Die Schweiz ist von den Halbleiter-Herstellern abhängig

Bei Coop fehlt der Standmixer aus China im Regal, Apple kann seine neuen Macbooks erst ab Ende November liefern und die Lieferzeiten für E-Autos von Tesla, VW, Audi, BMW und Mercedes liegen zwischen einem halben Jahr und 15 Monaten. Es fehlen die Chips. Als die Pandemie im März 2020 Autofabriken lahmlegte, rechneten die Autohersteller mit weniger Aufträgen für PKW. Parallel dazu trieben Homeoffice und der Ausbau des Mobilfunkstandards 5G die Nachfrage nach Laptops, Smartphones, Cloud-Diensten und Rechenzentren in die Höhe. Daher haben die Aufträge an die Halbleiter-Branche zugenommen. Die Hersteller stellten ihre Produktion entsprechend um. Alle Mittel flossen nun in jene Bereiche, in denen noch Nachfrage bestand. Branchen in der Krise wie Automobil wurden vernachlässigt. Keiner wollte unnötig auf Halde produzieren. Die Lager leerten sich. Schweizer Industrie in der BredouilleDarunter leiden in der Schweiz allen voran die Autozulieferer. Eine Branche, welche für einen Umsatz von mehr als 12 Milliarden Franken steht und mit 34000 Beschäftigten einer der grössten Arbeitgeber im Land ist. «Durch die fehlende Versorgung unserer Kunden mit Chips sind wir als Zulieferer betroffen», sagt SFS-Sprecher Benjamin Sieber. SFS ist ein Unternehmen für mechanische Befestigungssysteme und Präzisionskomponenten. Die Automobilzulieferer SFS, Autoneum und Feintool haben in einzelnen Werken bereits Kurzarbeit eingeführt. «Die Werke von Autoneum sind – abhängig von den Lieferabrufen der jeweiligen Kunden – unterschiedlich stark von der aktuellen Marktentwicklung infolge des Chipmangels betroffen», bestätigt Sprecherin Luzia Schoeck. Gar direkt betroffen sind jene Unternehmen, welche Chips in ihre Produkte verbauen oder Komponenten beschaffen, welche Chips enthalten. Dazu gehören insbesondere Maschinenbauer und Apparatehersteller. «Die Situation ist frustrierend», sagt Swissmem-Sprecher Ivo Zimmermann. «Die Auftragsbücher sind meist voll, aber diese Lieferengpässe führen zu Mehrkosten und Verzögerungen.» Der Chip-Crunch auf globaler Ebene frisst sich tief hinein in die gesamte Schweizer Industrie. «Wir spüren vereinzelt Auswirkungen von Engpässen in den globalen Lieferketten für elektronische Komponenten», schreibt das Sicherheitstechnik-Unternehmen Dormakaba. Bei ABB wurde «der Umsatz durch Engpässe in der Lieferkette beeinträchtigt». Kein gutes Omen laut Swissmem: «Die Schweizer Industrieunternehmen können nicht den Umsatz erzielen, der möglich wäre.» Der Mangel an Halbleitern sorgt weltweit für Milliardenverluste. Für die Automobilbranche rechnet man mit Umsatzeinbussen von 61 Milliarden Dollar. Wobei grosse Chiphersteller wie Qualcomm, NXP und Infineon berichten, dass die Autoindustrie nicht der einzige Sektor ist, der betroffen ist. Die Hersteller von Spielkonsolen etwa sagen, dass sich die Lage sogar weiter verschlechtern wird, bevor sie wieder besser wird. Die Händler müssen um ihr Weihnachtsgeschäft zittern. Chip-Hersteller kommen nicht nachKlar, um die Lücke zu schliessen, braucht es mehr Chips. Aber eine Ausweitung des Chip-Angebots braucht Zeit und mehr neue Fabriken. Nur: Der Bau einer Chipfabrik dauert in der Regel Jahre und kostet Milliarden von Dollar – für eine neue Fabrik zwischen 10 und 40 Milliarden Dollar. Der taiwanesische Chip-Gigant TSMC zum Beispiel baut jetzt eine neue Fabrik in Japan, kann die Massenproduktion aber erst 2024 aufnehmen. Unsummen fliessen zwar bereits seit vielen Jahren in die Branche: Im Jahr 2010 beliefen sich die Investitionsausgaben für Halbleiter noch auf 54 Milliarden Dollar. Ein Jahrzehnt später hat sich diese Zahl auf über 109 Milliarden Dollar mehr als verdoppelt. Dennoch ist das nicht genug: Der Bedarf an zusätzlichen Investitionen in Halbleiterproduktionen für 2021 wird auf 64 Milliarden Dollar geschätzt, nächstes Jahr sind es bereits 85 Milliarden, im Jahr darauf 100 Milliarden. Da kommen die Chip-Hersteller nicht mehr nach. Die Branche geriet nicht erst mit Covid in Probleme. Bereits von 2018 auf 2019 war der