So sieht also der wichtigste Standort einer weltumspannenden Firma aus. Die gusseiserne Eingangspforte hat Patina angesetzt, der Aufgang zu der dreigeschossigen Villa glänzt nicht mit der Herrschaftlichkeit vieler Anwesen hier am Zürichberg. Zwei Besucherparkplätze liegen rechts neben dem Gebäude, so schüchtern beschildert, dass kaum ein Neuankömmling sie findet. Vor dem Haus gibt es gerade vier öffentliche Parkplätze, die Parkuhr weist einen Stundentarif von 50 Rappen aus. «Die Polizei ist hier sehr aktiv unterwegs», begrüsst die Empfangsdame an der Réception den Gast. «Ich stecke gern Geld in die Parkuhr, wenn Ihr Termin länger dauert.»

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Willkommen im Gründungsbüro der Firma, die so erfolgreich wie keine andere die Chefs der Weltkonzerne sucht. «Egon Zehnder Management Consultants» steht auf der Goldtafel an der Villa in der Nähe des Zürcher Toblerplatzes, von der aus die Firma vor fast 50 Jahren ihren Siegeszug um die Welt antrat. 12 der mehr als 400 Personalberater residieren hier in ruhigen Einzelbüros. Obwohl die Schweiz längst nicht mehr das umsatzstärkste Land ist, haben die Mitarbeiter des Gründungsbüros noch immer eine spezielle Stellung. Wer sie fragt, ob die Villa noch zeitgemäss sei, erntet verständnislose Blicke: «Die Villa ist unsere Wiege, die würden wir nie aufgeben», betont Bürochef Frank Heckner. «Sie ist Egons Vermächtnis.»

Der Mann, den sie intern nur Egon nennen, hat die Villa seit zwölf Jahren nicht mehr betreten. 200 Meter um die Ecke hat Egon Zehnder seinen Sitz bezogen, und dort empfängt er noch immer junge Aspiranten, die in die grosse Zehnder-Familie aufgenommen werden wollen. Ein weltweit einmaliges Ritual: Etwa 40 Jobinterviews hat jeder Bewerber zu absolvieren, bis er zum erlauchten Kreis gehören darf. Und Höhepunkt für die Kandidaten aus aller Welt, von Buenos Aires bis Tokio, ist das Gepräch mit dem legendären Firmengründer.

«Ist Zürich nicht eine schöne Stadt?», begrüsst der 83-Jährige seinen Gast und lässt seinen Blick vom Balkon über seine Heimatstadt und den See schweifen. An den Wänden hängen Stiche von den Niederlassungen, die bis zu seinem Rücktritt als Chairman im Jahr 2000 eröffnet wurden. Noch heute kommt er jeden Tag ins Büro, stets mit Krawatte. Ein Familienfoto zeigt ihn im Kreis seiner 5 Kinder und 16 Enkelkinder – mit dem Kommentar: «Der Einzige, der auch am Wochenende eine Krawatte trägt.» Er zeigt sich noch bei den Anlässen des Harvard Club oder der Swiss-American Chamber of Commerce und natürlich beim Sechseläuten bei der Gesellschaft zur Constaffel. Aus der medialen Öffentlichkeit hat er sich jedoch seit seinem Rücktritt zurückgezogen, und dass er jetzt für den BILANZ-Artikel zur Verfügung steht, bedurfte massiver Überzeugungsarbeit. «Schreiben Sie vor allem einen Satz», fordert er: «Meine Leistung ist, dass ich weg bin und nicht mehr gebraucht werde.»

