Manchmal sind es die kleinen Zufälle, die eine gute Beziehung anbahnen. Etwa damals, als der Chef des Flugzeugherstellers Embraer, Maurício Botelho, und der damalige Crossair-Chef Moritz Suter feststellten, dass sie den gleichen Namen haben. «Maurício bedeutet Moritz auf Deutsch, und Moritz bedeutet Maurício auf Portugiesisch», lacht Maurício Botelho.

Und manchmal sind es die einfachen Ideen, die dabei helfen, ein Produkt erfolgreich zu machen und eine gute Beziehung zu besiegeln. Etwa damals, als Moritz und Maurício sich darüber einig waren, dass sie beide im Flugzeug nicht gern in der Mittelreihe sitzen. Ihr nahe liegender Schluss: In Regionaljets gehören Vierer- statt Fünfer-Sitzreihen. Für die beiden war es der Beginn einer engen Geschäftsbeziehung.

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Und die hat sich für Botelho sehr gelohnt. Während die Crossair nach der Übernahme der Swissair verschwunden ist, die neue Swiss zum Verkauf steht und Moritz Suter seinen Aufsichtsratsposten hat räumen müssen, ist Botelho mit Embraer durchgestartet. Der Ingenieur hat als CEO bei Embraer den brasilianischen Flugzeugbauer von einer maroden Staatsschmiede zu einem globalen Konzern umgebaut, der derzeit den Platz vier der grössten Flugzeughersteller der Welt belegt. Das ist alles andere als selbstverständlich für eine Firma aus dem Entwicklungsland Brasilien. Doch die Beziehung zur Crossair hat einen wichtigen Anteil am Erfolg von Embraer.

Es ist früh am Morgen in São Paulo, Botelho sitzt im Besprechungszimmer der Embraer-Büros in einem verspiegelten Büroturm im Viertel Araraquara. Hinter den Fenstern das endlose Häusermeer der Riesenstadt, vor ihm auf dem Tisch ein Flugzeugmodell des ERJ-170, des Erfolgsmodells, das die Verbindung zur Crossair symbolisiert. «Die Crossair war sehr wichtig für uns», sagt Botelho. Es war im Jahr 2001, als Embraer mit dem ERJ-170 in ein neues Marktsegment vorstiess und einen Regionaljet mit 70 bis 108 Sitzen aus den Hangars im Werk in São José dos Campos zog. Der erste Kunde der Weltpremiere: Moritz Suter orderte für die Crossair den neuen Jet. Für Suter eine gute Wahl. Die Embraer-Maschinen sind leichter als die Konkurrenz von Boeing und Airbus und preiswerter als die von Bombardier.

«Eine solch renommierte Airline wie die Crossair es damals war, als Launch-Partner zu haben, war sehr gut für uns», sagt Botelho und lässt sich von einer Kellnerin in Uniform Kaffee servieren. In nur zehn Jahren hat er Embraer nicht nur gerettet, sondern auch zum Erfolg geführt. Als Botelho 1995 bei Embraer das Kommando übernahm, war der Himmel voller dunkler Wolken. Die Firma wurde 1969 auf Betreiben der brasilianischen Luftwaffe gegründet. Zwar wurden viele Erfolg versprechende Projekte angegangen, schwarze Zahlen konnte Embraer allerdings nicht schreiben. Im Jahr 1994 privatisierte die Regierung die Flugzeugschmiede, ein Jahr später ging Botelho an Bord. Die Zahlen sprachen damals für sich: 340 Millionen Dollar Verlust hatte Embraer allein im Jahr 1995 angehäuft, dem standen Einnahmen von 260 Millionen Dollar entgegen, weitere 400 Millionen Dollar Schulden waren in den Büchern notiert.

An seinem ersten Arbeitstag sagte sich Botelho zwei Dinge. Erstens: «Die brasilianische Gesellschaft hat viel Geld in diese Firma investiert, es wäre schlimm, wenn das Geld verloren ginge.» Zweitens: «Brasilien ist mehr als Soja, Kaffee und Baumwolle, wir schaffen auch Hightech.»

Botelho flog damals um die Welt, besuchte Airlines und suchte nach Nischen für seine Flieger. Was er brauchte, waren Verträge. In Gesprächen mit Fluggesellschaften fiel ihm auf, dass die Firmen gut aufgestellt waren bei Maschinen mit 30 bis 40 Sitzen und bei Maschinen ab 120 Sitzen. Die Lücke dazwischen bedienten sie mit alten DC-9 und Fokker 100. Botelho sah Erneuerungsbedarf und dachte: «Das ist unser Markt.» Er liess den ERJ-145 fertigen, ein Regionaljet mit 50 Sitzplätzen, der billiger war als die Flieger der Konkurrenz. Doch er wusste damals auch: «Wir müssen damit erfolgreich sein.»

