Liebe Leserin, lieber Leser

Sechs lange Prozesswochen in der Tristesse einer Mehrzweckhalle sind vorbei. Wenige Bilder sind es, die von diesem sogenannten Jahrhundertprozess rund um den Niedergang der Swissair im Gedächtnis haften bleiben werden. Ein aufrechter Thomas Schmidheiny etwa, der sich nicht in die Sprachlosigkeit flüchtete. Ein Lukas Mühlemann, der schwieg und litt. Und ein kämpferischer Mario Corti, der für seine Sache stritt.

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Und sonst? Eine Staatsanwaltschaft, der die «NZZ» eine «krampfhafte Suche nach den Schuldigen» attestierte. Sie tat es mit den falschen Waffen. Der Niedergang der Swissair ist weder die Folge von krimineller Energie handelnder Akteure noch die Folge eines Malheurs, das in den letzten Monaten des Kampfes unvermittelt auftrat. Nach fünfjähriger Recherche hätte der Anklage klar sein müssen, dass die entscheidenden, allenfalls strafrechtlich relevanten Vorkommnisse aus den Jahren vor 1998 datieren. Damals wurde die Hunter-Strategie vom Verwaltungsrat abgesegnet, die statt der ursprünglich bewilligten rund 400 Millionen Franken schliesslich das Zehnfache verschlang. Hier stellt sich die Frage, ob das Aufsichtsratsgremium die Käufe der deutschen LTU, der französischen Air Liberté und Air Littoral seriös geprüft oder einfach durchgewinkt hat. Dabei ist entscheidend, ob der damalige CEO Philippe Bruggisser sein Aufsichtsratsgremium über alle Paragrafen dieser Kaufverträge ins Bild gesetzt hat, beispielsweise darüber, dass praktisch keine Ausstiegsklauseln existierten. Statt in diesem Zusammenhang in die Vollen zu gehen, verbissen sich die Ankläger in Bülach auf Details wie vergleichsweise unbedeutende Zahlungen von Bruggisser an das Topmanagement der polnischen LOT. Als Steigbügelhalter für ihre Anklageschrift diente der Staatsanwaltschaft zu allem Überfluss ein Gutachter, dem gemäss dem Urteil der «NZZ» bei seiner Arbeit «grobe Schnitzer» unterlaufen sind.

So bleibt als stärkster Eindruck aus Bülach das Bild einer bedenklich schwachen Anklägerin haften. Einer heillos überforderte Staatsanwaltschaft, die in diesem für die Schweiz so eminent wichtigen Prozess zu keinem Zeitpunkt einen nur halbwegs souveränen Auftritt zustande brachte. Dass sie nun, nach Ende der Plädoyers, eine zweite Anklageschrift nachschieben will, bei der sie plötzlich auch die Frühzeit der Hunter-Strategie unter die Lupe nehmen will, verstärkt den Eindruck eines eher konfusen Vorgehens. Es scheint, als gelte es, einen ersten Fehlgriff zu korrigieren. Dabei hätte der Liquidator Karl Wüthrich den Klägern den Weg weisen können: Er identifizierte in seinem Geschädigtenplädoyer die Umsetzung der Hunter-Strategie als ausschlaggebendes Moment für den Crash. So aber droht der Schweiz möglicherweise ein zweites Grounding bei der juristischen Aufarbeitung der grössten Firmenpleite in der Geschichte des Landes.