Der neue Wirtschaftsminister wird sich nicht beklagen dürfen. Er oder sie beginnt im Amt mit dem Rückenwind einer prosperierenden Wirtschaft. Die Auftragsbücher sind voll, es herrscht nahezu Vollbeschäftigung. Doch die verheissungsvolle ökonomische Grosswetterlage trügt.

Schwelende Handelskriege und das zähe Ringen im EU-Dossier sind noch kleine Hürden im Vergleich zu den Herausforderungen, die es im nächsten Jahrzehnt zu meistern gilt: die Überalterung der Gesellschaft und der digitale Wandel. Yuval Noah Harari, Historiker der Stunde, sagte kürzlich im Interview mit der «NZZ am Sonntag»: «Die technologische Revolution sollte das wichtigste politische Traktandum sein. Vergesst Brexit und Immigration! Jede Diskussionsminute, die wir an sie verschwenden, ist eine, in der wir uns nicht um dringlichere Probleme kümmern.»

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Auf Johann Schneider-Ammanns Nachfolge warten grosse Aufgaben. Wer hat das Zeug dazu, die Schweiz durch die Verwerfungen einer digital entfesselten Weltwirtschaft zu navigieren, in der Big Data die menschliche Intelligenz als Mass aller Dinge ablöst? Und vor allem: Wer rückt potenziell überhaupt nach? Für letztere Frage bräuchte es eine Kristallkugel. Wegen des Doppelrücktritts eröffnen sich erstens viele Optionen, und zweitens ist unter den bestehenden Ministern ein Geschacher um die Departemente vorprogrammiert.

Die Wirtschaft möchte Karin Keller-Sutter

Zwar ist das Wirtschaftsdepartement (WBF) traditionell in bürgerlicher Hand. Dank des Anciennitätsprinzips aber könnte die ehemalige Konsumentenschützerin Simonetta Sommaruga (SP) nun das WBF anpeilen, das sie schon 2010 wollte, dann allerdings von ihren Kollegen das Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) aufgebrummt bekam. Nur stände sie als Vorsteherin des Wirtschaftsdepartements stets in Konflikt mit der bürgerlichen Mehrheit. Realistischer ist, dass sie mit dem UVEK liebäugelt. Doch auch dieses wichtige Departement wird kaum in linke Hände gelangen. Möglich wäre auch, dass der studierte Ökonom Alain Berset zum WBF wechseln möchte, allerdings stünden auch ihm wohl die Bundesräte der FDP und SVP im Weg. So ist denkbar, dass der ehemalige Landwirt Guy Parmelin Schneider-Ammann beerbt.

Karin Keller-Sutter, Staenderatspraesidentin, an der Appenzeller Landsgemeinde, vom Sonntag, 29. April 2018, in Appenzell. (KEYSTONE/Patrick Huerlimann)

Tritt FDP-Ständerätin zur Bundesratswahl an, ist sie wohl so gut wie gesetzt. Sie käme auch in Frage für das WIrtschaftsdepartement.

Quelle: KEYSTONE/PATRICK HUERLIMANN

Es könnte aber auch einer der beiden neu zu wählenden Bundesräte sein. Am liebsten sähe die Wirtschaft FDP-Ständerätin Karin Keller-Sutter. Tritt sie zur Wahl an, wäre sie wohl prädestiniert. Zwar kommt die ausgebildete Konferenzdolmetscherin nicht aus dem Unternehmertum wie Schneider-Ammann, jedoch amtet sie im Vorstand des Arbeitgeberverbands und sitzt im Verwaltungsrat der Bâloise; von 2012 bis 2016 war sie ebenfalls im VR der NZZ-Gruppe.

Denkbar als Bundesratskandidatin der FDP wäre die etwas weniger bekannte Nationalrätin Regine Sauter, studierte Staatswissenschaftlerin an der Universität St. Gallen mit einem MBA in der Tasche und seit 2012 Direktorin der Zürcher Handelskammer. Als Wirtschaftsministerin eher unwahrscheinlich, weil zu links positioniert, ist CVP-Nationalrätin Viola Amherd, Kronfavorit als Nachfolgerin Leuthards. Valabel wäre CVP-Ständerat Erich Ettlin, Ökonom und früher Vorsteher der Obwaldner Steuerverwaltung. Denkbar ist auch der Solothurner Ständerat Pirmin Bischof, studierter Jurist und Mitglied in den Verwaltungsräten des Liftherstellers Schindler, der Seilbahn Weissenstein AG und des Energieversorgers AEK.

Nun könnte man einwenden: Egal wer Wirtschaftsminister wird, Hauptsache, er hat eine liberale Grundhaltung und sorgt dafür, dass sich der Wirtschaft nichts in den Weg stellt. Am Besten übt er sich in Zurückhaltung. Doch so einfach ist das nicht. Die Pendenzenliste mit konkreten Aufgaben ist lang.