Weg und doch präsent. Doch er ist nicht wirklich weg. Die höchst diskrete Partnerschaft Egon Zehnder, die erstmals für BILANZ Einblick in ihre Arbeit gewährt, ist von Zürich aus zum erfolgreichsten Vermittler von Führungskräften auf der Welt aufgestiegen. In der Schweiz und in Europa ist sie mit grossem Abstand Marktführer, in Schwellenländern wie Indien oder Brasilien glänzt sie mit üppigen Wachstumsraten, und selbst in den USA, dem Heimmarkt der vier grossen Konkurrenten, hat sie als einzige europäische Firma in der Spitzenliga Fuss gefasst. Zwar sind die Rivalen von Korn/Ferry International etwas grösser (siehe Tabelle rechts), doch sie erzielen zwei Drittel des Umsatzes in den USA. Von den grossen fünf ist keine Firma international so breit aufgestellt wie Egon Zehnder: 66 Büros in 40 Ländern, 1600 Mitarbeiter, 426 Berater, davon 230 Partner. Und das ohne einen Franken Fremdkapital.

Über all dem schwebt der Geist des Gründers. Die 15 Berater, mit denen BILANZ sprechen konnte, zitieren ihn immer wieder. «Egon hat nicht nur die Firma aufgebaut und mit einem einmaligen Wertesystem versehen», betont der frühere Schweiz-Chef Philippe Hertig. «Er hat sie auch an uns Partner übergeben, statt sie uns für zig Millionen zu verkaufen. Wir schulden ihm viel.» Und dann, nach kurzer Pause: «Dieser Mann ist ein Vorbild – in jeder Hinsicht.»

Es ist eine Firma der Paradoxe. Zehnder profitiert von der dramatischen Beschleunigung des Geschäftslebens: Die durchschnittliche Amtsdauer von Unternehmenschefs liegt in Europa bei gerade fünf Jahren, in den USA ist sie noch tiefer – doch die Firma ist eine Oase der Konstanz. Die Fluktuation unter den Beratern liegt bei 2 bis 3 Prozent, gegenüber 20 bis 30 Prozent bei den Rivalen, und die zentrale Frage, die Egon Zehnder den Anwärtern stellt, lautet: «Können Sie sich vorstellen, Ihr gesamtes restliches Berufsleben bei uns zu verbringen?» Als Symbol der Kontinuität schafft es seine Assistentin Brigitte Jentsch sogar in die Firmenchronik: Sie war seine erste Mitarbeiterin im Jahr 1964 – und koordiniert heute noch seine Aktivitäten.

Egalitäre Liberale. Ebenfalls paradox: Die Kandidaten, die Zehnder vermittelt, sind hoch ambitionierte, oft geld- und statusgetriebene Einzelkämpfer; Zehnder selbst stellt dagegen «Client First» und das Teamwork über alles, jegliche Starkultur ist verpönt. Die Berater tragen nicht einmal Titel auf ihrer Visitenkarte, und die Gewinne verteilen sie zu Jahresende an alle. Nur wer länger dabei ist, bekommt mehr, individuelle Leistung spielt kaum eine Rolle. «Wir sind eine sozialistische Firma im Dienste eines liberalen Gesellschaftsmodells», schmunzelt der Genfer Bürochef Thomas Allgäuer.

Die Firma wird intern zuweilen mit dem Jesuitenorden verglichen, und da passt es, dass der Statthalter des Firmengründers ein ehemaliger Pfarrer mit abgeschlossenem Theologiestudim ist. Der Australier Damien O’Brien arbeitete in seiner Heimat als Geistlicher, doch verliess er seinen Posten, als er sich in seine heutige Frau verliebte, mit der er vier Kinder hat. Nach einigen Jahren bei der Unternehmensberatung McKinsey begann er 1988 bei Zehnder, wurde 2008 CEO und zwei Jahre später zusätzlich noch Chairman, wofür er sich im Gespräch erst mal entschuldigt: «Bei unseren Kunden setzen wir uns für eine Teilung der Rollen ein, deswegen ist das Doppelmandat bei uns eine Ausnahme.» Dass er derzeit noch beide Rollen ausübt, liegt vor allem an seiner konsequenten Wahrung der Firmenwerte: «Egons Werte sind fantastisch, und mein Ziel ist, sie in der Firma zu verankern.»

