Nach der Matur kam es im Leben von Stephan Schmidheiny zu einem ersten bedrohlichen Absturz. Er sei damals «ins Leere gefallen», hat der Abkömmling einer der mächtigsten Industriedynastien der Schweiz die heikle Übergangsphase einmal selbst umschrieben. Im Zuge seiner Identitätskrise stemmte sich der knapp zwanzigjährige Erbe auch zum ersten Mal gegen den Willen seines Vaters. Max Schmidheiny hatte die Ansicht vertreten, nur ein ETH-Ingenieur – wie er selbst einer war – besitze das Rüstzeug zum erfolgreichen Unternehmer. Stephan entschloss sich seinerzeit für ein Jurastudium.

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Bereits an der Kantonsschule in Trogen, Kanton Appenzell Ausserrhoden, wohin Max und Adda Schmidheiny ihre Kinder zur Ausbildung schickten, hatte sich unter den vier Geschwistern – Marietta, Thomas, Stephan und Alexander – eine scheinbar naturgegebene Rangordnung herauskristallisiert. «Es stellte sich bald heraus, dass Stephan der Aufgeweckteste von ihnen war», erinnert sich Hans Heierli, ehemaliger Naturkundelehrer. «Er war immer korrekt und uns Lehrern gegenüber sehr anständig.» Hingegen galt Alexander, der jüngste Schmidheiny-Spross, im Kollegium als schwarzes Schaf. «Man wusste bei ihm nie so recht, was er ausserhalb des Klassenzimmers unternimmt», sagt Heierli. Drogenkonsum sei an der Schule schon zu jener Zeit ein Problem gewesen.

Mitte der Achtzigerjahre kam es am Familientisch zur Stunde der Wahrheit, als sich Max Schmidheiny im Alter von 76 Jahren entschloss, seine umfangreichen Besitztümer an seine Nachkommen weiterzugeben. Der Erbteilung vorausgegangen war eine mehrjährige Phase, während deren «Sir Max» Beteiligungen von seinem Bruder, Swissair-Pionier Ernst Schmidheiny, zurückgekauft hatte. Der Onkel hatte aus erster Ehe zwei Töchter, von denen eine in das Zürcher Bierbrauergeschlecht der Hürlimanns eingeheiratet hatte und die andere in die USA emigriert war. Unternehmerische Ambitionen hatten beide Cousinen nicht zu erkennen gegeben. Und was Marietta, die einzige Tochter von «Sir Max», betraf, so wurde diese 1984 mit flüssigen Mitteln und einem ansehnlichen Immobilienportefeuille abgefunden.

Die unternehmerischen Säulen des Familienimperiums teilte der Vater seinen drei männlichen Nachkommen zu: Während der Zementbereich an den 1945 geborenen Thomas ging, musste Stephan (Jahrgang 1947) mit einem Sammelsurium von Beteiligungen vorlieb nehmen, zu denen neben den internationalen Eternit-Aktivitäten auch diverse Beteiligungen im Finanz-, im Verpackungs- und im Detailhandelsbereich gehörten. Der jüngste Sohn schliesslich sollte die Technologiesparte als Mitgift erhalten – inklusive des liebsten väterlichen Steckenpferds, der Optikfirma Wild in Heerbrugg. Anfänglich versuchte Alexander (1951–1992) denn auch tapfer, den hohen Erwartungen gerecht zu werden, gab dann aber doch seinen individuellen Neigungen nach und stürzte sich je länger, desto verzweifelter in die Kunstszene
Zu behaupten, die Aufteilung des Familiensilbers sei zu gleichen Teilen erfolgt, wäre gelogen. Dass Kapitalbesitz und unternehmerische Verantwortung auch in der Folgegeneration zusammenbleiben würden, lag dem weit blickenden Vater näher als jede Form von Erbsenzählerei. «Ein Familienimperium lässt sich nicht mit der Goldwaage austarieren», bemerkt denn auch Thomas Schmidheiny (Kürzel: THS) mit Blick auf die von seinem Vater getroffene Lösung. «Sonst entstehen Verhältnisse, die zu gegenseitiger Abhängigkeit führen.»

Vor dem Hintergrund der seit den Sechzigerjahren schwelenden Asbestproblematik trat Stephan Schmidheiny (Kürzel: STS) zweifellos das schwierigste Erbe an. Als Delegierter der Eternit-Gruppe hatte er die Weichen zwar schon in Richtung Substitution gestellt. Punkto Asbestersatz kam es 1978 zum technologischen Durchbruch: Ein Cocktail aus textilen Kunstfasern und einer Mischung aus 50 Prozent aufgelöster NZZ und 50 Prozent aufgeweichtem «Blick» erbrachte erstmals die erwünschten Eigenschaften – im Labor war die Asbestalternative geboren. Zwei Jahre später brachte STS die ersten asbestfreien Blumenkistchen auf den Markt; es folgten Fassadenplatten und Dachschiefer sowie weitere Varietäten aus dem Hochbaubereich.

