Was haben Serono-Chef Ernesto Bertarelli, Oracle-Hauptaktionär Larry Ellison und Microsoft-Mitbegründer Paul Allen gemeinsam? Sie sind dank ihren Unternehmen alle zu Milliardären geworden. Sie sind Segelfans. Und sie sind bereit, für den Sieg bei der prestigeträchtigsten aller Regatten, dem America’s Cup, Abermillionen aus ihrem Privatvermögen zu investieren.

Auch wenn Ernesto Bertarelli bereits als Kind in seinem Zimmer Fotos von Jachten hängen hatte, die sich um den America’s Cup duellierten – die Teilnahme am legendären Wettbewerb ist mehr als nur eine Laune des segelbegeisterten jungen Milliardärs. Denn immerhin steht dieses Rennen in Sachen Medienwirksamkeit hinter den Olympischen Spielen und den Fussballweltmeisterschaften gleich an dritter Stelle. Die beste PR-Plattform also für Serono. Und auch dem Image der Schweiz würde es gut tun, sollte es das Team, mit dem Ernesto Bertarelli bereits dreimal die Genfersee-Regatta Bol d’Or gewonnen hat, ins Finale schaffen.

Die Schweiz nimmt nicht zum ersten Mal am America’s Cup teil; letztes Jahr erzielte die «Fast 2000» von Marc Pajot jedoch nur einen Punkt und schied bereits in einem frühen Stadium des Rennens aus. Auch Ernesto Bertarelli war an diesem gescheiterten Unterfangen beteiligt – rückblickend war die Pleite eine Gelegenheit, Erfahrungen zu sammeln, um nun der hoch qualifizierten Konkurrenz die Stirn bieten zu können.

Das Projekt Alinghi, wie die Operation America’s Cup später heissen sollte, nahm seinen Anfang im Februar 2000. Ernesto Bertarelli bittet seinen Freund Michel Bonnefous, einen Anwalt und Treuhänder, der sich bereits seit einigen Jahren um die Segelaktivitäten des Milliardärs kümmert, ihn ins neuseeländische Auckland zu begleiten: Gemeinsam wollen sie einer Regatta des America’s Cup beiwohnen. «Erst vor Ort wurde uns die Tragweite dieses Wettkampfs bewusst», erinnert sich Bonnefous. «Es war beeindruckend, die Segelteams gleichen jenen an Formel-1-Rennen. Unsere Lust, eine Herausforderung dieser Grössenordnung anzunehmen, wuchs zusehends. Gleichzeitig standen wir vor einem riesigen Problem: wo beginnen?»

Jetzt kommen Ernesto Bertarellis Spürsinn und Entscheidungsfreude zum Tragen. Als man ihm am Rande des Geschehens Boote anbietet, spürt der Serono-Boss, dass «der Schlüssel zum Erfolg in erster Linie bei der Wahl der richtigen Crew-Leute und weniger beim Material liegt», so Michel Bonnefous. Und wer ist für eine solche Herausforderung besser geeignet als der grosse Russell Coutts? Ein Handschlag, und der erste Schritt ist getan: Der berühmte neuseeländische Skipper, der die beiden letzten Austragungen des America’s Cup gewonnen hat und als bester Segler der Welt gilt, würde die Schweizer Flagge verteidigen. Zehn Millionen Franken Gehalt, so geht das Gerücht, soll allein er für das America’s-Cup-Abenteuer bekommen.

In einer ersten Phase gilt es, ein Segelteam zusammenzustellen. Auch hier ist nur das Beste gut genug: Die 32 Segler aus zehn Nationen haben zusammen 67 Weltmeistertitel gewonnen, 47-mal am America’s Cup teilgenommen und ungezählte Weltumsegelungen hinter sich. «Die Welt des Segelsports ist klein, man kennt die Spitzensegler, wir mussten lediglich die besten unter ihnen auswählen», bemerkt Michel Bonnefous. Nun ist schnelles Handeln angesagt, denn das Cup-Reglement verlangt, dass alle ausländischen Segler vor dem 1. März 2001 ihren Wohnsitz in das Land verlegen müssen, für das sie starten. Die Segler werden samt ihren Familien in die Schweiz verschoben. Für die paar Monate müssen Unterkünfte, aber auch Schulen für die Kinder gefunden werden.