Als der Firmengründer im letzten Jahr seine letzten Aktien, die sogenannten A-Shares, die ihm seit vier Jahrzehnten ein Vetorecht gegen einschneidende Massnahmen wie Umbenennung, Verkauf oder Börsengang verliehen, an die Partner übertrug, lobte er seine Nachfolger schon fast überschwänglich für ihre gewissenhafte Fortschreibung seines Lebenswerks. Damien O’Brien sass in der ersten Reihe, anschliessend liess die Partnerschaft Egon Zehnders Rede in ein kleines Büchlein drucken, das an die Mitarbeiter und ausgewählte Kunden verteilt wird. Dass der Gründer auch diese letzten Aktien zum Nominalwert übergab, war für ihn selbstverständlich. Seine Firma wie etwa der deutsche Unternehmensberater Roland Berger zum besten Preis an seine Nachfolger zu verkaufen, war für ihn undenkbar: «Das wäre schäbig gewesen.»

So ist die Erfolgsgeschichte von Egon Zehnder vor allem eine Fallstudie, wie starke Werte über Generationen weitergetragen werden können. Nach Jus-Doktorat in Zürich und MBA an der Harvard Business School sowie drei Jahren bei dem Werbekonzern McCann Erickson übernahm der junge Egon Zehnder 1960 für einen gewissen Spencer Stuart, der vier Jahre zuvor in Chicago seine Headhunter-Firma gegründet hatte, von Zürich aus den Aufbau des Europa-Geschäfts. Schnell gelangte er in dem noch jungen Geschäft an prominente Kunden wie Alfred Schäfer von der Schweizerischen Bankgesellschaft oder Hermann Josef Abs von der Deutschen Bank, die damals prägenden Bankiers in der Schweiz und Deutschland. «Mit Ihrem Provisionsmodell sind Sie ja ein Broker für Köpfe», warf ihm Schäfer zu, als Egon Zehnder ihm mal wieder einen Kandidaten vermittelt hatte. Zehnder fühlte sich fast schmutzig – es störte ihn, dass er nicht als Berater auf Augenhöhe, sondern als Provisionsjäger gesehen wurde. Er hatte sein Ideal vor Augen: An der Harvard Business School hatte er sein Zimmer geteilt mit Al McDonald, dem späteren legendären McKinsey-Chef.

Sparringpartner. Das war die Firma, deren Berater von den Firmenchefs als strategische Sparringpartner akzeptiert wurden, und diesen Ansatz wollte Zehnder auf die Rekrutierungsbranche übertragen. Spencer Stuart bezog pro vermittelte Person einen Prozentsatz des ersten Jahressalärs. So funkioniert die Branche bis heute: Headhunter kassieren typischerweise 30 bis 40 Prozent des ersten Jahressalärs eines neu vermittelten Kandidaten, und der Bonus des Beraters ist direkt an seine individuelle Leistung gebunden. Die Folge: Die Kadervermittler profitieren von der Salär-Aufschaukelung, was ihrem Image nicht förderlich ist. In den sechziger Jahren waren die Toplöhne zwar noch weit von heutigen Dimensionen entfernt, doch der Mechanismus empörte Zehnder schon damals. Er beschwerte sich mehrfach bei Spencer Stuart. «Dann geh doch», erwiderte der Amerikaner. Das tat er: Er kündigte und gründete 1964 in Zürich die Firma Egon Zehnder International. Nach wenigen Jahren bezog er die Villa an der Toblerstrasse. Als Leitlinie galt sofort: Wir legen mit dem Kunden ein festes Honorar fest, und das ist nicht an dessen Salär gekoppelt.