Die Erforschung alternativer Fasertechnologien wurde in Niederurnen, dem Stammsitz der Eternit-Gruppe, nicht nur mit Blick auf einen besseren Arbeitnehmerschutz vorangetrieben. Als einer der ersten Grossindustriellen seiner Generation hatte STS erkannt, dass im Wirtschaftsleben zuweilen Kategorien zu berücksichtigen sind, die jenseits von Angebot und Nachfrage liegen. Verschiedentlich gab der jugendliche Multimillionär im kleinen Kreis seiner Genugtuung darüber Ausdruck, dass es ihm gelungen sei, sich weitgehend verlustfrei aus seinen Beteiligungen an Asbestminen und weiterverarbeitenden Produktionsbetrieben zu lösen – eine vorschnelle Einschätzung, wie es heute den Anschein macht.

Ein wichtiger Anstoss für Schmidheinys Ausstiegsentscheid scheint von einem hochrangigen Funktionär des deutschen Umweltbundesamtes gekommen zu sein. Auf einer gemeinsamen Bahnfahrt, erzählen Eingeweihte, habe ihm jener die Langfristrisiken von Asbestprodukten und die geplanten Gegenmassnahmen der deutschen Behörden auf diesem Gebiet zu Bewusstsein gebracht. Nach besagter Zugreise soll STS den Beschluss gefasst haben, sich definitiv von all seinen Asbestaktivitäten zu trennen.

Auf Grund des zunehmend umsichtigen Unternehmertums, um das sich der Erbe im Verlauf der Achtzigerjahre bemühte, wurde er von der Uno-Konferenz für Umwelt und Entwicklung zum Botschafter für Ökologiefragen in der Wirtschaft ernannt. Mit Blick auf die bevorstehende Klimakonferenz von Rio de Janeiro 1992 gründete er einen «Unternehmerrat für nachhaltige Entwicklung» (Business Council for Sustainable Development), debattierte ausgiebig über die Notwendigkeit einer Versöhnung zwischen Ökonomie und Ökologie und fand im Begriff der Nachhaltigkeit (Sustainability) einen rhetorisch gewinnenden Ansatz. Seither geniesst STS vor allem im Ausland das Image eines Vorzeigeunternehmers.

Trotz der Vorreiterrolle in ökologischen Fragen, die STS seit der Rio-Konferenz für sich in Anspruch nimmt, sind einige seiner Kernaussagen seltsam diffus und kaum fassbar geblieben. Längst ist die Allerweltsformel der «nachhaltigen Entwicklung» zu einer Worthülse ohne eigentliche Konsequenzen verkommen. Einer der Hauptgründe hierfür liegt wohl in der inhaltlichen Unschärfe des Begriffs, der sich – je nach Bedarf und aktuellem Anlass – wahlweise mit dauerhaft, sozial kompatibel, umweltgerecht, ökologisch verträglich oder zukunftsfähig gleichsetzen lässt. Kurz: Der Slogan ist so dehnbar und letztlich nichts sagend, dass er sowohl von radikalen Umweltverbänden als Handlungsmaxime akzeptiert wird als auch problemlos ins Hochglanz-Leitbild jedes Chemiekonzerns passt.

Selbst Thomas Schmidheiny, der die intellektuellen Klimmzüge seines jüngeren Bruders früher mit einer Mischung aus Amüsement und Skepsis zur Kenntnis nahm, surft mit seinem Zementkonglomerat inzwischen auf der Nachhaltigkeitswelle. Ende letzten Jahres hat auch der Holcim-Konzern in seiner über neunzigjährigen Geschichte zum ersten Mal einen «Corporate Sustainable Development Report» veröffentlicht: «Dank markanten Verbesserungen aller Ökoeffizienz-Parameter» sei es in den letzten zehn Jahren gelungen, den Kohlendioxydausstoss pro Tonne Zement «substanziell zu senken», heisst es darin. Tatsache ist, dass der CO2-Ausstoss pro Tonne seit 1990 – bei deutlicher Steigerung des Gesamtvolumens – gerade einmal um relativ bescheidene acht Prozent verringert werden konnte. Nach wie vor gehört die Zementbranche zu den weltweit grössten
Schadstoffemittenten.