Finanzierung gesichert
Acht Monate später steht ein richtig gehendes Unternehmen mit zwischen 85 und 100 Mitarbeitern auf den Beinen. An der Spitze die drei Chefs: Ernesto Bertarelli, Präsident; Russell Coutts, Chief Executive Director und Skipper; Michel Bonnefous, Chief Executive Director und administrativer Leiter. Die übrigen Teammitglieder: die 32 Segler (darunter 8 Schweizer), zudem 12 Verantwortliche für Forschung und Design, 25 Bootsbauer, 17 Logistikfachleute sowie 12 Kommunikations- und Marketingverantwortliche.

Gleichzeitig musste die Finanzierung des Projekts gesichert werden. Um zu zeigen, dass man das Projekt auf jeden Fall durchziehen werde, leistet Ernesto Bertarelli eine persönliche Budgetgarantie von 100 Millionen Franken. Was er sich, wie ein Blick auf die BILANZ-Liste der 300 reichsten Schweizer zeigt, auch leisten kann. Etwas später beschliesst er indes, sich die Rechnung mit anderen zu teilen. Zwar verfügt das Schweizer Team über ein grosszügigeres Budget als die meisten anderen Crews, die sich mit 15 bis 30 Millionen Schweizerfranken begnügen müssen. Aber den wichtigsten Herausforderern stehen zum Teil noch grössere Summen zur Verfügung, so etwa dem italienischen Prada-Team (50 bis 60 Millionen US-Dollar), den Neuseeländern (ebenfalls 50 bis 60 Millionen) oder den Amerikanern (100 Millionen).

Laut den Berechnungen von BILANZ dürfte Ernesto Bertarelli rund 65 Millionen aus seiner eigenen Tasche zahlen, während die beiden Hauptpartner je 10 Millionen und die drei Co-Sponsoren je 5 Millionen beitragen dürften. Im Januar steigt dann die UBS ein, die bereits mehrere Segelwettkämpfe gesponsert hat, darunter die berühmte «UBS Switzerland» von Pierre Fehlmann im Jahr 1993/94. Zweite Hauptsponsorin ist die Kommunikationsfirma Infonet, an der die Swisscom knapp 18 Prozent hält. Die Co-Sponsoren: Riri, der Tessiner Reissverschlussfabrikant, und die Uhrenmarke Audemars Piguet. Derzeit sind Marketingleiter Michel Hodara und seine Mitarbeiter noch auf der Suche nach dem Dritten im Bunde.

Das Geheimnis der richtigen Boote
Eine entscheidende Etappe ist der Bau der beiden Class-America-Jachten, die beide mit je 1,5 bis 2 Millionen Dollar zu Buche schlagen. «Wir erleben den Cup eigentlich schon jetzt», sinniert Bootsbauer Betrand Cardis. Denn für seine Firma Décision im Waadtländer Fenil-sur-Corsier, die den Zuschlag für den Bau eines «möglichst leistungsfähigen Boots» erhalten hat, bedeutet dieser Auftrag eine Würdigung ihrer Arbeit während der letzten 15 Jahre.

Den 32 Seglern stehen derzeit zwei Jachten zur Verfügung: das Boot Nr. 0, die «Fast 2000» von Marc Pajot, die am letzten America’s Cup teilnahm und anschliessend von Ernesto Bertarelli aufgekauft wurde. Nach ein paar Modifikationen diente das Boot in der ersten Projektphase auf dem Genfersee und anschliessend in Südfrankreich als Trainingsjacht. Boot Nr. 1 wurde soeben fertig gestellt und soll am 2. November per Luftfracht nach Auckland verschickt werden. Der Bau des dritten Segelboots, des Boots Nr. 2, soll Ende Januar 2002 in Angriff genommen und vier Monate später abgeschlossen werden.

