Handgestoppte sieben Minuten benötigt Eduard Rikli, um vom Bieler Bahnhof über die Rue de la Gare und die Zentralstrasse zur Mühlebrücke zu gelangen. Für einen, der von sich selber sagt, er sei nicht gerade sportlich orientiert, eine formidable Zeit.

Nun sitzt er da, im dritten Stock eines urbanen Zweckbaus, an einem schlichten Tisch, in einem ansonsten ziemlich leeren Büro, in dem er zuvor erst einmal kurz zugegen war. Die Zeit habe ihm bisher einfach gefehlt, um seine neue Wirkungsstätte einzurichten und die hier arbeitenden Menschen näher kennen zu lernen. Doch das wird er alles nachholen.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Step by step mit Logik

Am 1. Januar hat er bei Mikron offiziell die Führung übernommen. Bis dahin stand er im Solde von Sulzer. Ein sauberer Schnitt, ein korrekter Übergang, eins nach dem anderen, scheint Riklis Motto zu lauten. Step by step nach diesem Muster ist auch die Karriere des 1951 geborenen Zürchers mit Berner Bürgerort und Bündner Vergangenheit gestrickt. Langfristig geplant auf jeden Fall habe er seinen beruflichen Werdegang nicht, «aber eine gewisse Logik steckt schon dahinter, wenngleich immer auch Zufälle mitgespielt haben».

Nach dem Maschinenbaustudium zum Beispiel, da hätte ihn die Westschweiz gelockt. Doch bevor der junge Fachmann seine Pläne konkretisieren konnte, wurde ihm von der ETH Zürich eine Assistenzstelle am Institut für Thermische Turbomaschinen angeboten. Ein Angebot, das man nicht ausschlagen darf sagten die Freunde.

Rikli selber brauchte ein bisschen mehr Zeit für seinen Entscheid, kam nach einigem Überlegen indes zum selben Schluss und sagte zu. Er verfasste seine Dissertation mit dem für Laien nur bedingt aufschlussreichen Titel «Rotationssymmetrische räumliche Strömung in der gekühlten Gasturbine» und kümmerte sich um die Instituts-Forschungswerkstatt.

Wenn Dr. sc. techn. Eduard Rikli aus seiner Anfangszeit erzählt, wird klar: Der Mann ist Ingenieur mit Leib und Seele. Auch wenn er heute nicht mehr an Turbospritzen herumplant, sondern am Unternehmen baut. Fehlt ihm bei so viel Herzblut nicht manchmal der Kontakt zur Materie? «Kein Problem», lacht Rikli, «auch Führungsaufgaben lassen Platz für Gestaltungsmöglichkeiten, für Ideen.»

«Allerdings» seine Stimme wird ernst «in meiner Position kann oder darf man nur kreativ sein, wenn das Unternehmen auf einem soliden Fundament steht.» Seine spontane, weniger auf ein konkretes Ziel ausgerichtete Kreativität lebe er dann lieber in der heimischen Werkstatt aus.

Die lässt in Sachen Infrastruktur kaum Wünsche übrig; und hier holt sich Eduard Rikli manchmal jene ganz unspektakuläre, für einen Vater jedoch so wichtige Anerkennung: «Dass mein Sohn mir einmal staunend attestierte, dass ich stets in der Lage sei, seine auf Holz gezeichneten Vorlagen exakt auszusägen, empfinde ich als grosses Kompliment.»

Seine ersten vier Lebensjahre verbrachte Eduard Rikli im Aargau, als der Vater früh verstarb, zog es die Mutter mit ihren zwei kleinen Söhnen wieder zurück ins Elternhaus, nach Champfèr im Oberengadin. «Abgesehen davon, dass ich keinen Vater hatte, war meine Kindheit ein Paradies», gerät der perfekt Rätoromanisch parlierende Bürger von Wangen an der Aare ins Schwärmen, «die Natur, die Menschen, das hat mich schon geprägt.»

Konzentration im Chaos

Der Schulzeit entstammt auch eine Fähigkeit, mit der Eduard Rikli sein Umfeld heute in baffes Staunen versetzt: «Ich kann mich ungemein gut konzentrieren, auch wenn um mich herum ein Riesenkrach oder viel Betrieb ist.» Zugeschrieben werden könne dies wohl dem Umstand, dass er seine Grundbildung in einer Gesamtschule mit zwanzig Kindern und sechs verschiedenen Klassen in einem Schulzimmer erfahren habe. Da lerne man ganz automatisch, sich zu konzentrieren oder abzuschalten. Je nachdem.

Bereits während der Primarschule galt sein wirkliches Interesse dem Büchsenmacher von St. Moritz. Dort entdeckte er bereits früh seine Faszination für Werkzeuge und Maschinen. So war denn auch relativ rasch klar, dass er nach der Schulzeit ein Studium in Angriff nehmen würde, das dieser Affinität Rechnung trägt jenes des Maschinenbaus an der ETH.

