Die Schweiz entwickelt sich zu einer Freizeitgesellschaft, die effektive Arbeitszeit sinkt. Offen ist, was wir mit den zusätzlichen Stunden anfangen. «Zum grossen Teil wird die verminderte Arbeitszeit durch eine erhöhte Fernsehzeit ersetzt», das belegt der Ökonom Bruno S. Frey, ein international bekannter Glücksforscher. Auch die Schweiz geht mit dem Trend: 148 Minuten am Tag sehen die über dreijährigen Deutschschweizer im Durchschnitt fern; vor fünfzehn Jahren waren es erst 106 Minuten (Messungen der SRG SSR idée suisse).

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Jeder dritte Schweizer, insgesamt 2,5 Millionen Personen, gilt als «starker TV-Konsument» (mehr als 2 Stunden und 50 Minuten pro Tag). Wie glücklich werden diese? «Je länger eine Person vor der Glotze hockt, umso weniger», vermutet Frey. Viele Langfernseher bezeichneten ihr Leben als langweilig, unbefriedigend, unglücklich, ereignislos. Andere Aktivitäten wie Essen, soziale Kontakte, Sport und Sex würden viel höher bewertet. Eine ähnliche Diskrepanz tue sich zwischen Nationen auf: In der Schweiz ist der Anteil «starker TV-Konsumenten» am tiefsten, in Griechenland am höchsten. Das schlägt sich auch in der Rangliste nieder, wie die Leute ihre Zufriedenheit beurteilen: Die Schweiz steht vorn auf Platz zwei hinter Dänemark; Griechenland weit hinten mit Frankreich, Polen, Ungarn, Portugal, ebenfalls Länder mit starker TV-Nutzung.

«Fernsehen führt zu Überkonsum», schlussfolgert der Ökonom Bruno S. Frey aus diesen Daten. «Viele Leute sagen im Nachhinein, sie hätten lieber etwas weniger lang ferngesehen.» Warum tun sie es trotzdem?

Vermutlich aus Bequemlichkeit. Am aktivsten sind die Jugendlichen unter 25: Sie treffen täglich Freunde, machen miteinander Musik, besuchen Kurse, gehen in die Disco, ins Kino. Bei den Älteren spielen Lohnklasse und Bildungsniveau eine Rolle: Je tiefer die Schicht, umso häufiger bleiben die Leute daheim. Im Durchschnitt präsentiert sich die Passivität der Schweizerinnen und Schweizer laut einer Erhebung des Bundesamts für Statistik so: 70 Prozent aller Personen über 14 Jahre gestehen, dass sie «nie» Musik machen, 76 Prozent gehen «nie» in einen Kurs, 65 Prozent «nie» in eine Disco, 53 Prozent «nie» an eine Sportveranstaltung, 33 Prozent «nie» ins Theater, in die Oper oder eine Kunstausstellung, 32 Prozent «nie» ins Kino. TV ist einfacher. Man muss nicht aus dem Haus, sich nicht extra kleiden, kein Ticket kaufen, nicht reservieren. Es genügt, auf den Knopf zu drücken.

«Das Problem ist die Selbstkontrolle», vermutet Bruno S. Frey. Davon betroffen seien Leute, die sonst mit ihrer Zeit sparsam umgingen. Just die Bessergebildeten, die Besserverdienenden ärgern sich darüber, wie viel Zeit sie fürs Fernsehen vergeuden. Manchmal wollen sich selber überlisten: Sie zügeln das TV-Gerät aus dem Wohnzimmer, stellen unbequeme Stühle davor, beschränken sich auf «10 vor 10», oder sie leisten sich absichtlich kein Gerät. So rigoros sind freilich nur sieben Prozent aller Haushalte, unter ihnen jedoch auffallend viele Akademiker und Kaderleute.

Eine andere Präferenz zeigen Rentner und Arbeitslose. Das sind ganz starke TV-Konsumenten; aber die fühlen sich ganz wohl dabei.

Quelle: Bruno S. Frey, Christine Benesch, Alois Stutzer: Does Watching TV Make Us Happy? Working Paper No. 2005-15, als PDF unter www.crema-research.ch

Caterina Modetta, Pascale Gazereth: Freizeitgestaltung in der Schweiz. Juni 2005. Als PDF unter www.bfs.admin.ch

Markus Schneider, Journalist und Ökonom, Autor von «Idée suisse» und «Weissbuch 2004», beide im Weltwoche Verlag erschienen. redaktion@bilanz.ch