Dass die globale Nummer zwei, in deren Öfen unter anderem grosse Mengen Raffinerierückstände, Autoreifen, Plastikgranulat, Lösungsmittel, Klärschlamm und Aushub aus Sondermülldeponien verbrannt werden, detailliertere Rechenschaft über ihre Aktivitäten ablegt, scheint dringend geboten. «Erstmalig für die Zementindustrie hat Holcim konzernweit ein Programm zur Überwachung und Offenlegung der Emissionen entwickelt», gibt sich der um sein Image besorgte Konzern neuerdings konziliant. Und verspricht: «Bis Ende 2003 wird dieser Standard weltweit in allen Werken, welche Klinker produzieren, zur Anwendung kommen.»

Gemessen an den bisherigen Erfahrungen, erscheint es zweifelhaft, ob die angekündigte Selbstregulierung tatsächlich greift. Glaubt man den Klagen amerikanischer Umweltaktivisten, dann gehört die Schmidheiny-Firma in den USA zu den hartnäckigsten Luftverschmutzern. Verschiedentlich wurde der Schweizer Baustoffriese, der allein in den Vereinigten Staaten fünfzehn grosse Zementwerke betreibt, wegen Nichteinhaltens gesetzlicher Emissionsgrenzwerte gebüsst – offenbar ohne nennenswerten Erfolg. In Texas wirft man den Schweizern gar Obstruktion und gezielte Verschleierung von Tatsachen vor (siehe «Beschränkt lernfähig» auf Seite 74). Als der US-Kongress ein Gesetz verabschiedete, das die Umweltbelastung in Gegenden mit hoher Bevölkerungsdichte zu vermindern versuchte, reagierten die helvetischen Ofenbetreiber sofort: «Holnam ging in den tiefen Süden und begann ihren Sondermüll in den schwarzen Kommunen von Alabama, Mississippi und South Carolina zu verbrennen», erklärt Marti Sinclair von der amerikanischen Nichtregierungsorganisation Sierra Club.

Obschon sich Thomas Schmidheiny früher bei jeder Gelegenheit als Verfechter von freien, deregulierten Märkten in Szene gesetzt hat, taugt sein «track record» in Wettbewerbsfragen ebenso wenig zum Vorbild. Erst kürzlich wurde die in Hamburg ansässige Holcim-Tochter Alsen wegen illegaler Preis- und Mengenabsprachen vom zuständigen Kartellamt zu einer Busse von 74 Millionen Euro verknurrt. Während Jahren sollen die am Komplott beteiligten deutschen Zementhersteller die Baustoffpreise in den betroffenen Regionen künstlich in die Höhe gestemmt haben. Holcim hat gegen das Urteil inwischen Rekurs eingelegt. Auch in Italien läuft gegenwärtig eine Untersuchung wegen des Verdachts auf gesetzwidrige Absprachen in der Betonindustrie, in die zwei Holcim-Töchter aus dem Grossraum Mailand involviert sind.

Was konspiratives Parallelverhalten mit der Konkurrenz angeht, blickt die Zementbranche als Ganzes auf eine wenig rühmliche Tradition zurück. In dieses Fahrwasser gleichsam hineingeboren, sieht sich heute auch THS dem Ruch eines Wiederholungstäters ausgesetzt. Bereits Mitte der Neunzigerjahre wurde das von ihm beherrschte Konglomerat von der EU-Kommission wegen gesetzwidriger Kungeleien mit einer Strafzahlung von 25 Millionen Franken belegt.

Über die Geschäftsmethoden von Stephan dringt in den letzten Jahren noch weniger ans Tageslicht. Der Radius seines unter dem Dach der in Costa Rica domizilierten Nueva Holding neu formierten Holz- und Röhrenkonglomerats erstreckt sich mittlerweile in fünfzehn Nationen und umfasst über 50 Konzerngesellschaften zwischen Mexiko und Patagonien. Wie aus dem Umfeld des Investors verlautet, sollen die Aktivitäten, denen STS seit der Liquidation seiner Asbestzementgruppe vornehmlich in Lateinamerika nachgeht, kommerziell nur mässig erfolgreich sein. Genaueres weiss allerdings niemand. Transparenz war noch nie eine Stärke der Schmidheinys. Schon als der Grossvater in den Dreissigerjahren bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam, sah sich Max Schmidheiny (1908–1991) vor beträchtliche Probleme gestellt: «Ich fing an, Ordnung ins Rechnungswesen zu bringen. Es war praktisch nichts Schriftliches vorhanden», erinnerte sich der Vater von Thomas und Stephan später an die schwierige Übergangsphase. Einmal am Ruder, setzte «Sir Max» seine eigenen Geschäfte ebenso ungern dem Rampenlicht aus. Die von ihm im In- und Ausland errichteten Firmen bildeten ein kompliziertes, ineinander verzahntes Geflecht, wobei die Besitzverhältnisse oftmals im Dunkeln blieben. Konsolidierte Zahlen gab der Ostschweizer Clan traditionellerweise keine bekannt. Geschäft war Geschäft, und Familie blieb Familie. So gingen bei der 1920 übernommenen Eternit AG über sechs Jahrzehnte ins Land, bevor auch nur die rudimentärsten Kennziffern wie Umsatz und Cashflow an die Öffentlichkeit drangen.
Auch die Stammhalter der vierten Generation verfügen über Talent im Verwischen von Spuren. Vor allem Stephan bewegt sich seit Jahren geradezu virtuos in einem schwer durchschaubaren Gewirr von Beteiligungsvehikeln, Zwischenholdings und Tochterfirmen, die der agile Erbe unablässig neu gruppiert, aus dem Handelsregister löscht, neu gründet, disloziert oder umbenennt.