Anders als Andere. Seit diesen Tagen ist Zehnder der Exot in der globalen Executive-Search-Szene. Alle wichtigen Anbieter haben sich im Branchenverband AESC, der «Association of Executive Search Consultants», zusammengeschlossen, auch die grossen vier Rivalen aus den USA sind dabei. Bloss Zehnder nicht, weshalb die Konkurrenz die Firma wahlweise als snobistisch, arrogant oder abgehoben brandmarkt. Verschärft wird die Ablehnung durch die konsequente Weigerung, Berater von Mitbewerbern einzustellen – sie gelten als verseucht von der Provisionskultur. Der Streit entzündet sich schon an der Berufsbezeichnung: Wer sich den Unmut der Zehnder-Partner zuziehen will, muss sie nur als Headhunter bezeichnen. Mehrfach hat der CEO O’Brien seine Bedingungen an den Branchenverband gestellt: Die Firma werde nur beitreten, wenn die Mitglieder die provisionsbasierte Bezahlung abschafften. Doch das war aussichtslos. Jüngst versuchte es der Verband mit einem Trick: Sie wollten Egon Zehnder ihren grossen Preis, den «Executive Search Award», verleihen, was für einen Europäer eine besondere Ehre ist. Dazu hätte der Firmengründer im Juni zur Preisverleihung nach New York reisen müssen. Zehnder besprach sich mit O’Brien – und sagte ab.

Die Verbindung zu McKinsey ist auch heute noch eng. Allein 6 der 16 Berater in der Schweiz kommen von der Unternehmensberatung. Einen gravierenden Unterschied gibt es allerdings: Das McKinsey-Modell basiert auf hoher Fluktuation nach dem Motto «Up or out» – nur wenige Berater verbringen ihr gesamtes Berufsleben in der Firma. Bei Zehnder ist das Gegenteil der Fall. «Wir sind McKinsey für Erwachsene», witzelt der Zürcher Partner Hertig.

Deshalb ist die Auswahl der Berater so zentral. Zehnder leistet sich den weltweit wohl aufwendigsten Rekrutierungsprozess, der selbst wählerische Firmen wie Google daneben verblassen lässt. Einstellungsvoraussetzung sind ein Abschluss in zwei Studienfächern oder ein Doktorat und dann etwa zehn Jahre Berufserfahrung mit aussergewöhnlichen Meriten. Unabhängig von der Konjunktur stellt Zehnder jedes Jahr 20 bis 50 neue Berater ein. Selbst in der Finanz- krise, als Rivalen wie Heidrick & Struggles Stellen strichen, stockte die Firma auf.

Berufung statt Bewerbung. Die wenigsten Neuzugänge bewerben sich aktiv. Meistens sprechen die Bürochefs rund um die Welt neue Kandidaten direkt an. Es folgt die typische Reaktion: «Daran habe ich noch nie gedacht, aber ich schaue es mir mal an.» Dann beginnt der Interviewmarathon: Jeder neue Kandidat trifft zuerst die Berater in seinem lokalen Büro, dann ausgewählte Partner rund um die Welt und natürlich den CEO. Zwischen 30 und 40 Jobinterviews stehen so an, mit dem Gespräch mit Egon Zehnder in Zürich als Finale. Es geht nicht nur um die fachliche Kompetenz – die wird durch die Empfehlung des Bürochefs vorausgesetzt. Der Prozess soll vor allem herausfiltern, ob der Kandidat in die Zehnder-Familie passt: langfristig orientiert, teamfähig, nicht primär geldgetrieben, kundenorientiert, mit Interessen ausserhalb der Arbeit und stabilem Familienleben.

«Als ich gesehen habe, was das für spannende und wache Persönlichkeiten waren, stieg mein Interesse sofort», erinnert sich Zürich-Chef Heckner. «Am Anfang hat mir der Gedanke Angst gemacht, mein gesamtes restliches Berufsleben hier zu verbringen», sagt der 41-jährige Zürich-Partner Dominik Schaller. «Jetzt freue ich mich darauf.» Der hohe Wert der Familie strahlt aufs Privatleben ab. «Wie Egon haben zahlreiche Partner viele Kinder», betont der frühere Deutschland-Chef und fünffache Vater Johannes von Schmettow.