Markt um einen Fünftel eingebrochen, weil wider Erwarten rund um den Globus deutlich weniger Gadgets verkauft wurden. Auch die Nachfrage nach Autos ging zurück. Der von Ex-Präsident Donald Trump angezettelte Handelskrieg mit China drückte aufs Geschäft. Und der Brexit warf bestehende Handelsabkommen über den Haufen. Der Patient Chipindustrie war bereits seit längerem bewusstlos. Covid hat ihn dann ins Koma versetzt. Längere LernkurveParallel dazu fanden grosse Technologiesprünge statt, immer kleinere Transistoren konnten hergestellt werden. Die Produktionen wurden von den Auftraggebern für die neuen Produkte in Anspruch genommen. Doch die Erfahrung mit der Herstellung der neuen Chip-Sorten muss erst gesammelt werden und sich auf einem machbaren Output-Niveau einpendeln: Die Ausschussquote muss tief sein, Reinräume und Maschinen perfekt funktionieren. «Das ist eine Lernkurve und passiert nicht von heute auf morgen», sagt VAT-Sprecher Michel Gerber. VAT ist eine der wenigen Industriefirmen, die vom Chip-Crunch profitieren – sowohl in der Schweiz als auch global. Das Unternehmen mit Sitz in St. Gallen liefert Komponenten für jene Maschinen, auf denen die Chips hergestellt werden, wie Vakuumventile und Services für die Displaybranche. Dessen Auftragseingang hat sich im dritten Quartal im Vergleich zum Vorjahr fast verdoppelt, getrieben von Investitionen in zusätzliche Chip-Fabriken der weltgrössten Halbleiterproduzenten. Diese rechnen mit einer Erholung nicht vor der zweiten Hälfte des Jahres 2022. Es ziehen also noch viele Monate ins Land, bis sich Angebot und Nachfrage wieder angleichen. Wobei die Lösung für das Problem nicht in der Schweiz liegt. Sondern in Fernost, USA und bei Europas Wirtschaftslokomotiven Deutschland und Frankreich, die auch noch nennenswerte Industrie- und Chip-Produktionen haben. In der gesamten Halbleiter-Wertschöpfungskette sind höhere Investitionen in Chip-Fabriken unerlässlich, um die Nachfrage nach Halbleitern zu befriedigen. Problem der AbhängigkeitDer Chipmangel nimmt mitunter geopolitische Dimensionen an, denn es geht um mehr als ein paar Küchenmixer, Laptops und Akku-Wagen. Die Halbleiterindustrie ist für die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit und die nationale Sicherheit im Zeitalter der digitalen Transformation, der künstlichen Intelligenz und der 5G-Kommunikation von entscheidender Bedeutung. So haben US-Chip-Lieferanten Qualcomm, AMD und Nvidia keine eigenen Fabriken und sind auf die Auftragsfertigung von Drittanbietern wie TSMC und Samsung angewiesen. Diese Abhängigkeit gilt auch für die europäische Industrie und damit auch für die Schweiz. Zwar ist die US-Halbleiterindustrie seit langem weltweit führend und erwirtschaftet unter anderem mit einem Marktführer wie Intel bis zu 50 Prozent des weltweiten Chip-Umsatzes. Doch der Anteil der USA an der eigentlichen Produktionskapazität, der 1990 noch bei 37 Prozent lag, ist auf 12 Prozent gesunken. Ausserdem werden nur sechs Prozent der weltweit entstehenden Kapazitäten in den USA angesiedelt sein. Im Speicherbereich, der etwa 30 Prozent der gesamten Halbleiternachfrage ausmacht, verfügt Südkorea über mehr als 40 Prozent der weltweiten Kapazitäten. Und es wird prognostiziert, dass China in den nächsten zehn Jahren etwa 40 Prozent der neuen Kapazitäten aufbauen und zum grössten Chipproduktionsstandort der Welt werden wird. Fabriken werden gebaut, nur am falschen Ort. Mehr On-Shoring gefragtDas ist problematisch. Wie die COVID-19-Krise gezeigt hat, macht eine hohe Konzentration auf ein Land oder eine Region eine globale Lieferkette anfällig für Störungen wie Naturkatastrophen, Pandemien oder geopolitische Konflikte. Angesichts des strategischen Charakters der Halbleiterindustrie für die Wirtschaftsräume USA und Europa und deren nationale Sicherheit müssen die Lieferketten widerstandsfähiger werden. Eine Antwort darauf wäre mehr geografische Diversifizierung und On-Shoring. Das Gegenteil dessen, was derzeit passiert.

Die Schweiz ist von den Halbleiter-Herstellern abhängig

Der Schweiz fehlen die Mikrochips