Dann las er, dass sich Suter mit der Crossair für die Fairchild Dornier 728 interessierte, ein ähnliches Flugzeug wie sein ERJ-145. Also rief er Suter an. «Guten Tag, Herr Suter, hier spricht Maurício Botelho von Embraer, wollen Sie mich treffen?» Suter wollte, und im August 1998 sassen sich beide zum ersten Mal gegenüber, in Basel im Hotel Drei Könige mit Blick auf den Rhein. Moritz und Maurício mochten sich, nicht nur wegen der Namensverwandtschaft und weil sie nicht gerne in der Mittelreihe sitzen.

Die Crossair war mit Ratschlägen und Wünschen an der Entwicklung der nächsten Familie von Embraer-Jets beteiligt. Botelho wollte grössere Flugzeuge mit mehr Sitzen, ohne dabei an Reichweite zu verlieren. Doch nur über Kosten und Service kann Botelho mit Bombardier, Boeing und Airbus konkurrieren. Dabei reicht es nicht, wenn die Maschine preiswerter ist, sie muss auch im Unterhalt billiger fliegen. So lernte Botelho eine wichtige Lektion: Gewicht ist Geld. Und er speckte seine Maschinen ab. Doch das ist gar nicht so einfach. «Oftmals muss man abwägen zwischen hohen Produktionskosten und niedrigem Gewicht,» sagt Maurício Botelho. Dazwischen versuchen die Techniker bei der Produktion in São José dos Campos die Waage zu halten.

So wie Toulouse für Airbus und Seattle für Boeing steht, so steht die schmucklose Kleinstadt São José dos Campos nahe São Paulo für Embraer. Die Firma ist der zweitgrösste Exporteur Brasiliens und in dem Nest der wichtigste Arbeitgeber. In Hangar F-220 erhellt ein kühles Licht die Montagehalle, es ist sauber wie in einem Krankenhaus und still wie in einem Labor. Arbeiter mit Schutzanzügen schrauben Sitze in die Flugzeuge und löten Kabel unter den Flügeln zusammen. Präzisionsarbeit in der brasilianischen Provinz.

Anders geht es nicht. «Wir konkurrieren mit den Giganten der Welt – und das Beste daran: Wir gewinnen», sagt Botelho. Aber das war nicht immer sicher. Es war an einem Junitag im Jahr 1999, als Botelho glauben konnte, den Durchbruch geschafft zu haben. Er war gerade auf dem Weg zur Paris Air Show, um seine Flugzeuge zu bewerben. Nach einem langen Nachtflug von São Paulo nach Paris stand er am Flughafen Charles de Gaulle vor der Passkontrolle, als sein Handy klingelte. Am anderen Ende war Moritz Suter. Er wollte seine Bestellung durchgeben: 30 Maschinen vom Typ ERJ-170, 30 vom Typ ERJ-195, 15 vom Typ ERJ-145. «Vor den Augen der Grenzbeamten tanzte und jubelte ich», lacht Botelho. Er hatte in der Tat Grund zur Freude. Mit der Crossair hatte Embraer einen Grosskunden, Suter legte noch 100 Optionen zu günstigen Konditionen nach.

Es folgten neue Aufträge: Alitalia, POT, Air France. Auch die Lufthansa erwägt für ihre Tochter-Airlines den Kauf von Embraer-Regionaljets, und in der Konzernzentrale wird den Maschinen aus Brasilien offenbar mit Wohlwollen begegnet.

Die Jets aus Brasilien haben sich längst durchgesetzt. Kein Wunder sind die Auftragsbücher von Embraer prall gefüllt. 343 Bestellungen für die ERJ-170/195-Familie sind darin eingetragen, weitere 427 Optionen liegen vor. Um näher an den Kunden zu sein, hat Embraer eine Fabrik in den USA gebaut, eine weitere in China. Damit ist die Überführung der Flieger wesentlich einfacher. So müssen Piloten von PBair aus Thailand derzeit achtmal zwischenlanden, ehe sie es von São José dos Campos nach Bangkok schaffen.

Die Reise lohnt sich trotzdem, auch für Botelho. Im Jahr 1997 schaffte er bei Embraer den Break-even, 1998 flog die Firma zum ersten Mal Gewinn ein. Im vergangenen Jahr verbuchte Embraer einen Rekordgewinn von 474 Millionen Dollar. Die Bilanzdelle nach den Attentaten vom 11. September 2001 konnte wieder ausgeglichen werden, im März wurde der tausendste Embraer-Passagierjet aus dem Hangar in São José dos Campos gezogen. Und Botelho ist auf Expansionskurs. Anfang März genehmigten die Antimonopolbehörden das Angebot von Embraer und EADS, mit 65 Prozent bei der portugiesischen Flugzeugwartungsfirma OGMA einzusteigen.

