Der heutige normale Satz der Mehrwertsteuer beträgt 7,6 Prozent. Das Attribut «normal» deutet auf Abweichungen hin. So gilt für Übernachtungen in Hotels ein Sondersatz von 3,6 Prozent. Für Nahrungsmittel, Bücher, Medikamente, Zeitungen kommt ein reduzierter Satz von 2,4 Prozent zur Anwendung. Hinzu gesellt sich ein vierter Satz von null Prozent, und zwar in exakt 25 Fällen, in denen die Mehrwertsteuer «ausnahmsweise» nicht erhoben wird, so bei Kinoeintritten, Konzerten, kulturellen Veranstaltungen überhaupt, Sportanlässen inklusive Startgeldern, bei Weiterbildungskursen und gesundheitlichen Dienstleistungen, egal ob von Zahnärzten, Hebammen oder Naturpraktikern erbracht. Ferner sind die Finanzdienste ausgenommen: Versicherungen, Bankkredite oder Börsenaufträge – nicht aber das Private Banking, das eine Ausnahme von der Ausnahme bildet. Auch Immobilien-Vermietungen sind von der Steuer befreit, mit Sportanlagen als Ausnahme der Ausnahme der Ausnahme.

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All das ist kompliziert. Jede Ausnahme muss definiert werden, mitsamt jeweils heiklen Abgrenzungen. Enthält ein Lehrbuch etwa eine CD-ROM, gilt für das Buch der reduzierte Satz (2,4 Prozent), für die CD-ROM der Normalsatz (7,6 Prozent). Oder gibt ein Spital ein Medikament am Bett eines Patienten ab, ist dieser ärztliche Dienst von der Mehrwertsteuer befreit; gibt das Spital einem austretenden Patienten eine ganze Packung mit nach Hause, kommt der reduzierte Satz (2,4 Prozent) zum Zug. Hinter solch verwirrenden Regeln stecken lauter gute Absichten. Doch werden diese Ziele auch erreicht?

Nicht immer. Die Spitäler zum Beispiel müssen gegenüber den Patienten direkt nichts verrechnen. Umgekehrt aber müssen die Spitäler bei ihren Einkäufen, von teurem medizinischem Gerät bis zum gewöhnlichen Operationsbesteck, die volle Mehrwertsteuer bezahlen, ohne dass sie diese Ausgaben als Vorsteuer abziehen dürfen. Ob die Spitäler netto gewinnen, ist nicht einmal klar.

Ähnlich bei Hotels. Für den Restaurantbetrieb gilt der Normalsatz (7,6 Prozent), für Übernachtungen der Sondersatz (3,6 Prozent), für Take-away-Dienste der reduzierte Satz (2,4 Prozent). Im Schnitt zahlen Hotels etwa 5,5 Prozent, verbunden mit enorm viel administrativem Aufwand. Wäre es nicht klüger, es gälte gleich von Anfang an ein Einheitssatz von 5,5 Prozent auf allem? Genau dies hat sich Finanzminister Hans-Rudolf Merz gefragt und präsentiert nun eine radikale Reform.

Er will den reduzierten Satz abschaffen, ebenso den Sondersatz samt den 25 Ausnahmen. Das Resultat wäre ein deutlich einfacheres System mit einem weit unter dem jetzigen Normalsatz liegenden Tarif: «Zwischen fünf und sechs Prozent», verspricht Merz.

All das tönt vernünftig, plausibel, und die Volkswirtschaft als Ganzes würde gewaltig entlastet, fiskalisch wie administrativ. «Eine weltweite Pioniertat», lobt Merz seinen Plan. Doch der Widerstand wird gewaltig sein. Just jene Wirtschaftskreise, die sonst laut über den «Reformstau» klagen, werden wohl nur an sich selber denken und herausfinden, dass der Status quo zwar schrecklich kompliziert sein mag, dies aber für ihre Branche von Vorteil sei. Das gilt für die Nahrungsmittelindustrie samt Handel, die Zeitungsverleger, die Buchhändler, die Pharmaindustrie samt Apothekern, nicht zu vergessen die Sport- und Kulturveranstalter, ganz zu schweigen von den Banken und Versicherungen. Vereinigen sich diese mächtigen Lobbys zu einer Koalition der Profiteure, dann wird die Mehrwertsteuer so undurchschaubar bleiben, wie sie ist.

Markus Schneider, Journalist und Ökonom, Autor von «Idée suisse» und «Weissbuch 2004», beide im Weltwoche Verlag erschienen.