Unter dem Etikett der Nachhaltigkeit betätigt sich sich der scheue Deal-Maker gleichzeitig als Mäzen und unterstützt Forscher und Bildungseinrichtungen auf der ganzen Welt (siehe «Kommerz mit Zuckerguss» auf dieser Seite). Neben seinem Engagement für lateinamerikanische Führungskräfte im Rahmen der 1994 gegründeten Avina-Stiftung gehört STS zu den diskreten Privatsponsoren der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich.

Zusammen mit Honoratioren aus dem ETH-Lehrkörper betreibt er die Alliance for Global Sustainabilty – ein hochkarätiger Forschungsverbund, dem neben der ETH auch das renommierte Massachusetts Institute of Technology (MIT) und die University of Tokyo angehören. Seit ihrer Gründung im Jahr 1996 hat Schmidheiny diese globale Nachhaltigkeitsallianz mit einem zweistelligen Millionenbetrag alimentiert. Das Gefährliche an derartigen «Non Profit»-Zusammenschlüssen: Mit Konstruktionen wie der Alliance for Global Sustainability wird Führungskräften mit zuweilen diskutablem Leistungsausweis eine Plattform verliehen, um sich ein grünes oder sonst wie fortschrittliches Mäntelchen umzuhängen.

«Der Name Schmidheiny mag aus Schweizer Sicht an Glanz verloren haben», attestiert dessen langjähriger Gefolgsmann und Avina-Consultant Peter Fuchs: «Gleichwohl schreibt Stephan Schmidheiny mehr denn je Wirtschaftsgeschichte.» Dass Ökoeffizienz und Corporate Social Responsibility zu international anerkannten Grundsätzen geworden sind, werde im Ausland längst ihm als persönliches Verdienst zugeschrieben, sagt Fuchs: «In mühsamer Knochenarbeit hat er Konzernleiter und Präsidenten davon überzeugt, dass die Wirtschaft umdenken muss, wenn sie erfolgreich sein will.»

Lässt schon das Nachhaltigkeitskonzept viel Ermessensspielraum zu, so verhindert die Definitionsbreite bei der so genannten «Corporate Social Responsibility» (soziale Verantwortung der Unternehmen) eindeutige Aussagen erst recht. Besonders augenfällig wird dies bei der gesellschaftlichen Kontroverse um die gentechnologische Forschung. Wenn man liest, was STS zu diesem gesellschaftlichen Reizthema von sich gibt, könnte man zur Ansicht gelangen, seit seinem Schlüsselerlebnis bezüglich Asbest habe er nicht unbedingt eine Menge dazugelernt. So sprach er etwa im Vorfeld der Verschmelzung von Hoechst und Rhône-Poulenc zum Life-Sciences-Giganten Aventis: «Persönlich habe ich keine Angst vor der Biotechnologie, auch wenn mir die damit verbundenen Gefahren sehr wohl bewusst sind.» Eine hundertprozentige Sicherheit gebe es nie, schränkte der Nachhaltigkeitspionier präventiv ein: «Die grössten Risiken sind die, die wir nicht kennen.»

