Chiles Staatsflagge weht über der Firmenzentrale von Kühne + Nagel mitten in Schindellegi in der Schweiz. Die Farben Weiss und Rot und den fünfzackigen Stern im blauen Quadrat hat der Hausherr Klaus-Michael Kühne zu Ehren seines Gastes Jorge Eduardo O'Ryan Schütz aufziehen lassen. Der ist Botschafter Chiles in Deutschland und hat bei seinem Besuch in der Schweiz ein Mittagessen mit dem Milliardär und Transportunternehmer Kühne eingeplant. Kühnes Vater war einmal Honorarkonsul von Chile, und die Firma hat seit Jahrzehnten enge Beziehungen zu dem lateinamerikanischen Land. Der Sohn verbindet gerade die Reederei Hapag-Lloyd, an der er massgebliche Anteile hält, mit dem chilenischen Konkurrenten CSAV. Gut gelaunt von dem Gespräch mit dem Botschafter kommt Kühne zum Interview mit der «Welt am Sonntag».

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Die Schweizer haben mit Mehrheit beschlossen, die Zuwanderung zu beschränken. Sind Sie froh, dass Sie schon da sind, weil Sie vielleicht bald nicht mehr hineinkämen?
Klaus-Michael Kühne: Uns können die Schweizer ja nicht rausschmeissen. Ehrlich gesagt, habe ich mich seinerzeit gewundert, als sich die Schweiz mit der Europäischen Union vor ein paar Jahren auf eine uneingeschränkte Freizügigkeit der Zuwanderung verständigt hat. Heute ist der Ausländeranteil von fast 30 Prozent schon sehr hoch. Die totale Freizügigkeit ist ebenso übertrieben wie eine Abschottung. Im Übrigen ist es in der Schweiz populär geworden, unkonventionell abzustimmen.

Kühne + Nagel beschäftigt in Schindellegi nicht nur Schweizer, sondern in der Mehrheit Manager aus dem Ausland. Welche Folgen hat die Abstimmung für Ihr Unternehmen?
Die Schweiz ist unberechenbar geworden. Das Land kann nicht auf einer Insel leben. Kühne + Nagel braucht Topmanager aus vielen Ländern. Sollte es tatsächlich zu Einschränkungen in der Zuwanderung kommen, müssen wir einen Teil unserer Hauptverwaltung irgendwo anders ansiedeln. Hoffentlich finden die EU und die Schweiz noch einen Kompromiss, mit dem alle Seiten gut leben können.

Warum zieht es dann so viele deutsche Vorstandschefs in Schweizer Verwaltungsräte – wie zuletzt Lufthansa-Manager Christoph Franz zum Pharmakonzern Roche?
Solch ein Posten ist für viele attraktiv. Der Verwaltungsrat ist in der Schweiz das geborene geschäftsführende Organ eines Unternehmens. Der Verwaltungsratspräsident hat eine Machtposition gegenüber der Geschäftsleitung und auch im Verwaltungsrat ist er eine Autorität. Ausserdem ist er oftmals sehr gut dotiert.

Gilt das auch für Kühne + Nagel?
Unser Verwaltungsratspräsident hat ein angemessenes Einkommen. Aber wir werfen nicht mit den Millionen Franken herum, wie es in anderen Branchen der Fall sein mag. Ich finde das unverständlich. In der Schweiz entsteht auch dadurch jetzt eine Neidkultur, wie es sie in Deutschland schon lange gibt. Das bedauere ich, es kann nur zu weiteren Volksabstimmungen darüber führen, Verwaltungsratshonorare und Managergehälter zu begrenzen.

Ihr Verwaltungsratspräsident ist ein Mann, auch sonst findet sich keine Managerin in Ihrer Chefetage. Warum eigentlich?
Das hat sich noch nicht ergeben. Die Logistik ist vorwiegend ein Männerberuf. Aber ich gebe zu, dass wir das Thema bislang zu wenig beachten. Bei der nächsten Neubesetzung im Verwaltungsrat werden wir bei gleicher Qualifikation eine Frau bevorzugen.