Economiesuisse fordert neue Freihandelsabkommen

Heinz Karrer, Präsident des  Dachverbands Economiesuisse, verweist auf neue Freihandelsabkommen, die es auszuhandeln gilt; etwa mit den Mercosur-Staaten, mit Indonesien und besonders jenes mit den USA, das für die Schweizer Wirtschaft das grösste Potenzial hat. Ebenfalls müsste der neue Wirtschaftsminister die heutigen Abkommen mit Mexiko, Kanada und Japan erneuern. «Die EU hat mit diesen Ländern aktuellere Abkommen, die dementsprechend attraktiver sind. Wir müssen mindestens auf den Stand der EU kommen», sagt Karrer.

Heinz Karrer

Economiesuisse-Präsident Heinz Karrer fordert neue Freihandelsabkommen.

Quelle: © KEYSTONE / Remo Naegeli

Ebenfalls wichtig seien eine Öffnung der Agrarpolitik, die Verhandlungen mit der EU um das Forschungsrahmenprogramm FP9 – damit die Schweiz auch künftig für Spitzenforscher attraktiv bleibe und Unternehmen vom internationalen Forschungsaustausch profitierten. Und schliesslich müsse der Wirtschaftsminister dringend das gesamte eGovernment voranbringen, so dass sich staatliche Dienstleistung endlich digital abgewickeln liessen.  

Bundesbern sei die rational ökonomische Diskussion abhanden gekommen

Avenir-Suisse-Direktor Peter Grünenfelder findet, Bundesbern sei die rational ökonomische Diskussion abhanden gekommen. «Der oder die neue Wirtschaftsminister/in muss deregulieren und liberalisieren – der noch flexible Arbeitsmarkt und die Personenfreizügigkeit sind gegen gewerkschaftliche und protektionistische Attacken zu verteidigen.» Gerade in einer Zeit der fortschreitenden Digitalisierung sei ein flexibles Arbeitsumfeld mit Jahresarbeitszeiten entscheidend, sagt Grünenfelder. «Den Versuchen zur Vergewerkschaftung des Arbeitsmarktes ist dezidiert entgegenzutreten.» Denn aufgrund der demografischen Entwicklung werde der Kampf um die globalen Talente zunehmen. Hier dürfe die Schweiz nicht an Attraktivität verlieren.

Einen anderen Schwerpunkt setzt Daniel Lampart, Chefökonom beim Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB). Der neue Wirtschaftsminister sollte die Sozialpartner aktiv einbeziehen und die Interessen und Anliegen der Arbeitnehmer ernst nehmen, sagt er. «Wir erwarten zudem eine Verbesserung der Beschäftigungssituation von älteren Arbeitnehmern sowie einen besseren Schutz vor missbräuchlichen Kündigungen.» Zudem sollten die hohen administrativen Hürden für Gesamtarbeitsverträge mit Mindestlöhnen abgebaut und der Lohnschutz verbessert werden.

Massnahmen fordert Lampart auch hinsichtlich des technologischen Wandels. «Die Digitalisierung darf nicht zu Lohndruck bei den Schweizer Arbeitnehmenden führen.» So zahle etwa Zalando sehr tiefe Löhne, habe aber fast keine Arbeitsplätze in der Schweiz, obwohl die Firma hierzulande den gleichen Umsatz wie H&M mache.

Das Anforderungsprofil des neun Wirtschaftsministers

Fredy Greuter, Sprecher des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes, sieht hingegen die Wirtschaftsfreiheit als eine zentrale und wichtige Säule des Wohlstands in der Schweiz. «Gerade in unserer schnelllebigen Zeit mit neuen Technologie sollte die Wirtschaft keine Fesseln erhalten, sondern sich rasch anpassen und neue Chancen packen können.» Grundsätzlich habe der Erfolg der Wirtschaft viel mit dem Verständnis zu tun, dass man sie nicht in ein Korsett zwängt. «Wichtige Eigenschaften sind eine Nähe zur Wirtschaft und seinen Vertretern auf allen Stufen, wie sie Johann Schneider-Ammann verkörpert hat», bilanziert Greuter.

Destilliert man aus den Aussagen der Wirtschaftsverbände ein Anforderungsprofil für Schneider-Ammanns Nachfolge, sähe das so aus: Gefragt ist eine durch und durch liberale Haltung, ein Verständnis für neue Technologien und einen zurückhaltenden Umgang mit Regulierungen. Er oder sie sollte gute Beziehungen zu Wirtschaftsvertretern mitbringen, aber auch mit Gewerkschaften an einen Tisch sitzen können – gemäss dem Motto: lieber sozialpartnerschaftliche Lösungen als neue Gesetze. Besonders gefragt sind zudem Reisefreudigkeit und eine gewisse Galanz auf dem internationalen Parkett, um neue Deals einzufädeln. Freihandelsabkommen sind für den Erfolg der Exportnation Schweiz entscheidend. Der neue Wirtschaftsminister wird also alle Hände voll zu tun haben.