Nach einem rasanten Aufstieg in den Popularitätshimmel im Zuge der Rio-Konferenz läuft STS zehn Jahre später Gefahr, in ein Wertschätzungstief zu fallen. Ohne festen Aufenthaltsort, treibt sich der Milliardär heute auf dem Globus herum, verbringt seine Zeit mit Reisen oder hält sich – oftmals nur für ein paar Tage oder Stunden – in einer seiner verstreut gelegenen Residenzen in Costa Rica, Argentinien oder auf einem Pferdegestüt im Westen der Baleareninsel Mallorca auf. Auch Thomas, der im Gegensatz zu seinem unsteten Bruder stets als Stabilitätsgarant gegolten hatte, gab unlängst überraschend bekannt, dass er sich in den Vorruhestand zurückzuziehen gedenkt. Unter dem Druck einer schier unglaublichen Serie von persönlichen Fehltritten gibt der 57-jährige Zementbaron nach dem Konzernvorsitz und dem VR-Präsidium bei Holcim in Bälde auch noch seine Stimmenmehrheit ab.

Der Rückzug der beiden Stammhalter von ihren öffentlichen Funktionen ist symptomatisch für den wohl unwiderruflichen Niedergang einer Dynastie. Dass der Ostschweizer Clan just zu dem Zeitpunkt markant an Bedeutung verliert, da die Eternit AG in Niederurnen ihr 100-Jahr-Jubiläum begeht, entbehrt nicht der historischen Tragik. Am Befund, dass die Erfolgsgeschichte der Schmidheinys zu Beginn des dritten Millenniums abbricht, vermag auch das Vorhandensein von genügend Nachwuchs nichts zu ändern. Bekanntlich haben sowohl Thomas als auch Stephan direkte Nachkommen. Unter ihren insgesamt sechs Kindern befinden sich auch zwei erwachsene Söhne. An eine familiäre Nachfolge, beteuern Insider, sei in Anbetracht der individuellen Interessenlage des Nachwuchses jedoch beim besten Willen nicht zu denken.

Auch von den vier Kindern der heute 58-jährigen Marietta scheint sich keines für eine Fortsetzung der unternehmerischen Traditionslinie aufzudrängen. Die Schwester von Thomas und Stephan wurde Mitte der Achtzigerjahre finanziell abgefunden, sodass ihr Familienzweig ohnehin keinen Erbanspruch mehr geltend machen kann. Im Übrigen war die ausgebildete Sängerin stets zu schlau, um sich in die Geschäfte ihrer Geschwister zu mischen. Wie aus gut unterrichteter Quelle verlautet, zählt etwa die Aufzucht von Lamas zu ihren zahlreichen Liebhabereien. Abgeschottet vom Alltagsstress, wohnt Marietta, geborene Schmidheiny, heute auf North Captiva Island, einer Millionärsenklave an der Westküste Floridas.

Bei ihren glücklosen Brüdern erfolgt die Flucht ins Private jetzt, wobei Stephan schon länger mit einem Dasein als Privatier liebäugelt. Auf Grund der vielen Anwürfe, denen sein sorgsam gepflegtes Ökoimage in den letzten Monaten ausgesetzt war, hat sich der sensible Weltenbummler, wie es scheint, vollends aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Bezeichnend hierfür ist ein im Dezember 2002 erschienener Artikel in der europäischen Ausgabe des «Wall Street Journal». Unter dem Vorwand, sich mit dem Vater von Ökoeffizienz und sozialkompatibler Unternehmensführung über dessen Lieblingsthema, Philanthropie, unterhalten zu wollen, machte sich ein Kulturredaktor der Zeitung an diesen heran. Anstatt über Schmidheinys Lieblingsrolle als Mäzen war an prominenter Stelle dann allerdings von einer wachsenden Zahl von Asbestopfern und dem Vorwurf der fahrlässigen Tötung zu lesen. In Italien drohten ihm deswegen bis zu zwölf Jahre Haft, musste sich der Auslandschweizer auf Seite eins des renommierten Wirtschaftsblatts vorhalten lassen.

«Ich hatte eine schwierige Kindheit», gab Stephan, der Unverstandene, in einem seltenen Anflug von Vertrauensseligkeit 1990 dem «Magazin» des Zürcher «Tages-Anzeigers» zu Protokoll. «Nicht materiell, da fehlte es an nichts. Aber Fragen des Daseins, der Sinn des Lebens haben mich beschäftigt.» Sehr sporadisch macht STS heute noch im Land seiner ruhmreichen Vorfahren Station, auch wenn sich sein offizieller Wohnsitz nach wie vor im Kanton Schwyz auf der Hurdener Halbinsel befindet. Selbst dort, wo man es zuletzt von ihm erwarten würde, meidet er das Rampenlicht. So glänzte er sogar anlässlich der Lancierung seines neuesten Weltverbesserungs-Epos, «Walking the Talk», im Herbst letzten Jahres durch Abwesenheit. «Herr Schmidheiny gibt keine Interviews mehr», kappt sein Pressebeauftragter für den Moment sämtliche Leitungen. «Auch keine mehr über Philanthropie.»