Politische Debatten wie diese haben Sie viele miterlebt. Und auch viele Krisen – Sie sind schliesslich Jahrgang 1937. Überraschen Sie die Krim-Krise und die Rückkehr weltpolitischer Blockbildung?
Es ist erstaunlich, wie schnell so etwas wiederkommt. Aber die Probleme in der Ukraine waren immer da, die autoritäre Führung hat sie nur nicht so erkennen lassen. Die Demokratisierung hat nun die Gegensätze offenbar gemacht. Ich bin selbst einmal während einer Kreuzfahrt auf der Krim gewesen, für mich war das schon damals wie in Russland.

Das heisst, Sie verstehen das Vorgehen Wladimir Putins?
Ein gewisses Verständnis habe ich dafür schon. Aber der Vergleich mit Chamberlain 1938 ist nicht von der Hand zu weisen. Die Welt ist leider nicht so friedfertig, wie wir es gehofft hatten. Ich bin kein Pessimist, ich halte die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einem Krieg kommt, für nicht allzu gross.

Sind Sie für Wirtschaftssanktionen? Oder würden Sie wie zuletzt Siemens-Chef Joe Kaeser Putin persönlich treffen wollen, der dafür ja ziemlich stark kritisiert wurde?
Wir sollten die Schotten nicht ganz dichtmachen. Jetzt geht es darum, die Balance zu halten. Dafür ist Kanzlerin Angela Merkel eine Prototypin. Auf der anderen Seite sollten wir auch nicht unterwürfig auf Putin zugehen, wie es teilweise der Fall war. Das muss auch nicht sein.

All das wird Einfluss auf die Weltkonjunktur haben. Sie wächst nach der Mehrzahl der Prognosen in diesem Jahr nur noch um zwei bis drei Prozent. Und der Welthandel steigt nicht mehr überproportional wie früher. Brechen jetzt schlechte Zeiten für Transportunternehmer an?

Die Boomzeiten sind vorbei. Die weltweite Arbeitsteilung nimmt nicht mehr so stark zu wie früher. Wahrscheinlich hat die Globalisierung ihren Höhepunkt überschritten. Aber das habe ich auch nicht anders erwartet. Solch einen Schub gibt es nur einmal, jetzt normalisiert sich die Entwicklung. Natürlich trifft das auch den Transport, vor allem in der Schifffahrt. Die Containerisierung hat einen hohen Sättigungsgrad erreicht. Heute gibt es kaum mehr neue Güter, die in Container umgeladen werden können. All das hat Einfluss auf unser Geschäft.

Heisst das, Sie müssen jetzt kleinere Brötchen backen?
Wir waren etwas verwöhnt, jetzt müssen wir uns eben wieder mehr anstrengen. Wir müssen auf dem erreichten hohen Niveau findig sein, müssen mit neuen Produkten oder in neuen Regionen Gas geben. Aus Ländern wie Chile, Kolumbien, Mexiko oder aus dem Nahen Osten und Indonesien erwarte ich Impulse für unser Geschäft.

Trotzdem investieren Sie als Privatmann gerade viel Geld in die Schifffahrt. Die Reederei Hapag-Lloyd, an der Sie 28 Prozent der Anteile halten, wird mit dem chilenischen Konkurrenten CSAV fusionieren. Kennen Sie dessen Grossaktionär Andrónico Luksic persönlich?
Wir haben uns kennengelernt. Im vergangenen November und jetzt wieder vor vier Wochen haben wir über die Reedereifusion verhandelt. Die Chance, dass CSAV und Hapag-Lloyd in der Containerschifffahrt gemeinsam mehr Erfolg haben, ist gross.