Nach der Aufnahme firmiert man intern als sogenannter «Pre-Partner». Der Neuzugang ist seinem lokalen Büro zugeordnet und schliesst sich einem der sechs Fachbereiche, Practice Groups genannt, an (siehe Grafik unten). Das Ziel ist, nach fünf bis sechs Jahren in die Partnerschaft aufgenommen zu werden. Die Beraterschaft, so das Ziel, soll je zur Häflte aus Partnern und Pre-Partnern bestehen, und mit leichten Schwankungen gelingt das auch. Gegenüber dem Kunden wird der unterschiedliche Status nicht ausgewiesen. Der Klient hat immer direkt mit dem Berater zu tun – es soll vermieden werden, dass wie bei anderen Firmen ein Partner und drei Nachwuchskräfte auftauchen. Die Wahl zum Partner, die einmal pro Jahr im Rahmen des Partner-Meetings stattfindet, muss mit einer Zweidrittelmehrheit geschehen. «Das war ein sehr harter Prozess», erinnert sich Andreas Zehnder, der zweitälteste Sohn des Firmengründers, der vor zwölf Jahren von McKinsey zur Firma kam. Jeder Pre-Partner bekommt einen Evaluator aus der Partnerschaft. «Da wurde jeder meiner 114 Searches geröntgt», erinnert er sich: «Die Kundenzufriedenheit, meine analytische Schärfe, meine Teamfähigkeit – alles.» Seinem jüngeren Bruder Peter, vor drei Jahren von der «Zürich» dazugestossen, steht die Aufnahme in die Partnerschaft noch bevor.

Scheitern gibt es nicht. Allerdings: Scheitern steht nicht auf dem Programm, im schlimmsten Fall muss die Ernennung ein Jahr warten. Nach dem Sprung zum Partner bleibt die Betreuung der Bewerber und Pre-Partner ein wesentlicher Teil der Arbeit – sie nimmt bis zu einem Viertel der Zeit in Anspruch. Alle Partner, mit Ausnahme des CEO und des CFO, betreuen Kunden. Auch die Bürochefs dürfen die Kundenarbeit nur leicht reduzieren, und nach etwa fünf Jahren nehmen sie wieder ihre vorherige Arbeit auf. 60 Prozent des Gewinns werden gleich verteilt, 40 Prozent nach Seniorität. Auf gut eine Million Franken schätzen Konkurrenten das Lohnpaket der dienstältesten Topverdiener in einem guten Jahr – die erfolgreichsten Headhunter der Konkurrenz holen mehr als das Dreifache. «Wir sind eine surreale Firma», betont Andreas Zehnder. «Wir können nur überleben, wenn alle Mitarbeiter glauben, dass der Teamgedanke im Dienst des Kunden wichtiger ist als Geld.»

Hauptwerkzeug des Teamgedankens ist die Datenbank. Seit dem Aufkommen von sozialen Medien und spezialisierten Rekrutierungsplattformen wie LinkedIn herrscht in der Branche ein heftiger Streit über den Sinn dieser eigenen Datensysteme, die aufwendig betreut werden müssen – Zehnder leistet sich für jeden Berater einen Research-Mitarbeiter. Für den klassischen Headhunter, der auf Provisionsbasis arbeitet, ist der Kollege in der eigenen Firma auch immer Rivale, und das schmälert den Anreiz, vertrauliche Informationen in die eigene Datenbank einzuspeisen. Anders bei Zehnder. «Ich benutze die Datenbank mindestens zwei Stunden täglich», betont der Zürcher Berater Clemens Hoegl. Denn ein Grossteil der Arbeit besteht darin, mit Topmanagern Kontakt zu halten. Nach jedem Telefonat, jedem Treffen schreiben die Berater eine Notiz ins System, das allen zugänglich ist. Persönlichkeit, Führungskompetenz, Karriereziele – alles findet dort seinen Eintrag. Und wenn ein Mandat zu vergeben ist, haben die Zehnder-Leute eine Datenvielfalt, die sich, so behaupten sie zumindest, von der Konkurenz abhebe. Tatsache ist: Flops sind nicht bekannt. Heidrick & Struggles etwa kam massiv unter Beschuss, weil der von ihr vermittelte Yahoo-Chef Scott Thompson seinen Lebenslauf geschönt hatte, und Spencer Stuart musste mit ansehen, wie der von ihr vermittelte Jürg Schmid seinen Job als SBB-Personenverkehrs-Chef nach neun Tagen hinschmiss und zurück zu Schweiz Tourismus wechselte. Natürlich reden die Zehnder-Berater auch unter Androhung von Folter nicht über ihre Klienten, auch da sind sie ganz McKinsey-geprägt. Doch manchmal tun es die Kunden selbst, wohl auch, um die Seriosität der Suche zu unterstreichen – so zum Beispiel die UBS, ABB oder die «NZZ».