Trotzdem sind immer wieder auch Bruchlandungen zu verkraften. So hat die Swiss die damalige Order der Crossair glatt halbiert. Derzeit will die Swiss nur noch 15 Modelle des ERJ-170 und 15 Modelle des ERJ-195, auf die Optionen verzichtete sie. «So ist das eben im Geschäft, man gewinnt, und man verliert», sagt Botelho. Aber das raubt ihm nicht den Schlaf. «Herausforderungen empfinde ich als so normal wie das Atmen.» Und als kühler Stratege will er sich zu den Schwierigkeiten der Swiss nicht äussern. «Ich spreche nicht über Managemententscheidungen unserer Kunden», sagt der Brasilianer.

Stattdessen widmet er sich neuen Projekten: einem Flugzeug, das mit Alkohol, gewonnen aus Zuckerrohr, fliegt – eine kleine Revolution im Zuckerland Brasilien. Ideal für die Landwirte des Landes, die ihre Felder von der Luft aus mit Pflanzenschutzmitteln spritzen. So sparen sie teures Kerosin und können überall im Land tanken. Ganz nebenbei kurbeln sie auch noch die eigene Wirtschaft an.

So liebt es Botelho, der über sein Erfolgsgeheimnis sagt: «Es geht nicht darum, Flugzeuge zu bauen, sondern für unsere Kunden da zu sein. Das macht den Unterschied.» Und genau deshalb versucht er, auch beim Service neue Standards zu setzen. Als ein Flieger von American Eagle am Boden blieb, weil vom Hagelschlag ein Flügel beschädigt worden war, liess Botelho einen aus der laufenden Produktion herausnehmen. Die Maschine war nur ein Wochenende verkehrsuntüchtig. Botelho ist sich sicher: «Wir haben den besten Service der Welt.»

Der Erfolg hat seinen Preis. Botelho hat mehrere Büros in São Paulo und in São José dos Campos, und meistens arbeitet er im Flugzeug. Zwanzigmal im Jahr verlässt er Brasilien für Messen oder Kundenbesuche in Europa, den USA oder Asien. Er nimmt dann den Nachtflug nach New York, wickelt am Tag seine Termine ab, und steigt abends wieder ins Flugzeug. Hart wird es, wenn er nach China muss, die Reise dauert mehrere Tage. «Zum Glück kann ich im Flugzeug schlafen», witzelt er, «ich wäre sonst der Falsche für den Job.»

Aber es gibt ein Thema, bei dem Botelho seine Fröhlichkeit verliert: Bombardier. Die Konkurrenten aus Kanada zeigten Brasilien bei der Welthandelskonferenz (WTO) an, weil die Regierung angeblich versteckte Subventionen an Embraer fliessen liess. Das WTO-Schiedsgericht entschied: Beide Länder arbeiten mit unlauteren Praktiken. Jetzt versuchen die kanadische und die brasilianische Regierung, das Thema mit bilateralen Verhandlungen zu lösen.

Trotzdem sieht sich Botelho im Nachteil: «Brasilien ist ein sehr transparentes Land, Kanada nicht. Wie soll man auf dieser Grundlage verhandeln?», sagt Botelho verärgert. 700 Millionen Dollar will Bombardier nach Zeitungsangaben für seine C-Serie, ein Flugzeug mit 110 bis 135 Sitzen, von der kanadischen Regierung als Zuschuss für die Entwicklungskosten.

Brasiliens Regierung hat jetzt angekündigt, Kanada bei der WTO anzuzeigen, falls es tatsächlich zu Zahlungen kommt. «700 Millionen», tobt Maurício Botelho und wird laut, «wir haben unsere ERJ-170/195-Familie selbst finanziert, wir sind an der New Yorker Börse, wir haben die Zulieferer eingebunden, wir haben auf eigenes Geld zurückgegriffen, und Bombardier will Geld vom Staat. Ist das etwa freier Wettbewerb?»

Manchmal aber ist es dann wieder der freie Wettbewerb, der ihm kleine Freuden bereitet. Air Canada bestellte bei Botelho 45 Jets vom Typ ERJ-190, 15 vom Typ ERJ-175 – Air Canada war weltweit sogar die erste Fluggesellschaft, die ihr Emblem auf das Heck eines ERJ-175 malen liess, eine doppelte Freude für Botelho. Und zwar eine für das Herz und eine für die Kasse.» Und dann kann er auch wieder lachen.

Mit seinen Regionaljets hat Botelho, der ein Flugzeug immer singend betritt, die Branche aufgemischt. Aber nicht nur mit den Jets. Es war bei einem Geschäftslunch im Jahr 1998 in Singapur, als er eine kurze Rede halten sollte. Angekündigt wurde er von seinem Gastgeber als «Maurício Botelho, der CEO von Embraer, der Mann, der das Lachen in unserer Branche eingeführt hat.»