Wie gehen Sie beide miteinander um – von Tycoon zu Tycoon?
Man darf meine Rolle dabei nicht überschätzen. Aber Andrónico Luksic ist der mächtige Mann in der chilenischen Firmengruppe, und er schaut nun einmal nur auf mich. Die anderen Gesellschafter von Hapag-Lloyd sind nur Kapitalanleger oder wollen wie die TUI aus der Schifffahrt aussteigen. Einzig die Stadt Hamburg ist als Grossaktionär von Hapag-Lloyd neben mir aktiv. Die Stadt, die Kühne Holding und die Luksics wollen eine stabile Mehrheit in der neuen Reederei bilden und sie langfristig in Hamburg halten.

Also bleibt Hamburg der Firmensitz?
Die Luksics verehren Hamburg, sie sehen in Hamburg den wahren Mittelpunkt der Schifffahrt. Die Regionalzentrale für das lateinamerikanische Geschäft wird natürlich in Südamerika angesiedelt werden, aber der internationale Sitz bleibt Hamburg.

Ist eine deutsch-chilenische Reederei als weltweite Nummer vier gross genug, um es mit den drei Grossen Maersk, MSC oder CMA CGM und ihrer P3-Allianz aufzunehmen?
Der Abstand bleibt auch dann noch sehr gross. Deshalb sollte später noch ein weiterer Partner hinzukommen. Mein Wunschpartner NOL aus Singapur wollte das bislang nicht sein. Dabei wäre Singapur als Knotenpunkt in Asien die perfekte Ergänzung zu Hamburg. Aber das kann als nächster Schritt noch kommen.

Welche Auswirkungen wird die geplante P3-Allianz haben?
Die Verbindung von Maersk, MSC und CMA CGM wird den Wettbewerb einschränken. Auf den Strecken von Asien nach Europa wird es keinen grossen Preiskampf mehr geben. Ich wundere mich, dass die Kartellbehörden in den USA und Europa das so einfach durchwinken. Aber unbenommen davon bleibt, wer in der Schifffahrt zu den Gewinnern gehören will, muss in grossen Einheiten denken.

Zu den Gewinnern gehören auf jeden Fall auch Sie persönlich: Als Mehrheitsaktionär von Kühne + Nagel werden Sie für das vergangene Geschäftsjahr insgesamt etwa 300 Millionen Franken an Dividendenzahlung erhalten. Was machen Sie mit dem Geld?
Die Sonderdividende war eigentlich nicht geplant, und sie hat nichts mit meiner persönlichen Finanzlage zu tun. Das Unternehmen wird aus Investorenkreisen immer wieder bedrängt, die hohe Liquidität zu verringern oder für Akquisitionen zu nutzen. Grosse Zukäufe wollen wir aber nicht tätigen. Deshalb gibt es die Sonderdividende. Ich werde das Geld zum Teil für die anstehende Kapitalerhöhung bei Hapag-Lloyd nutzen. Ausserdem werde ich nach Anlagemöglichkeiten für Bürohäuser suchen. Australien, Kanada oder Singapur sind dafür interessante Märkte.

Da drängt sich in diesen Tagen natürlich die Frage auf: Werden Sie sich auch beim HSV engagieren?
Ich bin bereit, dem Verein zu helfen, damit er irgendwann wieder ein hohes Niveau erreichen kann. Ich hätte es schon gern gesehen, wenn ein Haudegen wie Felix Magath schon im Herbst vergangenen Jahres zum Zuge gekommen wäre. Aber Mirko Slomka ist schon eine Verbesserung. Die Mannschaft kämpft, auch wenn sie noch keine Einheit ist. Ob sie noch die Kurve kriegt oder doch absteigt, ist für mich völlig offen. Ich sympathisiere mit der Reform des Vereins, die Profimannschaft auszulagern und für Investoren zu öffnen. Wenn das gelingt, werde ich mich privat engagieren.

Dieses Interview erschien zuerst in unserer Schwester-Publikation «Welt am Sonntag».