Wodurch unterscheidet sich die «Alinghi» (ein von Bertarelli erdachter Fantasiename) von den Jachten der Konkurrenten? «Der Bootsbau ist von Geheimnissen umwittert», sagt Bertrand Cardis, «man weiss ja auch nicht, was die anderen so machen.» Ein Geheimrezept, basta. Aber auch eine Fülle kleiner Innovationen. Die beiden Boote aus der Waadtländer Werft werden parallel gesegelt – für den Wettkampf wird dann schliesslich das wendigere von beiden genommen.

Die Erfolgschancen zu verbessern hofft man durch die Beteiligung der ETH Lausanne. 5 Labors, 15 Wissenschaftler und rund 15 Studierende arbeiten unter der Projektleitung von Jan-Anders Manson mit. Der ETH-Professor ist begeistert von «dieser einmaligen Chance, die Ergebnisse der Grundlagenforschung direkt anwenden zu können». Bei dieser Forschungspartnerschaft ist Materialkunde gefragt, vor allem um die Rumpfform zu optimieren und die Materialfestigkeit zu testen. Computersimulationen ermitteln die Form des unterhalb der Wasserlinie liegenden Rumpfteils und analysieren das Verhalten des Bootes im Wasser. Und die Kosten dieser Zusammenarbeit? Es ist ein Deal, bei dem kein Rappen fliesst: Die ETH erhält durch ihre Beteiligung eine erhebliche Medienpräsenz, und Alinghi profitiert von den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen.

Teamgeist oberstes Ziel
Das nächste Kapitel dieses Abenteuers wird sich in Auckland abspielen, wo Alinghi in Kürze über eine eigene, vom Schweizer Architekten Ugo Brunoni entworfene Basis verfügen wird. Ein Novum ist, dass das Hauptquartier der Öffentlichkeit zugänglich sein wird. Ein Ort der Begegnung, wo man mit den Seglern in Kontakt treten, Merchandisingartikel kaufen und den Wettkampf auf einem Riesenbildschirm verfolgen kann. Damit wird mit dem geheimnisvollen Gehabe gebrochen, das die Crews während des America’s Cup in der Regel an den Tag legen.

So schwierig die Fragen der Finanzierung, der Teamzusammenstellung und des Bootsbaus waren, so komplex ist das Management. Zu Beginn des Projekts gingen Ernesto Bertarelli und seine beiden Executive Directors für sechs Tage in Klausur, um «nachzudenken, was wir eigentlich sein wollen», erinnert sich Michel Bonnefous. «Wir stellten gewisse Regeln auf, hielten unsere Wertvorstellungen fest. Unser oberstes Ziel war es, eine Mannschaft aufzubauen, auf die wir stolz sein können und die in der Lage sein würde, den America’s Cup zu gewinnen. Wir wollten die Leute ermutigen, sich hoch gesteckte Ziele zu setzen. Der Teamgeist stand für uns von der ersten Stunde an im Vordergrund.»

So wurden zahlreiche Aktivitäten mit der Mannschaft organisiert, wie Ausflüge, Partys, Spiele und eine Nachtwanderung in den Bergen, um den Integrationsprozess zu fördern. Und selbstverständlich tragen alle Alinghi-Mitglieder bei jedem öffentlichen Auftritt die Teamuniform: ein graues Hemd mit dem aufgestickten Logo des Teams und der beiden Hauptsponsoren. Schlicht, aber wirksam, nicht nur um das Image in der Öffentlichkeit zu fördern, sondern auch den inneren Zusammenhalt.

Hierarchien nicht gefragt
Regel Nummer eins im Team Alinghi: Offenheit in den zwischenmenschlichen Beziehungen. Regel Nummer zwei: Wertschätzung für die Ideen anderer. «Das heisst im Klartext, dass niemand Angst davor haben muss, sich öffentlich zu äussern, denn Auslachen wird nicht toleriert», präzisiert Michel Bonnefous. Schliesslich müssten Leistungen anerkannt und gute Ideen gewürdigt werden. Ein weiterer Grundsatz ist eine offene Informationspolitik. «Im Gegensatz zu anderen Teams, die mit Informationen geizen, können bei uns alle Teammitglieder an sämtlichen Sitzungen teilnehmen. Dadurch sickern vielleicht gewisse Informationen ungewollt an die Öffentlichkeit durch, doch uns ist eine offene Kommunikation eindeutig wichtiger.»

