Innert Monatsfrist sind alle Zweifel am weltweiten Aufschwung wie weggeblasen. Eine zweite Konjunkturdelle, als «double dip» gefürchtet, scheint unwahrscheinlich, und von der Falle einer tückischen Deflation spricht ausserhalb Japans niemand mehr. Eher schon sorgen sich manche Beobachter und Analysten um den enormen Geldfluss, mit dem die Notenbankiers die Welt vor der drohenden wirtschaftlichen Austrocknung bewahrt haben. Werden diese Summen jetzt zur Sintflut, wenn die Konjunktur lehrbuchhaft wieder anzieht?

Denn einige Probleme wurden durch einen Geldsee zugedeckt, unter dessen Oberfläche sie nun hartnäckig weiterbestehen. Die amerikanische Handelsbilanz ist stark defizitär, die Konsumenten und Firmen der USA sind stärker verschuldet denn je. Japan hat die Sanierung seiner Banken und Baufirmen noch vor sich. Würde eine Kettenreaktion von Konkursen viel Sparergeld vernichten, zögen die Japaner Anlagegeld aus den USA ab, was deren Börse und den Dollarkurs nahe an den Abgrund treiben könnte. Desgleichen könnte die Erholung in Euroland die Anleger zu Transfers ihrer Dollaranlagen nach Europa führen.

Der Dollar erscheint daher vielen als heisse Kartoffel, die dereinst erschreckt herumgereicht werden könnte. In einem viel beachteten Statement zweifelte der Hedge-Fund-Manager Felix Zulauf an der dauerhaften Stützung der Konjunktur durch die US-Konsumenten. Diese seien einmalig und nicht wiederholbar stimuliert worden durch die Senkung von Steuern, Hypothekarzinsen und Energiepreisen. Hoffnungsvollere Analysten sehen die Kreislaufwirkung der massiv höheren Produktivität, welche die Gewinne wiederherstellt, die zu Investitionen und Lagerauffüllungen führen. Angesichts der völlig leer gefegten Lager müsste dies alles die Produktionsmaschine überproportional anwerfen und die entsprechenden Einkommen generieren. Dann sind Schulden und Einmalstimulierungen kein Engpass mehr – das Volumen wächst anderswo.

Der Blick voraus geht auch nach Asien. Der gleiche Lagerzyklus sollte durch die markant anziehende US-Industrie dort noch stärker wirken, dank der Rolle des Kontinents als Zulieferer. Bereits sind respektable Wachstumsraten zwischen drei und acht Prozent vorausgesagt. Der Schuldenüberhang aus der Asien-Krise 1998 ist meist gelöst worden, sei es nach Art Malaysias diktatorisch, sei es durch Konkurse in Südkorea, sei es durch viel neues Geld vom Weltwährungsfonds in Indonesien oder in der Türkei. Fast unheimlich leicht wurde auch der Bankrott Argentiniens weggesteckt – von den lateinamerikanischen Partnern, von den spanischen Banken, von privaten Gläubigern. Wie nicht zuletzt auch der Konkurs der Enron zeigte, scheint das Finanzsystem immer tragfähigere Ausgleichs- und Absicherungsmechanismen entwickelt zu haben – durch Risikostreuung der Junk-Bonds in grossen Fonds oder dank Securitization, Derivaten.

Die Schweizer Konjunktur hat sich wie beim Einbruch 1990 dank einer gewissen Trägheit über die fiebrigen Kurven der reagibleren USA hinweggesetzt. Es ist offiziell: Die Rezession fand hier nicht statt. Trotzdem sollte die Trägheit nicht als Tugend für die nächste – immer noch herausfordernde – Zeit besungen werden. Denn die Finanzpolitik, speziell jene des Bundes, ist mit Swissair-Milliarden, Expo-Krediten und andern Begehrlichkeiten ins Schleudern geraten. Die Schuldenbremse wird 2003 auch als Bremse der Konjunktur wirken, weil die Politiker Flugbenzin statt tiefere Familiensteuern wollten.

Die oft heroische Sanierung der kantonalen Finanzen darf nicht durch den Bund konterkariert werden. Eine weitere Aufgabe bleibt die Liberalisierung von Strom, Post und letzter Meile der Telekommunikation. Hier muss die Schweiz jene Wendigkeit erringen, die der sonst eher lethargische EU-Kontinent erreicht hat.

Schliesslich hat die so genannte Pisa-Studie der OECD den Rückstand der Schweizer Schulabgänger in Naturwissenschaft, Schreiben und Lesen belegt. Der schlechte Durchschnitt hat wohl viel mit den hohen Anteilen eingewanderter Kinder zu tun, denn gleichzeitig sind die schlechteren Leistungen in der Schweiz auch als Funktion sozial schwächer gestellter Haushalte ausgewiesen worden. Das passt zusammen. Für die Qualität des Standorts Schweiz ist daher sofort die Qualifikation der Einwandererkinder anzuheben – in deren eigenem Interesse und um späteren Fürsorgekosten an unqualifizierte Teilnehmer des von hier aus bedienten Weltmarkts vorzubeugen.

Der Konjunkturfrühling gibt den Freiraum, sich dieser mittelfristigen fiskalischen, regulatorischen und schulpolitischen Anliegen anzunehmen.

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