Der Teamgedanke ist auch bei der Expansion zentral. Der Firmengründer hatte schon früh internationalisiert – nach fünf Jahren war er in Brüssel und Paris, nach zehn Jahren in Tokio und Melbourne. Heute ist die Welt mit 66 Büros fast erschlossen, gerade läuft die Eröffnung des Büros in Bangkok. Doch immer wieder gibt es im Partnergremium Debatten, ob Krisenbüros geschlossen werden sollten – Verlustbringer zehren am Gewinn. Doch ob Buenos Aires 1998, Moskau 2001 oder Madrid 2011 – immer waren sich die Partner am Ende einig, die harten Zeiten zusammen durchzustehen. In Asien ist der Fortschritt beachtlich, auch wenn die Honorare noch tiefer und die meisten Vermittlungen lokal sind. In Indien ist die Firma doppelt so gross wie die Nummer zwei, und Delhi-Chef Rajeev Vasudeva sieht grosses Potenzial: «Wir werden unser Geschäft in den nächsten drei Jahren verdoppeln.» Auch in Singapur ist Zehnder mit zehn Beratern die Nummer eins. «Wir profitieren enorm von der Globalisierung», betont Bürochefin Elaine Yew.

Besonders stolz ist Zehnder auf die Expansion in den USA. Als einzige europäische Partnerschaft ist sie dort unter die Top 5 vorgestossen, mit einem Honorarvolumen von fast 115 Millionen Dollar ist das Land heute die Nummer eins im Zehnder-Reich – die Schweiz belegt Rang fünf. Zehn Büros hat die Firma in den USA, die globale Industriepraxis, mit 27 Prozent Umsatzanteil die grösste, wird vom indischstämmigen Sanjay Gupta von Dallas aus geführt. «Wir sind hier voll akzeptiert», betont er.

Kehrseite. Doch die USA zeigen auch die Schattenseite des Modells. Dort ist das Leistungsdenken auf eigene Rechnung prägend. Dass Durchschnittsperformer bei Zehnder besser überleben können, ist für US-Partner schwer zu akzeptieren. Gegen zu viel Harmonie hilft der Druck der Kollegen, doch es gibt immer wieder Berater, die durchgeschleppt werden.

Kündigungen gibt es nicht, Abgänge sind selten. Zum Beispiel Heiner Thorborg, der für Zehnder in den Achtzigern das Frankfurter Büro aufbaute und sich dann selbständig machte. «Ich wollte unternehmerisch tätig sein, und das war bei Zehnder nicht so möglich, wie ich es mir gewünscht hätte», betont Thorborg.

Dazu kommt das Problem der Grösse. Kleine Anbieter wie Thorborg oder Bjørn Johansson in Zürich riskieren selten Interessenkonflikte, weil die sogenannten Off-Limits-Zonen kleiner sind. In Ländern wie der Schweiz, Deutschland oder England berät Zehnder jedoch so viele Firmen, dass dies zum Problem werden kann – die eigenen Grundsätze verbieten es, Mitarbeiter bei Kunden abzuwerben. Wachstum ist hier kaum noch möglich.

Zehnder hat zudem mit der Grösse ein spezielles Problem: Wie sollen die familiäre Atmosphäre und der Teamgedanke aufrechterhalten werden, wenn jedes Jahr 25 neue Berater hinzustossen? «Das ist für uns die entscheidende Frage der nächsten Jahre», sagt Deutschland-Partner von Schmettow.

Der Firmengründer sieht das gelassen. «Schon als wir zehn Berater waren, haben wir diskutiert, ob wir nicht zu gross werden», betont Egon Zehnder. «Die neue Generation ist so gut: Sie wird auch dieses Problem lösen.»