Einem Standardwerk seines Professors Walter Traupel aus dieser Zeit entstammt denn auch einer jener Leitsätze, die sich Eduard Rikli zu Herzen genommen hat: Ingenieure sollen ihren Beruf in Ehrfurcht vor der Schöpfung ausüben. Angesichts solch hehrer Ziele erstaunt es doch, dass der promovierte Maschineningenieur sich als erste Stelle in der Privatwirtschaft ausgerechnet diejenige des Leiters in der Entwicklungsabteilung für Maschinenkanonen bei der Oerlikon-Bührle ausgesucht hat.

Achtung von Leben und Produktion von Waffen lässt sich dies mit gutem Gewissen vereinbaren? Rikli scheint diesen Einwand schon öfters gehört zu haben, lange muss er sich nicht um eine Antwort herumdrücken. «Unfrieden hat in erster Linie mit Menschen zu tun, nicht mit Waffen.» Zwei Jahre dauerte das Engagement bei Oerlikon-Bührle, dann wechselte der heute dreifache Familienvater zu Sulzer, wo er für verschiedene Bereiche und Divisionen verantwortlich zeichnete und schliesslich Aufgaben in der Konzernleitung übernahm.

Erst jetzt beginne er eigentlich zu realisieren, wie lange er beim Winterthurer Konzern tätig gewesen sei. «17 Jahre da habe ich natürlich gute und schwierige Zeiten erlebt, aber bereuen werde ich keinen einzigen Schritt, den ich dort gemacht habe.» Nun, auf Ende 2003, ist er bei Sulzer abgetreten als einer der dienstältesten Manager und wagt noch einmal so etwas wie einen Neuanfang.

Lieber reden als mailen

Mit 52 habe er noch eine spannende, intensive und hoffentlich auch schöne Zeit im Berufsleben vor sich, begründet Eduard Rikli sein wohl überlegtes Engagement bei Mikron mit ganz grundlegenden Erwartungen. Die Substanz für den Erfolg sei beim Unternehmen, das ihm bereits während seiner Mittelschulzeit ein Begriff gewesen ist, durchaus vorhanden, ist sich der neue CEO sicher.

Viel mehr will er zur momentan nicht unbedingt rosigen Situation, in der die Technologiegruppe steckt, nicht sagen. Als Erstes wolle er die Leute kennen lernen, die hinter der Firma stünden. Und dies soll nicht per Videokonferenz geschehen. Denn Eduard Rikli, der interne Entscheide «mit einer Stimme» nach aussen kommuniziert haben will, ist nicht unbedingt ein Freund moderner Kommunikationsmittel.

«Am liebsten gehe ich persönlich vorbei und spreche mit der betreffenden Person, im Endeffekt ist das meiner Ansicht nach die effizienteste und vor allem die nachhaltig wirkungsvollste Lösung.»

Das bedeutet im konkreten Falle, viel zu reisen. Denn Mikron ist weltweit mit 35 Gesellschaften vertreten, die Geschäfte macht das Schweizer Unternehmen zum Grossteil im Ausland. Um nicht auch noch im normalen Arbeitsalltag allzu viel unterwegs sein zu müssen, hat sich Eduard Rikli in Biel eine Wohnung genommen, die Familie bleibt in Zürich.

Für ihn ein logischer Entscheid, denn vor Ort will der Manager auch den direkten Kontakt zu Kultur und Behörden pflegen. «Vor fast 30 Jahren hat es mich in die Westschweiz gezogen», bemerkt Eduard Rikli, «und nun bin ich quasi hier angekommen.» An der Mühlebrücke, handgestoppte sieben Minuten vom Bieler Bahnhof entfernt.

Profil: Steckbrief

Name: Eduard Rikli

Funktion: CEO Mikron Technology

Alter: 52

Wohnort: Zürich/Biel

Familie: Verheiratet, drei Kinder

Karriere:

1986-1989 Technischer Leiter Turbokompressoren Sulzer-Escher Wyss

1990-1995 Produktbereichsleiter Sulzer Turbo

1996-1998 Leiter Konzernentwicklung Sulzer, Konzernleitungsmitglied

1998-2002 Leiter Sulzer Roteq, Division Sulzer Services und Equipment, Division Sulzer Metco

Firma:

Mikron: Die Technologie-Gruppe konzentriert sich heute auf den Bau von Anlagen und Systemen sowie auf die Hochvolumenproduktion von Kunststoffkomponenten und -baugruppen für Automobilzulieferer, für Medizinalgeräte, die Unterhaltungselektronik, Elektrogeräte, für optische Medien und die Dokumentenverarbeitung. Mikron beschäftigt in weltweit 35 Gesellschaften rund 3000 Mitarbeiter. Im Geschäftsjahr 2002 fuhr der Konzern einen Verlust von 141 Mio Fr. ein. Mitte des letzten Jahres schoss eine Investorengruppe um Swissmem-Präsident Schneider-Ammann rund 100 Mio Fr. ein.