Liebe Leserin, lieber Leser

Es gibt ein beliebtes Medienspiel, das besonders die Boulevardpresse zu bemerkenswert plakativen Höchstleistungen anzutreiben pflegt. Es geht so: Person A erkärt in einem Interview, Person B habe einen moralisch bedenklichen Charakter. Person B wird vom selben Blatt kurze Zeit später ebenfalls interviewt und mit dem wenig schmeichelhaften Statement von Person A konfrontiert und lässt sich ebenfalls zu emotional gefärbten Aussagen hinreissen – meist sehr zur Gaudi des lesenden Publikums, denn dieses Game lässt sich, geschickt inszeniert, über Tage mit Erfolg weitertreiben. Es gibt ja in der Regel zahlreiche Zaungäste, die man in dieses Getümmel um Meinungen und Emotionen wefen kann: die Freunde der Person A, die Gegner der Person B, so genannte Experten. Und wenn gar nichts mehr weiterhilft, finden sich, je nachdem, wie der Fall gelagert ist, noch Gewerkschafter, Politiker und selbst Journalisten, die bereit sind, im Dienste der Sache ihren Senf zum Thema zu geben. Und absehbar, wie sich eine derartige Treibjagd mitunter hochschaukelt, ist auch ihr Ende: Wenn jedes Sätzchen von jedermann zitiert ist und der Casus zu einem schlüpfrigen Brei gerührt worden ist, reibt sich ein inzwischen gelangweiltes Publikum die Augen und fragt sich mit einiger Distanz: War da was?

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Ein derart inszeniertes Spektakel beobachten wir derzeit wieder: Anfang April hat Johann Schneider-Ammann, ein aufrechter Schweizer, Unternehmer und FDP-Nationalrat, der «SonntagsZeitung» ein Interview gewährt und gesagt, Manager wie UBS-Präsident Marcel Ospel «gefährden den sozialen Frieden» im Land. Der Grund: Dieser Ospel habe im letzten Jahr 24 Millionen Franken verdient – und was zu viel sei, sei zu viel. Zwei Wochen später kontert Ospel an die Adresse Schneider-Ammanns, ebenfalls in der «SonntagsZeitung»: «Bürgerliche Politiker, welche die Spaltung der Gesellschaft heraufbeschwören, handeln politisch unverantwortlich.» Und dann tritt, wie zu befürchten war, eine ganze Korona von Trittbrettfahrern auf den Plan und gibt ihren Kommentar dazu. Fulvio Pelli von der FDP etwa und der Präsident des Baumeisterverbandes schlagen sich auf die Seite Schneider-
Ammanns; Werber Jost Wirz auf die Gegenseite.

Im Gefecht um die moralisch richtige Haltung in Sachen Lohn geht eines vergessen. Seit den siebziger Jahren hat hierzulande der Dienstleistungsbereich zu Lasten des zweiten Sektors, der Industrie, stetig an Stärke zugelegt, insbesondere der Finanzsektor hat seinen Anteil an der Schweizer Wirtschaft beständig ausgebaut. Heute beschäftigt der Bankensektor über 100 000 Personen, und es sind nicht die am schlechtesten Bezahlten. Sie tragen über 9 Prozent zum Bruttoinlandprodukt (BIP) von rund 450 Milliarden Franken bei. Nach den jüngsten Zahlen des Bundesamtes für Statistik kommen lediglich die personalintensiven Sektoren öffentliche Verwaltung und Sozialversicherung sowie Gross- und Detailhandel auf ähnliche Zahlen. Hand aufs Herz: Liegt hier die Zukunft der Schweiz? Oder im Bankensektor, der absolut wettbewerbsfähigsten Branche des Landes? Die Schweiz verfügt über starke und erfolgreiche Regional-, Kantonal-, Privat- und Grossbanken. Der Fluch ist nur, dass Bankiers noch nie beliebt waren – im Land der Banken. Vergessen sollten wir solche Zusammenhänge trotzdem nicht.