher besteht diese Möglichkeit auf einer anderen technischen Basis nur in den S-Bahn-Zügen der Region Zürich. Da sich über GSM-R wie beim öffentlichen GSM-Netz auch Daten übertragen lassen, könnten zum Beispiel die Lokführer bei Unregelmässigkeiten situativ und ohne Zeitverzug ihre geänderten Dienstanweisungen erhalten. Heute laden sie diesen «Tagesbefehl» bei Schichtbeginn auf ihren Taschencomputer, wo er dann auch bis Schichtende unverändert gespeichert bleibt.

GSM-R ist also weit mehr als ein Teil der Führerstandssignalisierung, nämlich die künftige Grundlage der drahtlosen Kommunikation bei den Bahnen insgesamt für optimierte Betriebsabläufe und einen besseren Service am Bahnkunden.

Carl Wich ist Senior Executive Vice President der Siemens Schweiz AG, Zürich.