Die Anforderungen an Bertarellis Segelteam sind nicht weniger rigid als in der Privatwirtschaft. «Wenn jemand ineffizient ist, macht sich das sofort bemerkbar. Entweder bemüht sich diese Person oder lässt sich versetzen, oder aber wir trennen uns von ihr. Die Mitglieder des Teams dürfen nicht vergessen, dass wir hier sind, um den America’s Cup zu gewinnen», bringt es Michel Bonnefous auf den Punkt. Das Geheimrezept für einen echten Teamgeist? Keine Hierarchien. Denn hier hat niemand einen festen Posten. Wenn jemand eine andere Funktion übernehmen will, so kann er das problemlos tun. Was zählt, ist einzig die Effizienz. Ein Beispiel dafür: Ernesto Bertarelli beharrt darauf, wie jeder andere Segler behandelt zu werden. Bei Interviews zieht es Bertarelli jeweils vor, den direkt Betroffenen den Vortritt zu lassen.

Nur einmal musste der smarte Milliardär seinen ganzen Einfluss aufbieten: als nämlich die Veranstalter des Cups, die Royal New Zealand Yacht Squadron, die Anmeldung des Schweizer Teams zunächst ablehnte. Frustration darüber, dass die neuseeländische Crew um Russel Coutts die Seiten gewechselt hatte, mag der Auslöser gewesen sein. Bertarelli flog persönlich nach Neuseeland, bearbeitete Medienvertreter und Wirtschaftsgrössen des Landes, schreckte gar vor rechtlichen Schritten nicht zurück. Nach einem harten Kampf entschied das Schiedsgericht des Cups schliesslich für die Schweizer. Inzwischen kann Michel Bonnefous dem Vorfall durchaus positive Seiten abgewinnen: «Heute möchte ich mich bei denen, die uns das Leben schwer gemacht haben, beinahe bedanken.»

Die Konsequenz daraus war die Erkenntnis, dass in einem solch angespannten Klima die Kommunikation als Waffe eingesetzt werden kann, um seine Gegner zu verunsichern. «Wir müssen genauso aggressiv vorgehen wie alle anderen. Unter solchen Umständen ist es von entscheidender Bedeutung, dass man eine klare Botschaft hat», fährt Bonnefous fort.

Eisern wacht der Ernesto Bertarelli darüber, dass sein Geld nicht verpulvert wird. «Zusammen mit Russell Coutts haben wir uns einen Budgetrahmen von 100 Millionen Schweizerfranken gesteckt. Ohne diese Ausgabenbremse ist man leicht versucht, 20 verschiedene Werften zu berücksichtigen und sämtliche Design-Möglichkeiten auszuloten. Dank diesen Vorgaben haben wir unsere Wahl so getroffen, dass wir innerhalb der vorgegebenen Bandbreite bleiben konnten», sagt Bonnefous. Dadurch sei man eben gezwungen, die beste Lösung im Rahmen des einem zustehenden Budgets zu suchen. Die genaue Budgetaufteilung ist geheim, lässt sich jedoch schätzen.

Michel Bonnefous beziehungsweise seine 1996 gegründete Genfer Firma Caravan kümmert sich auch um die multimediale Vermarktung des Projekts. Dazu wurde ein Pool von mehreren Fotografen gebildet. «Sollte das Projekt fehlschlagen, dann hat man ja wenigstens noch die Archivbilder», witzelt der Marketingmann Michel Hodara. Doch vorerst gilt es, am ausgefeilten Plan festzuhalten und das Training der Leute, den Bau der Boote und die Suche nach Geldquellen voranzutreiben. Denn die Zeit läuft für Ernesto Bertarelli – immer schneller.
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